DOMRADIO.DE: Was sind das für Parteien, die da in der neuen Regierung sitzen und eben vielen aus der Opposition, aber auch in der Bevölkerung Angst machen?
Pater Nikodemus Schnabel OSB (Patriarchalvikar im lateinischen Patriarchat von Jerusalem): Das sind altbekannte und neue Parteien. Altbekannt ist Likud von Netanyahu, man kann sagen, die klassische konservative rechte Partei, die jetzt in der Regierung die linkeste Partei ist. Schas und Vereinigtes Thora-Judentum sind streng religiöse Parteien, wo tatsächlich Rabbiner im Parlament sitzen für diese Parteien, Schas für die orientalischen Juden, und das Vereinigte Tora-Judentum für die aschkenasischen, die europäischen Juden. Und dann eben ein neues Bündnis aus drei ehemals wirklich rechtsextremistischen Parteien.
Dieses Religiös-Zionistische Bündnis, das sind eigentlich drei Splitterparteien gewesen, die wirklich klar rassistisch sind. Klar nationalreligiös. Zum Beispiel Ben-Gvir, der jetzt der neue Sicherheitsminister ist, hat die Brandstifter unseres Klosters Tabgha verteidigt. 2015 wurde unser Kloster ja angesteckt von jüdisch-nationalreligiösen Radikalen und der hat die aus Überzeugung verteidigt. Also ein bekennender Rassist, der auch vorbestraft ist, wie so viele andere Mitglieder dieser Regierung auch. Für Arje Deri, dem Vorsitzenden der Schas-Partei, musste extra ein Gesetz geändert werden, weil der Mann schon im Gefängnis saß wegen Steuerbetrug, Amtsmissbrauch und Steuerhinterziehung. Also, das ist schon eine heftige Regierung, die auch sehr, sehr vielen in Israel bis weit in die Mitte der Gesellschaft größte Sorgen macht.
DOMRADIO.DE: Sehen Sie Israels Demokratie tatsächlich in Gefahr?
P. Nikodemus: Ja, ich muss das ehrlich sagen. Ich bin sonst kein Panikmacher. Ich bin jemand, der Optimist ist, der besonnene Töne hat. Aber diese Regierung, das ist eine neue Dimension. Ich bin ja auch Mitglied der örtlichen Bischofskonferenz. Wir haben tatsächlich auch ein Statement abgegeben als katholische Ordinarien, wo wir unsere Sorge zum Ausdruck gebracht haben. Und es gibt auch ein gemeinsames Statement, was ja selten ist, der Head of Churches aller christlicher Kirchen. Und unisono wird wirklich die Sorge zum Ausdruck gebracht vor dem, was da kommt. Grundsätzlich geht es um ein Konzept der Vision: Wo soll Israel hin?
Israel hatte eigentlich immer diese geniale Mischung, Demokratie zu sein und ein jüdischer Staat zu sein. Und irgendwie die Quadratur des Kreises hinzubekommen. Eine klare Heimstatt für alle Juden der Welt, aber eben auch mit klaren Minderheitenrechten. Auch mit ein gewissen Stolz darauf, dass es eben auch Christen, Juden, Muslime, Drusen, Tscherkessen, Bahai gibt. Jetzt haben wir zum ersten Mal eine Regierung, die ganz klar sagt: "Nein, wir sind eine jüdische Regierung für die Juden. Es gibt ein natürliches Recht der Juden auf das ganze Land." Das ist eine klare Absage an die Zweistaatenlösung. Palästinas Existenzrecht wird hier klar geleugnet. Und de facto, wenn die ihre Träume wahr machen dürfen, dann habe ich ja auch nichts hier verloren. Denn diese Leute sehen den jüdischen Charakter dieses Staates in Gefahr, den jüdischen Charakter Jerusalems.
Gestern war der Empfang des Staatspräsidenten Isaac Herzog, der sich fast wie ein Oppositionsführer angehört hat, dem man auch angemerkt hat, dass ihm unwohl ist mit der neuen Regierung. Und der neue Innenminister hat tatsächlich gesagt, das große Problem sei der Antisemitismus in Jerusalem. Zynischer geht es nicht, das allen Christen, Muslimen, Drusen, Bahai, Tscherkessen ins Gesicht zu sagen, die hier bespuckt werden, deren Kirchen angesteckt werden, die unter Gewalt gegen Minderheiten leiden. Das ist Zynismus pur. Das ist das, auf das wir uns jetzt einstellen müssen.
DOMRADIO.DE: Aber welche Auswirkungen fürchten Sie denn konkret, also für sich, für die Christen, für die Muslime und eben auch die anderen Religionen?
P. Nikodemus: Dass auf einmal rassistische Töne den Alltag bestimmen. Früher konnte ich immer sagen, zum Beispiel, als unser Kloster angesteckt wurde, wenn ich fast täglich bespuckt werde: Ja, es gibt diese radikalen Gruppierungen, die halt einen Christenhass haben, die einen Muslimenhass haben, die einen Araberhass haben, die halt wirklich rassistisch sind. Aber die Politik ist anders. Jetzt kann ich das nicht mehr so sagen. Jetzt sind diese Leute Teil der Regierung.
DOMRADIO.DE: Was ist mit der Zivilgesellschaft?
P. Nikodemus: Die Zivilgesellschaft ist das Positive. Die Zivilgesellschaft ist gesund, die ist quicklebendig und die steht gerade wirklich auf. Wir hatten riesige Demonstrationen in Jerusalem vor der Vereidigung. Wir haben Briefe von ehemaligen Luftwaffenoffizieren, wir haben Briefe von ehemaligen Diplomaten. Es gibt da einen großen Aufstand. Viele sagen, diese Regierung sei eine Schande für unser Land. Und ich bin gespannt, wo das hinführt.
Viele meiner jüdischen Freunde bis weit ins sehr konservative Lager hinein waren schon erbost, wie einfach westliche Staaten, Deutschland voran, dieser Regierung gratulieren, als ob nichts wäre. Es gibt ja diesen Israel bezogenen Antisemitismus, dieser Vorwurf, dass man Israel anders beurteilt als andere Staaten, mit einer Doppelmoral. Ja, das gibt es. Aber genauso muss man auch sagen. Warum trauen wir uns, Ungarn und Polen zu kritisieren und halten jetzt bei Israel die Klappe?
Da haben viele Israelis das Gefühl, der Westen fällt uns in den Rücken, egal wer regiert. Jetzt wäre es Aufgabe des Westens zu sagen: "Gerade wenn man Israel mag, diese Regierung ist inakzeptabel, sie bewegt sich außerhalb der westlichen Wertegemeinschaft."
Das Interview führte Martin Mölder.