Theologische Texte von Benedikt XVI. postum erschienen

"Sprituelles Fast-Testament"

Ein Buch mit theologischen Texten des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. ist seit Mittwoch im Buchhandel erhältlich. Unter dem Titel "Was ist das Christentum?" gibt es 16 Texte aus der Zeit nach Benedikts Rücktritt vom Papstamt 2013.

Papst Benedikt XVI. im Jahr 2006 / © Alessia Pierdomenico (shutterstock)
Papst Benedikt XVI. im Jahr 2006 / © Alessia Pierdomenico ( shutterstock )

Die meisten der Texte wurden um das Jahr 2018 verfasst, der letzte 2022. Erschienen ist es im italienischen Verlag Mondadori.

Das "spirituelle Fast-Testament", wie es im Untertitel heißt, enthält neben bereits veröffentlichten Texten, Interviews und Briefwechseln auch Material, das bislang nicht öffentlich zugänglich war. Dazu zählen Aufsätze etwa zum Begriff der Religion oder zum Thema Monotheismus und Toleranz.

 Papst Benedikt XVI. im Jahr 2010 (KNA)
Papst Benedikt XVI. im Jahr 2010 / ( KNA )

Für das Buch habe Benedikt zudem auch einige ältere Texte, etwa zum katholischen Priestertum, überarbeitet und ergänzt, heißt es in dem Vorwort von Mit-Herausgeber Elio Guerriero. Neben ihm betreute auch Benedikts Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, das Projekt.

Gemeinsame Abendmahlfeiern nicht möglich

In dem Buch legt Benedikt in einem Aufsatz dar, dass er gemeinsame Abendmahlsfeiern von Katholiken und Protestanten wegen grundlegender Unterschiede für unmöglich hielt. Teile des Aufsatzes waren bereits 2020 in einem Buch erschienen, das zu großen Teilen Kardinal Robert Sarah geschrieben hatte. Die Auseinandersetzung mit dem Protestantismus ist jedoch neu.

Die wichtigsten Leitlinien des Denkens von Joseph Ratzinger

Benedikt XVI. war der erste Papst der Neuzeit, der freiwillig sein Amt abgab. Dabei berief er sich auf sein Gewissen - obwohl er dieser Instanz stets misstraute und theologisch ganz andere Schwerpunkte setzte. Wie wohl kein Papst vor ihm ist Benedikt XVI. auch auf dem Stuhl Petri ein Theologe geblieben.

Bereits als junger Wissenschaftler gehörte er zu den führenden deutschen Dogmatik-Professoren, die das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) prägten. Später entfremdete er sich immer mehr von seinen Kollegen.

Papst em. Benedikt XVI. am Schreibtisch / © Osservatore Romano/Romano Siciliani (KNA)
Papst em. Benedikt XVI. am Schreibtisch / © Osservatore Romano/Romano Siciliani ( KNA )

Benedikt XVI. beklagt in dem jetzt veröffentlichten Text, dass sich das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) "nicht mit der grundsätzlichen Infragestellung des katholischen Priestertums durch die Reformation des 16. Jahrhunderts auseinandergesetzt" habe. Das sei eine "Wunde, die sich nun bemerkbar macht und die nach meiner Ansicht nun endlich einmal offen und grundsätzlich angegangen werden muss". Der ehemalige Papst gibt zu bedenken, dies sei "ebenso wichtig wie schwierig, weil daran das gesamte Problem der Schriftauslegung hängt, deren Hermeneutik durch Luther definiert wurde".

"Entgegengesetzte theologische Grundlagen"

Benedikt XVI. sieht Luthers grundsätzlichen Fehler darin, dass er einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen dem Priester-Begriff des Alten Testaments und dem von Jesus gestifteten Priestertum konstruiere. Luthers gesamte Konstruktion gründe auf dem Kontrast von Gesetz und Evangelium, zwischen Rechtfertigung durch Werke und Rechtfertigung allein durch den Glauben. In Wahrheit habe aber schon die frühe Kirche das Priestertum des Alten Testaments mit den Dienstämtern des Neuen Testaments verbunden und die Rechtfertigung durch Glauben und durch Werke nicht als Gegensatz gesehen.

Wegen ihrer völlig entgegengesetzten theologischen Grundlagen "sei es ganz klar, dass 'Abendmahl' und 'Messe' zwei grundverschiedene Formen des Kults sind, die einander von ihrem Wesen her ausschließen. Wer heute die Interkommunion predigt, sollte sich daran erinnern", so die posthume Mahnung des ehemaligen Papstes.

Woher kommt Widerstand gegen Alte Messe?

Zu innerkatholischen Streitigkeiten um das Messopfer merkte Benedikt an, bei der Liturgiereform nach 1969 hätten "Luthers Thesen unausgesprochen eine gewisse Rolle gespielt, so dass manche Kreise behaupten konnten, das Dekret des Konzils von Trient über das Messopfer sei stillschweigend abgeschafft worden". Er äußerte daher die Vermutung, dass die Härte des Widerstands gegen die Alte Messe zum Teil auch daher komme, dass manche in ihr eine nicht mehr akzeptable Vorstellung von Opfer und Sühne am Werk sahen."

