DOMRADIO.DE: Volker Leppin, Mitherausgeber des Dokuments "Gemeinsam am Tisch des Herrn", widerspricht Benedikt XVI. bei der Aussage, Abendmahl und Eucharistiefeier seien grundlegend unvereinbar. Er bezieht sich dabei auf die Bibel. Wir mögen doch den Aussagen der Schrift folgen, Jesus Christus schenke sich selbst. Aus dieser Grundlage könne man kein grundverschiedenes Abendmahlverständnis erkennen, sagt er. Können Sie das nachvollziehen?
Prof. Wolfgang Thönissen (Langjähriger Direktor am Johann-Adam-Möhler Institut für Ökumenik in Paderborn): Die Schwierigkeit bei der Verhältnisbestimmung von katholischem und evangelischem Verständnis liegt darin, dass der Ausgangspunkt bei Luther liegt. Hat Luther ein völlig anderes Abendmahlsverständnis entworfen als das katholische? Das ist die Frage, die vor uns steht. Die ist nicht einfach zu beantworten. Denn so wie ich das jetzt pointiert habe, stimmt das natürlich nicht.
Man muss sehen, wo man ansetzt. Ansetzen müssen wir bei der Kritik Luthers am Verständnis der Eucharistie und des Opfers am Ende des Mittelalters. Hier hat sich eine bestimmte Entwicklung durchgesetzt, die so aussah, dass die Kirche, die Gläubigen Gott ein Opfer darbringen. Das sah Luther in der Theologie der damaligen Zeit als das herausragende Merkmal des Eucharistieverständnisses.
Er griff auf die Bibel zurück und hat gesagt, dies sei nicht das Verständnis der Bibel, sondern die Bibel sage es genau umgekehrt. Christus schenkt sich den Menschen und deswegen werden die Menschen in dieses Geschenk mit einbezogen und können deswegen auch Eucharistie feiern.
Die Kritik Luthers muss man ernst nehmen und daraus dann folgende Frage stellen: Heißt das, es gibt zwei verschiedene, niemals mehr zu vereinbarende Verständnisse? Ich wollte die Frage so hart und krass, wie Papst emeritus Benedikt XVI. das jetzt gesagt hat, nicht beantworten.
Der ökumenische Dialog hat viele Annäherungen gezeigt. Aber natürlich bleiben Unterschiede. Und diese Unterschiede haben jetzt damit zu tun.
Das ist jetzt das Komplizierte, dass sich auch in den evangelischen Kirchen in den letzten Jahrhunderten eine Weiterentwicklung gezeigt hat.
Diese Weiterentwicklung geht natürlich über Luther hinaus. Das heißt, wir haben heute eher ein protestantisches allgemeines Verständnis von Abendmahl. Das wiederum ist mit dem katholischen Eucharistieverständnis nicht kompatibel, stimmt also nicht überein. Das macht diese ganze Problematik aus.
DOMRADIO.DE: Benedikt XVI. ging in seiner Kritik noch tiefer und schrieb auch vom unterschiedlichen Priesterverständnis der Katholiken und Protestanten. Dies sei eine lang ignorierte Wunde, die endlich aufgegriffen und diskutiert werden müsse. Er gibt zu bedenken, dies sei ebenso wichtig wie schwierig, weil daran das gesamte Problem der Schriftauslegung hänge, deren Hermeneutik durch Luther definiert wurde. Wo liegt da der Konflikt?
Thönissen: Das Problem liegt auch hier wieder am Ausgang des späten Mittelalters. Das Priesterverständnis, das im Mittelalter allgemein vorherrschte - nicht lehramtlich im eigentlichen Sinne, aber das Luther vor sich hatte - war eine Zweiteilung. Hier der Priester, der als einziger Mittler zwischen den Menschen und Gott steht, also Christus. Und auf der anderen Seite die Laien.
Dieses Verständnis einer zweigeteilten Kirche war sehr stark im Umlauf gewesen. Jetzt hat Luther mit dem Verständnis des allgemeinen Priestertums, wonach auch der Laie, der Gläubige in einer bestimmten Weise Priester sein könne, diese Auffassung zu kritisieren versucht.
Aber Luther hat daran festgehalten. Christus ist der Hohe Priester. Damit hat er den Zusammenhang zwischen Altem und Neuem Testament gehalten. In dieser Weise kann der Mensch nur Priester sein, wenn er von Christus in seine Gemeinschaft hineingenommen wird. Das bedarf einer gewissen Gestaltung. Aber der Priester steht nicht alleine Christus gegenüber, sondern er ist sein Repräsentant.
Über dieses Verständnis haben wir ökumenisch in den letzten Jahrzehnten sehr viel Verständigung erzielt. Aber auch hier gilt wiederum, dass wir heute aus dem evangelischen Bereich viele Stimmen hören, die sagen: "Weg mit dem Priesterbegriff, mit dem können wir nichts mehr anfangen. Das ist eine Überhöhung des menschlichen Handelns."
In diesem Punkte hat Papst Benedikt natürlich recht gehabt, wenn er das kritisiert hat. Auf diesem Weg kommen wir so nicht weiter. Also, Luther hat den Priesterbegriff nicht abgelehnt, aber er wollte eine Modifizierung.
DOMRADIO.DE: Der emeritierte und jetzt verstorbene Papst kritisierte auch das Zweite Vatikanische Konzil, das nicht für klarere Verhältnisse bei den Definitionen des Priesterbildes geführt hat. Hat er damit recht oder ist das eher eine Grundsatzkritik am Konzil?
Thönissen: Er hat auf eine gewisse Weise recht. Warum? Das Zweite Vatikanische Konzil und auch die große Kirchenkonstitution Lumen gentium, also das Dokument über die Kirche, hat die Fülle des Weihe- und Priester-Sakramentes im Bischofsamt gesehen. Darauf hat das Zweite Vatikanische Konzil sein gesamtes Augenmerk gelegt. Dabei stellt sich die Frage, was jetzt der Priester im Blick auf den Bischof darstellt? Diese Frage ist nicht mehr behandelt worden, nicht mehr ausreichend theologisch-dogmatisch geklärt worden.
Ist der Priester Seelsorger oder was ist er im Zusammenhang oder in Verbindung mit dem Bischof? Das ist eine Ratlosigkeit, die durch das Konzil faktisch herbeigeführt worden ist.
Das ist sicher heute eine der schwierigsten Fragen, die das Konzil uns überlassen hat, die Verhältnisbestimmung von Bischof, Priester, Diakon im Blick auf die Gläubigen als Ganzes. Über diese Frage müssen wir dringend in den nächsten Jahren theologisch diskutieren. Das hat das Konzil nicht geleistet.
Das Interview führte Michelle Olion.