DOMRADIO.DE: Wie viele andere Menschen auch haben Sie an diesem Wochenende die Gedanken zurück schweifen lassen an die Zeit, in der Joseph Ratzinger als Deutscher das Papstamt innehatte. Sie schreiben, sie erinnern sich als Gemeinschaft mit Zuneigung und tiefer Dankbarkeit an ihn.
Pfarrer Dr. Matthias Leineweber (Zweiter Vorsitzender von Sant’Egidio Deutschland): Ich denke, dass Papst Benedikt das große Verdienst hatte, das Erbe von Johannes Paul II. aufzugreifen und das Zweite Vatikanische Konzil in die heutige Zeit zu übersetzen.
Er war ein Theologe, der dieses Konzil sehr mitgeprägt und mitgestaltet hat, die Veränderungen der Kirche gekannt hat und versucht hat, diese Kirche in die heutige Zeit zu übersetzen und den Dialog mit der heutigen Gesellschaft zu beginnen.
Er hat es mehr auf intellektuelle Weise getan, aber das ist ihm, glaube ich, sehr gut gelungen. Er hat dabei die großen Fragen aufgegriffen, die Frage der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens. Das ist ein wichtiges Erbe, das er uns hinterlässt.
DOMRADIO.DE: Welche Verbindungen bestanden zwischen Sant'Egidio und dem Papst Emeritus?
Leineweber: Er hat die Enzyklika "deus caritas est" geschrieben. Dort steht, dass die Gottesliebe und die Nächstenliebe zwei Seiten einer Medaille sind. Das passt sehr gut zur Spiritualität von Sant'Egidio.
Er hat sehr oft die sozialen Projekte der Gemeinschaft besucht und versucht zu unterstützen, wo die Laien-Gemeinschaft Nächstenliebe praktiziert; sei es im Zentrum zur Bekämpfung von AIDS oder in der Mensa für Obdachlose.
Auch die Frage des interreligiösen Dialogs, den Papst Johannes Paul II. begonnen hat, hat er aufgegriffen. Da war er zunächst skeptisch. Als er aber den interreligiösen Dialog 1986 in Assisi in der Praxis gesehen hat, änderte er seine Meinung und fand, dass das wirklich ein guter Weg wäre, in den interreligiösen Dialog zu treten.
DOMRADIO.DE: An welche konkreten Begegnungen zwischen Ihrer Gemeinschaft und Benedikt XVI. erinnern Sie sich?
Leineweber: Ich erinnere mich an einen wunderschönen Gedenkgottesdienst in der Basilika St. Bartholomäus in Rom. Die Basilika ist ein Gedenkort, den Sant'Egidio betreut. Wir gedachten der Märtyrer des 20. und 21. Jahrhunderts.
Benedikt war einer, der auch den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hat, der die Verfolgung des Nationalsozialismus sehr gut kannte. Er hat die kommunistische Zeit in der DDR und dem ganzen Ostblock verfolgt und er hatte ein tiefes Gespür für Christen, die in schwierigen Situationen leben. Das war eine sehr schöne Begegnung.
Auch das Friedenstreffen der Religionen in Neapel, an dem er teilgenommen hat, ist in Erinnerung geblieben. Dort habe ich ihn als sehr offen erlebt und als Menschen, der sehr gütig auf andere zugegangen ist. Er wollte die katholische Lehre nicht aufoktroyieren, sondern als Gesprächspartner ein gütiger Mensch sein, der offen für die anderen ist.
DOMRADIO.DE: Der Tod von Papst Benedikt XVI. hat das Wochenende bestimmt. Es gab aber auch noch den 56. Weltfriedenstag der katholischen Kirche. Sie haben auf allen Kontinenten bei Veranstaltungen die diesjährige Botschaft von Papst Franziskus "Niemand kann sich alleine retten" verbreitet. Wie ist diese Botschaft gemeint?
Leineweber: Papst Franziskus geht in seiner Botschaft sehr stark auf die Pandemie ein und sagt, dass wir aus der Pandemie Lehren ziehen müssen, dass wir die großen Krisen unserer Zeit, wie eben Covid-19, die Klimakrise, den Krieg in der Ukraine und viele andere Probleme nicht allein lösen können, sondern nur gemeinsam und miteinander.
Wir als Staaten, als Gesellschaften, aber auch als Kirche und Christen insgesamt und Menschen guten Willens müssen lernen, mehr zusammenzuarbeiten und nicht das Nationale oder das Konfessionelle zu betonen.
DOMRADIO.DE: Ihre Arbeit endet nicht mit dem Weltfriedenstag am 1. Januar. Wie wollen Sie ihre Arbeit in diesem Jahr insbesondere mit Blick auf die Ukraine bewerkstelligen?
Leineweber: Die müssen wir auf verschiedenen Ebenen leisten. Der Papst sagt: "Jeder ist für den Frieden verantwortlich." Das ist die persönliche Ebene. Die spirituelle Ebene ist, dass jeder diesen Frieden im Herzen trägt.
Wir sind zwar eine Laien-Gemeinschaft, haben keine politische Entscheidungsgewalt, aber wir können zum Beispiel Flüchtlinge aufnehmen. Wir stärken unsere Hilfslieferungen in die Ukraine, um die Opfer von Gewalt zu unterstützen, aber auch um Gesprächsfäden mit Vertretern der Kirche oder aus der Politik zu finden, um auf diesem Weg den Frieden zu unterstützen.
Wir planen in diesem Jahr ein großes Treffen in Deutschland. In Berlin wird das große internationale Friedenstreffen der Weltreligionen vom 10. bis 12. September stattfinden. Auch da hoffen wir, ein großes Signal für den Frieden in der Ukraine auszusenden.
Das Interview führte Katharina Geiger.