Tierethikerin wirbt für komplett neuen Blick auf Tiere

Tierwohl-Begriff Problem statt Teil der Lösung

"Tierwohl" ist ab diesem Freitag auf der Grünen Woche ein häufig genutzter Begriff. Die Theologin und Tierethikerin Simone Horstmann hält das für problematisch. Das Leid der Tiere werde nur minimal gelindert, das System gestützt.

Ein Tierarzt in einem Schweinestall / © Dusan Petkovic (shutterstock)
Ein Tierarzt in einem Schweinestall / © Dusan Petkovic ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Seit gut einem Jahr ist mit Cem Özdemir ein Grüner Landwirtschaftsminister. Hatten Sie die Hoffnung, dass dieser Minister den Schutz von Tieren und Natur mehr im Blick hat als seine Vorgängerinnen und Vorgänger? 

Tierethikerin und Theologin Simone Horstmann / © Simone Horstmann
Tierethikerin und Theologin Simone Horstmann / © Simone Horstmann

Simone Horstmann (Theologin und Tierethikerin, TU Dortmund): Gemessen an der Arbeit seiner Vorgängerin Julia Klöckner, die das Thema im Wesentlichen eigentlich nur verwaltet und von links nach rechts geschoben hat, bestand sicherlich Grund zur Hoffnung.

Beide haben aber gemeinsam, dass sie eine Grundsatzfrage sehr sorgfältig umschiffen, auch wenn man Özdemir sicherlich zugutehalten sollte, dass er ambitionierter vorgeht.

Es ist die Frage, warum wir eigentlich ein System, was auf so vielen Ebenen wie beispielsweise im Bereich der Tiere, aber auch im Bereich der Menschen, die in der Tier-Industrie arbeiten, schlecht ist, tatsächlich reformieren wollen. Das wäre auch der Punkt, der mir als Tierethikerin wichtig wäre. 

DOMRADIO.DE: Landwirtschaftsminister Özdemir hat im Sommer schon Eckpunkte für ein neues Tierwohl-Label vorgestellt. Jetzt will er auch die Haltung von Tieren verbessern. Ihnen als Tierethikerin müssten diese Pläne doch gefallen, oder? 

Cem Özdemir / © Marijan Murat (dpa)
Cem Özdemir / © Marijan Murat ( dpa )

Horstmann: Der Begriff Tierwohl ist sehr, sehr ambivalent. Er spielt auf der einen Seite natürlich mit der richtigen und wichtigen Intention von vielen Menschen, die merken, dass die Gewalt an Tieren, die in der Tierindustrie auf der Tagesordnung steht, ein Problem ist und dass man davon wegkommen möchte.

Simone Horstmann, Theologin und Tierethikerin

"Ich würde sagen, es geht immer um ein bisschen weniger Tierleid. Und das ist dann eher Problem als Teil der Lösung."

Nur, der Begriff Tierwohl selber ist natürlich eine Vokabel, die suggeriert, dass diese minimalistischen Änderungen, die damit tatsächlich gemeint sind, ausreichend sind, um dieses System zu überwinden.

Das Problem des Tierwohl-Begriffes besteht politisch gesprochen darin, dass diese Vokabel und das Konzept dazu beitragen, das System nicht zu reformieren, sondern es zu stabilisieren.

Zum anderen wird der Eindruck erweckt, es gehe tatsächlich um Tierwohl. Ich würde sagen, es geht immer um ein bisschen weniger Tierleid. Und das ist dann eher Problem als Teil der Lösung. 

Schweine in einem Gehege / © Dusan Petkovic (shutterstock)
Schweine in einem Gehege / © Dusan Petkovic ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die ethische Frage wird in der Debatte um die Haltung also eher ausgeklammert. Gibt es denn überhaupt eine ethisch legitime Form, Tiere zu halten? 

Horstmann: Das ist tatsächlich eine schwierige Frage. Wenn man voraussetzt, dass man Tieren zunächst mal gerecht werden will, ihnen auch als moralisch wichtigen Wesen entsprechen möchte, tue ich mich sehr, sehr schwer damit, mir vorzustellen, wie das funktionieren kann, zumindest gemessen an den Umsetzungsformen, die wir heute in der Regel vor Augen haben, wenn wir über Tierhaltung sprechen.

Es gibt in England etwa ganz vorsichtige Ansätze, die versuchen ein Tausch-Verhältnis einzuüben, was auf Gegenseitigkeit basiert. Dies besteht darin, dass man Tiere hegt und pflegt, aber beispielsweise auch mal von den Kühen einen Liter Milch nimmt.

Nur ist das in keinster Weise profitabel. Das muss man dazu sagen. Da würde man einen dreistelligen Betrag für den Liter Milch zahlen. Insofern passt es vor dem Hintergrund eines ökonomischen Systems ganz sicher nicht mehr. 

Simone Horstmann, Theologin und Tierethikerin

"Das Problem des Tierwohl-Begriffes besteht politisch gesprochen darin, dass diese Vokabel und das Konzept dazu beitragen, das System nicht zu reformieren, sondern es zu stabilisieren."

DOMRADIO.DE: Schlagwörter wie Tierwohl oder Artenschutz sind Schlagwörter, die auf der Grünen Woche immer wieder auftauchen. Auch Landwirtinnen und Landwirte beanspruchen für sich, mehr für das Tierwohl tun zu wollen. Aber welches Selbstverständnis von uns als Menschen legen solche Begriffe Ihrer Meinung nach offen? 

Horstmann: Sie zeigen eigentlich relativ deutlich, dass wir immer noch davon ausgehen, dass wir als Spezies herausgehoben sind, dass wir einen ganz eigenen Status über allen anderen Spezies dieser Welt haben.

Wenn man das so sagt, wird schnell deutlich, was für ein Irrsinn das eigentlich ist. Ich glaube, dass wir uns hier viel klarer darüber verständigen müssen, welche Distinktionsgewinne, also welche Gewinne an Selbstprofilierungsmaßnahmen, wir dadurch erzielt haben, dass wir uns von anderen Tieren abgegrenzt haben. 

Das Interview führte Katharina Geiger.

Quelle:
DR