Schoah-Überlebende Friedländer bekommt Bundesverdienstkreuz

Sie mahnt für ein "Nie wieder"

Nach dem Naziterror ging Margot Friedländer in die USA und kehrte 2010 doch wieder in ihre Heimatstadt Berlin zurück. Die 101 Jahre alte Zeitzeugin wird an diesem Montag mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.

Autor/in:
Leticia Witte
Margot Friedländer / © Fabian Sommer (dpa)
Margot Friedländer / © Fabian Sommer ( dpa )

"Versuche, dein Leben zu machen" - dieser Satz ist Margot Friedländer von ihrer Mutter geblieben, bevor sie mit ihrem Sohn Ralph, Margots Bruder, deportiert und in Auschwitz ermordet wurde. Der von der Mutter hinterlassene Satz ist auch der Titel von Friedländers Autobiografie, die beschreibt, was es hieß, als Jüdin versteckt in Berlin zu leben - und zu überleben.

Nach dem Krieg ging sie mit ihrem Mann Adolf in die USA und kehrte 2010 wieder dauerhaft in ihre Geburtsstadt zurück. Sie ist eine bekannte Zeitzeugin, die ihre Erlebnisse weiterträgt und über die NS-Verbrechen spricht, vor allem mit Schülern.

Der Holocaust: systematischer Völkermord an sechs Millionen Menschen

Holocaust ist die nahezu weltweit gebräuchliche Bezeichnung für den Völkermord an der jüdischen Bevölkerung Europas durch die Nationalsozialisten. Ihm fielen etwa sechs Millionen Menschen zum Opfer. In Polen wurden rund 90 Prozent der Menschen jüdischen Glaubens umgebracht, in anderen europäischen Ländern wie in Ungarn oder den Niederlanden mehr als 70 Prozent. Der Begriff Holocaust stammt vom griechischen Wort "holokauston" und bedeutet Brandopfer (wörtlich: "ganz verbrannt").

Zaun in Auschwitz-Birkenau / © Markus Nowak (KNA)
Zaun in Auschwitz-Birkenau / © Markus Nowak ( KNA )

"Authentische und entschlossene Stimme"

Am Montag wird die 101-Jährige für ihr Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) übergibt die Auszeichnung im Auftrag des Bundespräsidenten.

"In bewundernswerter Weise gibt Margot Friedländer Zeugnis von ihrem Leben, von der Verfolgung im nationalsozialistischen Berlin, vom Schicksal ihrer Familie und vom Holocaust", sagte Giffey anlässlich der Ehrung. "Margot Friedländers authentische und entschlossene Stimme mahnt uns daran, dass es an uns allen liegt, dass es ein für alle Mal beim 'Nie wieder!' bleibt."

Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin

"Margot Friedländers authentische und entschlossene Stimme mahnt uns daran, dass es an uns allen liegt, dass es ein für alle Mal beim 'Nie wieder!' bleibt.

Zur Welt kam Margot Friedländer am 5. November 1921 in Berlin als Margot Bendheim. Nach der Schule arbeitete sie in einer Schneiderei, ab 1940 musste sie Zwangsarbeit leisten. Ihre Familie hatte versucht, vor den Nationalsozialisten in die USA zu fliehen - vergeblich.

Ihre Mutter kam nicht zum vereinbarten Treffen 

Dann kam der 20. Januar 1943: Die 21-jährige Margot wollte sich mit ihrem Bruder und ihrer Mutter treffen, um die Flucht vorzubereiten. Doch ihr Bruder war kurz zuvor abgeholt worden, und auch die Mutter kam nicht zu dem vereinbarten Treffpunkt.

Die Mutter hinterließ bei Nachbarn eine Botschaft für ihre Tochter: "Ich habe mich entschlossen, zur Polizei zu gehen. Ich gehe mit Ralph, wohin auch immer das sein mag. Versuche, dein Leben zu machen." Was ihr noch von ihrer Mutter blieb: deren Handtasche mit einem Adressbüchlein und einer Bernsteinkette.

Und viele Fragen. "Warum hat meine Mutter nicht gewartet? Sie hat sich für meinen Bruder entschieden", schreibt Friedländer Jahrzehnte später rückblickend. Für sie begann damals, ganz auf sich allein gestellt, das Leben im Untergrund, von Versteck zu Versteck. Sie schreibt: "Der Tag, an dem ich untertauche, nehme ich den Judenstern ab." Sie ging ohne Ziel durch die Straßen, einfach um zu gehen. Sie bekam Adressen für ganz unterschiedliche Verstecke, von jedem Abschied musste sie annehmen, dass er für immer war.

Sie wurde von Juden verraten und kam ins KZ

Friedländer schaffte es, insgesamt 15 Monate lang von Unterschlupf zu Unterschlupf im Untergrund zu bleiben. Doch dann geriet sie im April 1944 in die Hände von "Greifern" - das waren Juden, die für die Gestapo arbeiteten, versteckte Juden aufspürten und auslieferten. Sie wurde nach Theresienstadt gebracht.

Margot Friedländer, Holocaust-Überlebende und Zeitzeugin

"Eine Frage bestimmte unser Leben: Wie viel kann der Mensch aushalten?"

Theresienstadt sei ein "Zwischenreich" gewesen, "nicht Leben, nicht Tod", erinnert sich Friedländer. "Eine Frage bestimmte unser Leben: Wie viel kann der Mensch aushalten?" Um sie herum Hunger, Elend, Halbtote und Tote. Sie sei jedoch entschlossen gewesen, zu überleben.

So ist es dann gekommen, ihre Familienmitglieder jedoch waren tot. Ihrer Mutter habe sie sich immer nahe gefühlt, so Friedländer. In Theresienstadt war sie Adolf begegnet, den sie aus Berlin kannte, und der später ihr Ehemann werden sollte. Nach der Befreiung des Lagers und dem Ende des NS-Terrorregimes wanderte Friedländer mit ihrem Mann 1946 in die USA aus.

"Unsere Demokratie braucht Menschen wie Sie"

Seit 2010 lebt Friedländer wieder in Berlin und tritt als Zeitzeugin auf. Im Rahmen ihres Engagements erhielt sie etwa 2021 für Verdienste im christlich-jüdischen Dialog die Jeanette-Wolff-Medaille. 2011 bekam sie das Bundesverdienstkreuz am Bande. Und im vergangenen Jahr die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin und den Walther-Rathenau-Preis.

"Unsere Demokratie braucht Menschen wie Sie", betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der damaligen Ehrung. "Das ist es, was Sie uns aufgeben, was Sie den nächsten Generationen mit auf den Weg geben. Seid Menschen!"

Quelle:
KNA