Ein Szenario zeigt forcierte Reformgeschwindigkeit, nachdem Papst Franziskus nun nicht mehr auf seinen Vorgänger Rücksicht nehmen müsse; ein Szenario die Fokussierung auf die laufenden/begonnenen Projekte wie den Synodalen Prozess und schließlich ein Szenario einen vorzeitigen Rücktritt "nach einer Schonfrist", so Tück in der Wochenzeitung "Die Furche"
Für das wahrscheinlichste halte er selbst das zweite Szenario, so der Theologe.
Beschleunigung im kirchlichen Reformtempo denkbar
Prinzipiell wäre eine Beschleunigung im kirchlichen Reformtempo denkbar, so Tück. Nachdem sich Benedikt XVI. häufig und pointiert gegen eine "Reformagenda" ausgesprochen habe, die etwa Lockerungen beim Zölibat, die Einführung eines Frauendiakonats, Revisionen der kirchlichen Sexualethik und mehr Mitspracherechte für Laien vorsieht, könnte Franziskus dies nun "freier und forscher" angehen.
Tatsächlich habe sich Benedikt XVI. ja auch nach seiner Emeritierung immer wieder theologiepolitisch zu Wort gemeldet, etwa rund um die Familiensynode 2014/15 oder die Amazonien-Synode 2019.
Das "Narrativ" des Reformers auf der einen Seite und des Bremsers auf der anderen Seite, das auch "in den Medien beliebt" sei, greife jedoch zu kurz, mahnte Tück. Schließlich unterscheide sich Franziskus eher im Stil seiner Amtsführung von Benedikt XVI. als in den theologischen Grundauffassungen.
Was ist realistisch?
Als "realistischeres Szenario" bezeichnete der Dogmatiker daher jenes, dass sich Franziskus angesichts schwindender Kräfte auf den Abschluss der begonnenen Projekte fokussiert. Die damit verbundenen Herausforderungen seien schon enorm. Umso mehr bedürfe es einer "geschickten Navigationskunst" zwischen Selbstmodernisierung und reformskeptischen Stimmen. Tück: "Franziskus wird all seine Kräfte bündeln müssen, um dieses Projekt zu Ende zu bringen".
Denkbar sei schließlich aber auch ein Rücktritt "nach einer Schonfrist", so der Theologe. Schließlich sei im Zuge der Trauerfeiern für Benedikt XVI. ein "gesundheitlich angeschlagener und ausgezehrter Pontifex sichtbar geworden", dem man die Last seines Amtes zunehmend ansehe. Die "Strahlkraft des Anfangs" sei verblasst.
Mit 86 Jahren dürfte es "selbst für Franziskus schwierig sein, der krisengeschüttelten Kirche neuen Schwung zu geben".
Eine Gefährdung des Projekts des Synodalen Prozesses sieht Tück dadurch nicht. Schließlich habe auch der kranke Papst Johannes XXIII. die Agenden des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) seinem Nachfolger überlassen, "ohne dass das Konzil deshalb Schiffbruch erlitten hätte".