Zum 90. Geburtstag von Ex-ZdK-Präsident Bernhard Vogel

"Die Kirche wird nicht untergehen"

Bernhard Vogel war fast ein Vierteljahrhundert Ministerpräsident, erst in Rheinland-Pfalz, dann in Thüringen. Zu seinem 90. Geburtstag erklärt er die Unterschiede zwischen Ost und West und blickt als Ex-ZdK-Präsident auf seine Kirche.

Bernhard Vogel, CDU-Politiker, am 19. Juli 2018 in seinem Haus in Speyer. / © Thomas Lohnes/epd-bild (KNA)
Bernhard Vogel, CDU-Politiker, am 19. Juli 2018 in seinem Haus in Speyer. / © Thomas Lohnes/epd-bild ( KNA )

KNA: Wie geht es Ihnen?

Thüringens frühere Ministerpräsident, Bernhard Vogel. / © Klaus Venus (KNA)
Thüringens frühere Ministerpräsident, Bernhard Vogel. / © Klaus Venus ( KNA )

Bernhard Vogel (CDU-Politiker, ehemaliger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und ehemaliger Ministerpräsident von Thüringen, ehemalige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, ZdK): Danke der Nachfrage. Es geht mir gut - wenn man das Schlechte weglässt. Aber ich will nicht klagen. Trotzdem: Ich merke das Alter und verstehe den Satz immer besser: Wer älter wird, muss tapfer sein. Doch ich freue mich, ein so hohes Alter zu erreichen.

KNA: In der Summe lohnt es sich also, alt zu werden?

Vogel: Es ist eine Anstrengung. Aber wie jede Anstrengung lohnt sich auch diese.

KNA: Wie sehen die Pläne für Ihren runden Geburtstag aus?

Vogel: Wer 90 wird, der sollte sich nicht verstecken. Mein beruflicher Lebensweg bringt es mit sich, dass die eine oder andere Veranstaltung geplant ist. Das alles hat sich aus den Vorstellungen und Wünschen anderer schlussendlich so ergeben.

KNA: Sie sind der einzige Politiker, der in zwei Bundesländern Ministerpräsident war - im Osten und im Westen Deutschlands. Erklären Sie bitte, warum die Wahrnehmungen politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen bis heute so stark unterschiedlich sind.

Friedliche Revolution in der DDR

In Leipzig versammelten sich am 4. September 1989 - einem Montag - rund 1000 Menschen vor der Nikolaikirche und forderten unter anderem Reisefreiheit. Daraus entstanden die Montagsdemonstrationen. Bei der größten am 9. Oktober 1989 protestierten 70.000 Menschen in Leipzig friedlich gegen das SED-Regime. Es setzt sich der Ruf "Wir sind das Volk - keine Gewalt" durch. Die sächsische Stadt befand sich an diesem Tag im Belagerungszustand. Polizei, Stasi, Armee und paramilitärische Kampfgruppen waren aufgefahren, um den Montagsdemonstrationen ein gewaltsames Ende zu machen.

DDR-Bürger strömen am 11.11.1989 durch den neuen Grenzübergang an der Bernauer Straße / © Wolfgang Kumm (dpa)
DDR-Bürger strömen am 11.11.1989 durch den neuen Grenzübergang an der Bernauer Straße / © Wolfgang Kumm ( dpa )

Vogel: Die Wiedervereinigung ist alles in allem gelungen. Wir haben Grund, stolz und dankbar zu sein. Weil der Osten etwa geschafft hat, was man uns Deutschen nicht zugetraut hat: eine friedliche Revolution, ohne dass ein Tropfen Blut floss. Und der Westen hat in einem ungewöhnlichen Ausmaß personell und finanziell geholfen.

Trotzdem müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass nicht alle Unterschiede überwunden sind. Zum Beispiel die privaten Vermögen, die angesammelt und vererbt werden, sind und bleiben im Westen höher. Wir haben 40 Jahre in unterschiedlichen Welten gelebt und unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Darauf wird zu wenig Rücksicht genommen. Und so entstand das Gefühl, dass es Deutsche zweiter Wahl gäbe - was natürlich Unsinn ist.

