Als Benedikt XVI. am 22. September 2011 zum dritten Mal nach Deutschland kam, war kaum zu ahnen, dass dies bis heute die letzte Reise eines Papstes nach Deutschland werden sollte. Im Jahr danach reifte in ihm der Entschluss, das Papstamt niederzulegen.
Ob die Deutschlandreise mit ihrer durchwachsenen Bilanz diese Entscheidung mit befördert hat, ist offen. Fest steht indes, dass es ihm damals nicht gelang, die nach der ersten Welle des Missbrauchsskandals ab 2010 bereits angeschlagene katholische Kirche in Deutschland zu einen und zu stärken.
Benedikt XVI. lobte die Grünen
Schon der Auftakt der viertägigen Reise in Berlin war geprägt von Polemiken und Missverständnissen. So blieben die meisten Abgeordneten der Linken und etliche der Grünen demonstrativ seiner Rede im Bundestag fern, weil sie die Trennung von Staat und Kirche dadurch bedroht sahen. Und dann erlebten ausgerechnet die Grünen, dass Benedikt XVI. ihre Rolle würdigte, weil sie die unverhandelbaren ökologischen Grenzen ins politische Bewusstsein gerückt hatten.
Das päpstliche Lob für eine eher kirchenferne Partei, deren Mitglieder zeitgleich im Zentrum Berlins gegen den Papstbesuch mitdemonstrierten, wurde damals vielfach positiv kommentiert. Der eigentliche Inhalt seiner Rede, in der er für eine Weiterentwicklung des naturrechtlichen Denkens in der Gesetzgebung warb, wurde indes kaum aufgegriffen.
Ein Heimspiel wurde im Vergleich dazu der Abendgottesdienst im Olympiastadion. Mehr als 60.000 Menschen nahmen teil, viele davon aus dem Westen und Süden Deutschlands, aber auch Zehntausende aus der Berliner und ostdeutschen katholischen Diaspora. Ein ähnliches Heimspiel sollte Benedikt am folgenden Abend bei einem Gottesdienst im katholisch geprägten Thüringer Eichsfeld haben, wo fast 100.000 Menschen mit ihm beteten und ihm zujubelten.
Luthers Theologie
Doch ebenfalls in Thüringen, im Erfurter Augustinerkloster, in dem einst Martin Luther als katholischer Mönch seinen theologischen Weg begann, kam es am zweiten Tag der Reise dann wieder zu Missverständnissen und Kritik. Ein akribisch vorbereitetes Treffen mit Spitzenvertretern des deutschen Protestantismus hatten einige Medien zu einem Ereignis mit historischem Potenzial für die Überwindung der katholisch-evangelischen Kirchenspaltung hochgeschrieben. Es schien nicht ausgeschlossen, dass der deutsche Papst im Kloster Luthers etwas verkünden würde, was die Wiedergewinnung der durch Reformation und Glaubenskriege zerstörten Kirchengemeinschaft möglich machte.
Tatsächlich hatte der Papst eine grundlegende, positive Neubewertung von Luthers Theologie im Gepäck, die - wenn die kirchenpolitischen Erwartungen nicht im Vorfeld so hoch gewesen wären - wohl eine Sensation hätte werden können. So aber sah sich Benedikt XVI. genötigt, erst einmal die falschen Erwartungen aus dem Weg zu räumen.
Er tat dies mit dem fatalen Satz, dass er, anders als von manchen erwartet, kein "ökumenisches Gastgeschenk" mitbringe. Es sei ein "politisches Missverständnis des Glaubens", wenn man meine, Unterschiede zwischen den Konfessionen könnten Theologen ähnlich wie Diplomaten in der Politik durch Verhandeln und durch Kompromissformeln überwinden. Mit dieser Absage an eine von manchen erhoffte Annäherung zwischen der katholischen und den protestantischen Kirchen löste der Papst eine tiefe Enttäuschung aus.
Aufruf zur "Entweltlichung"
Ähnlich schrill waren die Misstöne, die zwei Tage danach die bislang letzte große Papstrede auf deutschem Boden auslöste. Im Konzerthaus in Freiburg sprach Benedikt XVI. zu prominenten Katholiken aus Kirche, Politik und Gesellschaft. Ausgerechnet dort, wo der Deutsche Caritasverband seinen Sitz hat, der mit seinen Untergliederungen den größten katholischen Sozialkonzern Deutschlands bildet, warb der Papst für eine radikale "Entweltlichung" der Kirche. Nicht Geldmittel, Personalstärke und Strukturen seien entscheidend, sondern der Glaube, so der Kern seiner Botschaft.
Die Kirche dürfe sich nicht in dieser Welt einrichten und sich nicht den Maßstäben der Welt angleichen. Denn dann gäbe sie der "Organisation und Institutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung zu der Offenheit auf Gott hin". Und weiter: Eine "von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben."
Die Rede löste in der katholischen Kirche in Deutschland eine lang anhaltende hitzige Debatte aus. Vor allem Vertreter katholischer Verbände und der Caritas kritisierten den Aufruf zur "Entweltlichung" als Signal in die falsche Richtung. Auch wurde der Aufruf, sich von Privilegien zu trennen, als eine Absage an das Kirchensteuer-System verstanden, dessen Milliarden-Erträge der katholischen Kirche in Deutschland viele soziale, karitative und kulturelle Aktivitäten ermöglicht.
Die innerkirchliche Kritik trug dazu bei, dass die vom Papst herbeigesehnte positive Energie, die der Kirche aus einer Entweltlichung zuwachsen sollte, kaum wahrgenommen wurde. Das Schlagwort wurde missverstanden als Signal zum Rückzug aus der Gesellschaft. So ist der Begriff derjenige, der von dieser Reise am längsten in Erinnerung geblieben ist.