Eine theologische Betrachtung zum vierten Advent

Wenn die Erwartung sich verdichtet

Die "O-Antiphonen" gehören nicht unbedingt zum bekanntesten Brauchtum des Advents. Dennoch sind sie ein bedeutender Schatz der vorweihnachtlichen Liturgie.

Autor/in:
Fabian Brand
Vierter Advent (KNA)
Vierter Advent / ( KNA )

Mit dem 18. Dezember beginnt in diesem Jahr die "heiße Phase" der Adventszeit. Die letzte Woche vor dem Weihnachtsfest hat im Advent eine besondere Bedeutung. Denn je näher wir dem 25. Dezember kommen, desto mehr rückt in der Liturgie der Blick auf das Geburtsfest Christi in den Mittelpunkt. Man kann auch sagen: Die Prioritäten verschieben sich.

Die erste Phase des Advents ist nämlich nicht wirklich weihnachtlich: In den ersten Wochen der Adventszeit liegt der Schwerpunkt auf der endzeitlichen Wiederkunft Christi, also auf der Vollendung der Welt, die Christinnen und Christen erwarten. Erst relativ spät, nämlich mit dem vierten Adventssonntag, beginnt dann die eigentliche Vorbereitung auf das Weihnachtsfest.

An diesem Sonntag hören wir im Evangelium davon, wie Josef im Traum von einem Engel die Weisung erhält, bei Maria zu bleiben und sie in den Tagen ihrer Schwangerschaft zu begleiten. Und das Tagesgebet des vierten Advents ist das Gebet des täglichen Angelus: "Durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung Christi, deines Sohnes, erkannt."

Die Zeit ab dem 17. Dezember ist in der Liturgie vor allem durch die sogenannten O-Antiphonen geprägt. Dahinter verbergen sich kurze Anrufungen, die aus dem Alten Testament stammen und auf Jesus Christus bezogen werden. Insgesamt gibt es sieben dieser O-Antiphonen; jeder Tag vom 17. Dezember bis zum 23. Dezember besitzt eine eigene Antiphon.

Sie kommen vor allem in zwei liturgischen Zusammenhängen zum Einsatz: nämlich in der Tagzeitenliturgie bei der Vesper. Dort rahmen diese Anrufungen das Magnificat, also den Hochgesang Mariens, der den Höhepunkt des Abendgebets der Kirche bildet. Aber auch in der Eucharistiefeier tauchen die O-Antiphonen auf: In einer verkürzten Form kann man sie vor dem Evangelium hören, nämlich als Vers zwischen den Halleluja-Rufen.

Die O-Antiphonen heißen übrigens so, weil sie täglich mit dem Ausruf "O" beginnen. Und sie münden in den Aufruf "Komm!" Am ersten Tag, an dem sie in der Liturgie auftauchen, also am 17. Dezember, lautet der Text: "O Weisheit, hervorgegangen aus dem Munde des Höchsten - die Welt umspannst du von einem Ende zum andern, in Kraft und Milde ordnest du alles: O komm und offenbare uns den Weg der Einsicht und Milde."

Nach dem gleichen Schema sind die Antiphonen auch an den anderen Tagen aufgebaut. Allerdings mit anderen Hoheitstiteln. Diese lauten: Adonai (18. Dezember), Wurzel Jesse (19. Dezember), Schlüssel Davids (20. Dezember), Morgenstern (21. Dezember), König aller Völker (22. Dezember), Immanuel (23. Dezember).

Wenngleich die O-Antiphonen nicht unbedingt zum bekanntesten Brauchtum des Advents gehören, sind sie doch ein bedeutender Schatz der christlichen Liturgie. Denn gerade indem diese Antiphonen die Anreden aus dem Alten Testament aufnehmen, zeigen sie, wie eng die Verbindung mit Israel ist. Der, dessen Kommen wir in diesen Tagen erwarten, ist kein anderer als derjenige, auf den schon immer die Sehnsucht der Menschen ausgerichtet war. Das machen die O-Antiphonen vor allem deshalb deutlich, weil sie mit keinem Wort "Christus" oder den "Messias" erwähnen.

Es sind ganz und gar alttestamentliche Texte, die in ihrer Breite bedeutungsoffen sind. Das hält auch der Bibelwissenschaftler Egbert Ballhorn fest: "So stehen wir Seite an Seite mit Israel und flehen um die Erlösung, das Kommen Gottes - eingedenk der Taten Gottes in der Vergangenheit und seiner Wirksamkeit in der Welt in der Gegenwart."

Die Kirche verdrängt das Volk Israel nicht, indem sie sich seine Gebetssprache zu eigen macht. Sondern, so Ballhorn weiter: "Vielmehr sieht die Kirche sich in der heutigen Situation in die gleiche Lage wie Israel gestellt und solidarisiert sich im Geschehen der Liturgie mit dessen Gotteserwartung."

So sind die O-Antiphonen, von der die letzte Adventswoche geprägt ist, ein sehr dichter Ausdruck jener Erwartung, die den ganzen Advent durchzieht. Der Erwartung, dass Gott in diese Welt kommt, dass er sich mit seinem Volk solidarisiert, dass er sich wunderbar an den Menschen erweist - so, wie er das damals getan hat, an seinem auserwählten Volk Israel.

Quelle:
KNA