DOMRADIO.DE: Wenn man in Europa von der christlichen Seefahrt spricht, denkt man an die Handelsmacht Venedig, die Koggen der Hanse, die Caravellen Spaniens, vielleicht noch an die Flotten der Malteserritter und Johanniter. Aber dass auch die Päpste schon seit dem neunten Jahrhundert Schiffe auf den Meeren hatten, ist kaum bekannt. Wie hat das denn mit den Schiffen angefangen?
Ulrich Nersinger (Papst-Experte): Das hat durch eine Art von Bedrohung angefangen. Etwa im neunten Jahrhundert machten die ersten Flotten der Sarazenen und von Piraten-Korsaren die Küsten des Kirchenstaates unsicher. Mit der Zeit waren die Päpste gezwungen, zu handeln. Der Kaiser saß im fernen Konstantinopel.
Deshalb mussten die Päpste auch zu gewissen militärischen Maßnahmen greifen. Sie mussten eine eigene Flotte aufstellen.
Und Johannes VIII. hat als einziger Papst überhaupt sogar eine generische Flotte als Admiral geschädigt. Er hat es im 19. Jahrhundert geschafft, eine Flotte am Kap der Circe in Italien zu besiegen und eine ganze Reihe von christlichen Galeeren-Sklaven zu befreien.
DOMRADIO.DE: Und in Ostia befand sich der Hafen der päpstlichen Flotte?
Nersinger: Zunächst in Ostia, dann in Antium, das ist ja nicht allzu weit entfernt. Später dann auch auf der anderen Seite der italienischen Halbinsel. Viel, viel später wurde dann Ancona eine päpstliche Hafenstadt, sogar eine päpstliche Festung.
DOMRADIO.DE: Und es ist tatsächlich auch mal ein Papst per Schiff aus Rom geflohen.
Nersinger: Ja, Eugen IV. kam unter Druck der römischen Adelsfamilien in Form eines Aufstandes und musste dann über den Tiber fliehen. Das ist auch gelungen.
Aber wir haben noch viel abenteuerlichere Reisen: Zum Beispiel waren die Päpste im 14. Jahrhundert in Avignon und mussten irgendwann wieder zurück. Dann ist der ganze päpstliche Hof via Schiffsweg nach Rom zurückgekehrt.
Oder wir haben Hadrian VI., den letzten deutschen Papst vor Benedikt XVI. Der war in Spanien Erzieher des Kaisers, ist dann im Konklave gewählt worden und musste mit einer kleinen Flotte aus Spanien nach Rom geholt werden.
DOMRADIO.DE: Waren die Schiffe des Papstes denn eher in friedlicher beziehungsweise Verteidigungsmission unterwegs oder gab es auch eine vatikanische Angriffsflotte?
Nersinger: Nein, es gab immer nur eine Defensivflotte. In ein, zwei Fällen kann man von Rückeroberungen sprechen. Aber es ist eigentlich immer eine defensive Flotte gewesen, also nie eine Flotte, die angegriffen hat, die immer nur verteidigen wollte und die sich auch nicht in irgendwelche nationalen Seestreitigkeiten hineinziehen ließ.
Kämpferisch war sie gegen die damalige Politik der Hohen Pforte, also des Osmanischen Reiches. Da war sie zwar nicht von der Anzahl der Schiffe führend, aber in der Hinsicht, dass der Papst es geschafft hat, europäische Mächte zu einigen. Aber man kann immer sagen, die päpstliche Flotte ist eigentlich eine Defensivflotte gewesen.
DOMRADIO.DE: Welche Flotten-Geschichte hat Sie denn am meisten begeistert?
Nersinger: Da gibt es eine ganze Reihe. 1823 gab es einen furchtbaren Brand in Rom, wo Sankt Paul vor den Mauern abbrannte. Damals wollten sehr, sehr viele europäische und außereuropäische Nationen beim Wiederaufbau helfen. Ein muslimischer Potentat, der Vizekönig von Ägypten, bot dem Papst an, Marmorblöcke aus seinem Reich zu stiften, mit der einzigen Bedingung: Sie mussten vom Papst, also von seiner Flotte, selber abgeholt worden werden. Das hat er getan.
Eine kleine Expeditionsflotte mit Schiffen, mit denen man heute wahrscheinlich noch nicht mal einen Ausflug machen würde, hat es tatsächlich geschafft, Ägypten zu erreichen. Die Schiffe haben dort gewartet bis die Blöcke fertig waren und haben sogar noch eine Exkursion bis zur Insel Philae gemacht.
DOMRADIO.DE: Unterhält der Vatikan denn heute noch Schiffe?
Nersinger: Theoretisch ja, praktisch nein. Nach dem Ende des Kirchenstaates ging auch die päpstliche Marine zu Ende. Es gab keine päpstliche Flotte mehr, auch keine Handelsflotte. Dann hat man das ein bisschen ruhen lassen.
Aber es kamen immer wieder Gelegenheiten, wo man gedacht hat: Das wäre doch mal eine Überlegung wert. In den 1940er Jahren hat sich Frankreich an den Papst gewandt und gefragt, ob man nicht unter neutraler Flagge Hilfsgüter von Italien, England oder von einem anderen Land nach Frankreich bringen könnte. Der Papst hat gesagt, dass es theoretisch möglich wäre. Seit 1929, also seit der Gründung des Vatikanstaates, hätte man die Möglichkeit. Aber man hatte damals versäumt, alles rechtlich zu ordnen.
Im Jahre 1951 hat man dann reagiert. Der Papst hat ein Dekret über die Schifffahrt unter vatikanischer Flagge erlassen. Ich habe dieses Dekret auch in meinem Buch übersetzt. Es ist ganz interessant, zu lesen, was da alles verlangt wird. Es ging darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Als Heimathafen gilt der Palast der weltlichen Verwaltung des Vatikanstaates, der natürlich völlig im Landgebiet liegt, den also kein Tropfen Wasser berührt.
Paul VI. hatte überlegt, im Libanonkrieg Schiffe unter seiner Flagge fahren zu lassen. Im Jahr 2018 haben sich eine Reihe von Flüchtlingsorganisationen, die auf dem Mittelmeer Flüchtlinge retteten, an den Vatikan gewandt und gefragt, ob es nicht möglich wäre, diese Schiffe unter vatikanischer Flagge fahren zu lassen.
Das ist damals negativ beantwortet worden. Aber nicht aus ideologischen oder aus Gründen der Ablehnung, sondern es müssen die Bedingungen stimmen, die dafür notwendig sind, damit ein Schiff unter vatikanischer Flagge fahren kann.
Das Interview führte Heike Sicconi.