SOLWODI warnt vor Ausbeutung von Geflüchteten in Deutschland

"Wo hört legitime Mithilfe auf?"

Die OSZE beobachtet seit Kriegsbeginn einen starken Anstieg im Menschenhandel mit ukrainischen Frauen und Kinder. Diese würden für sexuelle Dienste und pornografische Darstellungen ausgebeutet. In Deutschland drohten andere Gefahren.

Zwei ukrainisch sprechende Helfer (r) sprechen an einem Info-Point am Münchner Hauptbahnhof für geflüchtete Ukrainer mit einer Frau aus der Ukraine / © Matthias Balk (dpa)
Zwei ukrainisch sprechende Helfer (r) sprechen an einem Info-Point am Münchner Hauptbahnhof für geflüchtete Ukrainer mit einer Frau aus der Ukraine / © Matthias Balk ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie kümmern sich unter anderem um Mädchen und Frauen, die als Prostituierte ausgebeutet werden. Haben Sie feststellen müssen, dass seit Kriegsbeginn in der Ukraine viele ukrainische Geflüchtete im Milieu aufgetaucht sind?

Dr. Maria Decker (Vorsitzenden der katholischen Frauenhilfsorganisation SOLWODI): Wir haben ein etwas differenzierteres Bild. Wir haben in den Internetforen der Freier eine sehr starke Erwartungshaltung bezüglich der ukrainischen Frauen gesehen. Die hat sich zum Teil in sehr menschenverachtenden und anderen schlimmen Posts gezeigt. Wir haben auch gehört, dass an den Ankunftsbahnhöfen versucht wurde, Frauen mitzunehmen, abzugreifen und irgendwo hinzubringen.

Wir müssen aber sagen, das hat nicht gefruchtet. Die Zivilgesellschaft und die staatlichen Organe haben gut reagiert. Wir machen in vielen Städten aufsuchende Arbeit. Das heißt, wir gehen ins Prostitutionsmilieu, auf den Straßenstrich und in die Bordelle, und wir treffen keine Geflüchteten aus der Ukraine an. Das gilt nicht nur für uns, sondern das bestätigen uns auch andere Organisationen, die ähnliche Arbeit machen wie wir.

DOMRADIO.DE: Wie erklären Sie sich das?

Decker: Es wurden sehr schnell Aufklärungsmaßnahmen eingeleitet, nachdem bekannt wurde, dass an den Ankunftsbahnhöfen eine schwierige Situation herrscht. SOLWODI und andere Organisationen haben mehrsprachige Flyer entwickelt, um die Frauen vor diesen Gefahren zu warnen. Diese Flyer wurden schon in den Zügen nach Deutschland verteilt.

Außerdem haben wir bei den Behörden darauf gedrängt, dass jeder, der eine geflüchtete Frau mitnehmen wollte – sei es für Transport oder Unterkunft – registriert wird, um den Gefahren einen Riegel vorzuschieben.

Eine Rolle wird auch die Ausbildung gespielt haben. Viele der Frauen, die gekommen sind, sind gut ausgebildet und daher nicht so leicht auf falsche Versprechungen reingefallen. Denn die Betroffene von Menschenhandel stammen in der Regel aus sehr prekären und bildungsfernen Milieus. Das trifft auf die Ukrainerin definitiv nicht zu.

Ein weiter Grund sind die staatlichen Hilfen, die die Frauen recht schnell bekommen haben. Sie haben Zugang zu Deutschland und einen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten. All das hat dazu geführt, dass die Notlage der Ukrainerinnen nicht so dramatisch war, dass sie auf solche Versprechungen hätten eingehen müssen.

Dr. Maria Decker, Vorsitzenden der katholischen Frauenhilfsorganisation SOLWODI

"Es ist toll, dass so viele Tausende Frauen aus der Ukraine aufgenommen, beherbergt, unterstützt und geholfen haben, aber leider gibt es darunter auch ein paar schwarze Schafe."

DOMRADIO.DE: Für Deutschland sehen Sie eine andere Gefahr. Es geht um Ausbeutung durch ungerechte Arbeitsverhältnisse. Was ist da so gefährlich?

Decker: Ja, das Potenzial für Ausbeutung sehen wir für Deutschland eher im privaten Bereich. Es ist toll, dass so viele Tausende Frauen aus der Ukraine aufgenommen, beherbergt, unterstützt und geholfen haben, aber leider gibt es darunter auch ein paar schwarze Schafe.

Wir haben in der Beratung Frauen gehabt, die keine Arbeit aufnehmen können, weil von Ihnen gefordert wird, im Gegenzug für den kostenlosen Aufenthalt den Haushalt zu schmeißen oder die bettlägerige Oma zu pflegen. Das ist Arbeitsausbeutung. Das geht nicht.

Dr. Maria Decker, Vorsitzenden der katholischen Frauenhilfsorganisation SOLWODI

"Die Frage ist: Wo hört legitime Mithilfe auf und wo fängt Arbeitsausbeutung an? Da ist eine Grauzone."

Für die Frauen ist das schwierig zu erkennen, weil sie dankbar sind und entsprechend mithelfen möchten. Die Frage ist: Wo hört legitime Mithilfe auf und wo fängt Arbeitsausbeutung an? Da ist eine Grauzone.

Wir versuchen durch Trainings unserer Ehren- und Hauptamtlichen, die mit den Ukrainerinnen zu tun haben, für das Problem zu sensibilisieren, damit die Zeichen von Ausbeutung erkannt werden und die Frauen darauf angesprochen werden können. So können wir dem Phänomen begegnen.

DOMRADIO.DE: Ukrainerinnen werden gerne aufgenommen, Syrerinnen oder Afghaninnen nicht. Was zeigt das?

Decker: Das haben wir in der Tat schon gehört. Wir sehen mit Sorge, dass derzeit eine Zweiklassengesellschaft von Geflüchteten entsteht. Für die Ukrainerinnen wird sehr viel getan – das ist gut und richtig so – aber für andere Geflüchtete eben nicht.

Das sehen die anderen Geflüchteten selbst. Neulich sagte eine Syrerin in der Beratung zu mir: "Ich komme aus Aleppo. Meine Stadt wurde auch von Putins Bombern zerstört, aber mir wird es so viel schwerer gemacht. Warum ist das so?"

Die anderen Flüchtlinge gönnen es den Ukrainerinnen, aber es wäre großartig, wenn diese wirklich tolle Aufnahme von Flüchtlingen sich auf alle Betroffenen von Gewalt und Not ausdehnt.

Das Interview führte Heike Sicconi.

Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Version des transkribierten Interviews hieß es: "Für die Frauen ist das schwierig zu erkennen, weil sie dankbar sein möchten und entsprechend mithelfen möchten." Dieser Satz wurde im gesprochenen Interview jedoch korrigiert, sodass wir ihn aus eigenem redaktionellen Willen präzisiert haben: "Für die Frauen ist das schwierig zu erkennen, weil sie dankbar sind und entsprechend mithelfen möchten."

Frauenhilfsorganisation SOLWODI

Die Frauenhilfsorganisation SOLWODI existiert seit 1985. Das Kürzel steht für SOLidarity with WOmen in DIstress (Solidarität mit Frauen in Not). Die Ordensfrau Lea Ackermann gründete die Organisation zunächst, um damit kenianischen Frauen aus der Elendsprostitution herauszuhelfen. 

Symbolbild Gewalt an Frauen / © Doidam 10 (shutterstock)
Symbolbild Gewalt an Frauen / © Doidam 10 ( shutterstock )
Quelle:
DR