Zum Schluss seiner bislang unveröffentlichten Überlegungen hält der frühere Papst fest: "Es ist offensichtlich, dass das moderne Denken (...) mit Luthers Ansatz besser zurechtkommt als mit dem katholischen. Denn eine pneumatologische Schriftauslegung, die das Alte Testament als einen Weg hin zu Jesus Christus deutet, ist für das moderne Denken beinahe unzugänglich. Aber dennoch ist klar, dass Jesus nicht im Sinne eines radikalen 'sola fide' gedacht hat, sondern im Sinne einer Erfüllung des Gesetzes und der Propheten. Es ist Aufgabe der neuen Generation, die Voraussetzungen für ein erneuertes Verständnis dessen zu schaffen, was ich hier dargelegt habe."

"Radikale Manipulation des Menschen"

In seinem Buch kritisiert Benedikt auch ein aus seiner Sicht falsches Toleranzverständnis vieler westlicher Staaten. Die "Großmächte der Toleranz" räumten dem Christentum die von ihnen propagierte Toleranz nicht ein, so seine Kritik. Mit ihrer "radikalen Manipulation des Menschen" und "der Verzerrung der Geschlechter durch die Gender-Ideologie" stellten sie sich klar gegen das Christentum, heißt es in einem bislang unveröffentlichten Aufsatz zum Thema "Monotheismus und Toleranz".

Eine Büste des emeritierten Papsts Benedikt XVI. / © Lennart Preiss (dpa)
Eine Büste des emeritierten Papsts Benedikt XVI. / © Lennart Preiss ( dpa )

In dem Ende 2018 verfassten Text erklärte der ehemalige Papst weiter: "Die Intoleranz dieser scheinbaren Modernität gegenüber dem christlichen Glauben ist noch nicht in offene Verfolgung umgeschlagen, und doch zeigt sie sich in zunehmend autoritärer Weise mit dem Ziel, durch entsprechende Gesetzgebung die Auslöschung dessen zu erreichen, was wesentlich christlich ist."

Die Kritik, dass der christliche Glaube durch seinen Wahrheits- und Universalitätsanspruch selbst intolerant sei, teilte Benedikt XVI. nicht. Dieser Auffassung liege der Verdacht zugrunde, dass Wahrheit selbst gefährlich sei. Stattdessen sei aber Toleranz im Wesen der Wahrheit verankert, so das ehemalige Kirchenoberhaupt. Gesellschaften, die sich gegen die Wahrheit stellten, seien intolerant.

"Bibel und Koran unterscheiden sich grundlegend"

Benedikt setzte sich in seinen letzten Lebensjahren weiterhin mit den grundlegenden Unterschieden von Islam und Christentum auseinander. In seinem Buch kritisiert das frühere Kirchenoberhaupt einige gegenwärtige Versuche zum Dialog von Christen und Muslimen. Diese seien oft gekennzeichnet von der "ungenügenden Kenntnis der heiligen Schriften" beider Religionen.

Ferner sei dieser Dialog häufig "strukturell falsch aufgestellt". So werde einerseits betont, dass sowohl in der Bibel wie auch im Koran die Rede sei von der Barmherzigkeit Gottes. Daraus werde der Imperativ der Nächstenliebe abgeleitet. Dann werde aber auch festgestellt, dass sich in beiden Texten Aufrufe zur Gewalt fänden. Und schließlich stelle man sich gewissermaßen über beide Religionen und stelle fest, dass es in beiden Gutes und Schlechtes gebe und es deshalb nötig sei, Bibel und Koran in einer Hermeneutik der Liebe zu lesen und sich mit Blick auf beide der Gewalt entgegenzustellen.

Mischung verschiedener Ebenen

Auf diese Weise, so die Kritik des früheren Papstes, würden aber verschiedene Ebenen vermischt. Anders als die Bibel sei der Koran ein einziges Buch. Es werde von den Muslimen als direkte Inspiration Gottes angesehen und beanspruche deshalb eine von Gott ausgehende Autorität.

Papst Benedikt XVI. im Jahr 2007 / © miqu77 (shutterstock)
Papst Benedikt XVI. im Jahr 2007 / © miqu77 ( shutterstock )

Die Bibel hingegen sei eine über etwa tausend Jahre gewachsene Sammlung von Schriften. Diese seien nach dem Glauben von Juden und Christen nicht unmittelbar von Gott diktiert. Ihre Autorität entwickle sich immer nur in der Interpretation des Weges, den das Volk Gottes unter seiner Führung zurückgelegt habe. Insofern sei der christliche Glaube keine "Buchreligion". Wer diese strukturellen Unterschiede betrachte, werde sich vor übereilten Parallelen zwischen den beiden Religionen hüten.

"Das will ich mir und der Christenheit ersparen"

Laut Mit-Herausgeber Guerriero war Benedikts zwingende Bedingung, das Buch erst nach seinem Tod herauszugeben. "Ich für meinen Teil möchte im Leben nichts mehr veröffentlichen. Die Wut der Kreise gegen mich in Deutschland ist so stark, dass das Erscheinen jedes meiner Worte sofort ein mörderisches Geschrei ihrerseits hervorruft. Das will ich mir und der Christenheit ersparen", zitiert der Herausgeber den Autor. Ein weiterer Wunsch des ehemaligen deutschen Papstes war die Erstausgabe in italienischer Sprache.

Benedikt XVI. schildert in seinem Vorwort vom 1. Mai 2022 seine Erschöpfung nach dem Rücktritt vom Papstamt im Jahr 2013. Nach der Wahl von Franziskus habe er seine theologische Arbeit erst langsam wieder aufgenommen. Die Schriften seien alle in seinem Alterswohnsitz "Mater ecclesiae" in den Vatikanischen Gärten verfasst worden.

Ursprünglich hatte Mondadori das Erscheinen des 190 Seiten umfassenden Buches für den 20. Januar angekündigt.

Quelle:
KNA