Über Jahrzehnte ist die Rolle Russlands im Zweiten Weltkrieg anders wahrgenommen worden. Im Osten wurde als erste Fremdsprache Russisch und nicht Englisch unterrichtet. Wenn man das Land verlassen durfte, dann fuhr man dorthin oder in ein anderes Land des Warschauer Paktes. In Ostdeutschland herrschte die Überzeugung, durch den Vaterländischen Krieg der Sowjetunion sei Hitler-Deutschland besiegt worden. Der Westen weiß, dass ohne den Einsatz der Amerikaner Hitler nicht besiegt worden wäre. Diese unterschiedlichen Perspektiven müssen ernst genommen werden.

KNA: Aber das alles kann nicht erklären, warum es Sympathie für den russischen Krieg gibt.

Vogel: Sympathie für den Krieg gibt es bei keinem vernünftigen Menschen. Aber die Beurteilung der Rolle Russlands ist nun einmal anders.

KNA: Phänomene wie Demokratieverdrossenheit, Impfskepsis und Pegida haben im Osten eine deutlich höhere Bedeutung als im Westen.

Vogel: Dafür gibt es Gründe. Ich bitte die Westdeutschen, nach den Gründen zu fragen und nicht kenntnislos zu urteilen. Der Westen hat 70 Jahre Zustimmung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit parallel wachsendem Wohlstand erlebt. Im Osten war man sich bewusst, dass das, was in der Zeitung stand, nicht stimmte. Es galt zu lernen, dass in westdeutschen Blättern zwar auch nicht alles, aber zumindest sehr vieles stimmt. Während Ostdeutsche abends 'Tagesschau' oder 'heute' geschaut haben, sah niemand im Westen 'Die aktuelle Kamera'.

Während im Osten nach der Wiedervereinigung sich nahezu alles veränderte, hat der Westen nicht begriffen, dass sich auch hier etwas ändern muss. All das lässt sich nicht in 30 Jahren überwinden. Schwierigkeiten bereitet nicht die Wiedervereinigung, sondern die Aufarbeitung jahrzehntelanger sozialistischer Herrschaft. Für die heutige junge Generation spielt das keine Rolle.

KNA: Themenwechsel. Wie schaut der ehemalige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken auf seine Kirche?

Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist das höchste repräsentative Gremium des deutschen Laien-Katholizismus. Es vertritt die katholischen Laien bei der gesellschaftlichen Meinungsbildung und ist das von der Bischofskonferenz anerkannte Organ zur Koordinierung des Laienengagements in der Kirche. Allerdings melden sich immer wieder auch einige katholische Laien und Vereinigungen zu Wort, die das ZdK nicht als ihre Vertretung verstehen.

Das Kreuz des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)  / © Harald Oppitz (KNA)
Das Kreuz des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) / © Harald Oppitz ( KNA )

Vogel: Besorgt und mit vielen Fragen, aber auch in der festen Überzeugung, dass die Kirche nicht untergehen wird.

KNA: Wie beurteilen Sie das Reformprojekt des Synodalen Weges?

Vogel: Ich wünsche dem Vorhaben viel Erfolg und bin den Veränderungswünschen gegenüber aufgeschlossen. Aber ich glaube nicht, dass davon allein die Zukunft der Kirche abhängt. Die katholische Kirche Deutschlands ist in einer sehr schwierigen Situation, aber weltweit nimmt die Zahl der Katholiken und der Priester zu. Wir drohen, gelegentlich zu sehr Nabelschau zu betreiben.

KNA: Hoffen Sie auf Änderungen durch die geplante Weltbischofssynode im kommenden Jahr?

Vogel: Die Hoffnung habe ich, aber alles hängt von der Bereitschaft von Papst Franziskus ab, nicht nur Veränderungen anzukündigen, sondern auch Entscheidungen zu treffen.

KNA: Das haben Sie vor fünf Jahren schon ganz ähnlich gesagt.

Vogel: Was richtig ist, das darf man wiederholen.

KNA: Was wünschen Sie sich für Ihr Land, Ihre Kirche und sich selbst?

Vogel: Dass wir mit den Herausforderungen der Gegenwart fertig werden. Zurecht wird vom Epochenwechsel gesprochen. Ich möchte der jungen Generation zurufen: Setzt Euch mit den Problemen auseinander, packt zu, Ihr werdet sie meistern. Das gilt für unseren Staat und für meine Kirche. Ich selbst bin dankbar, die längste Friedenszeit der deutschen Geschichte erlebt zu haben. Und ich wünsche mir, dass die Zustimmung zu unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung Bestand hat und dass radikale Parteien nicht stärker werden.

Das Interview führte Michael Jacquemain, KNA

Quelle:
KNA