KNA: Papst Benedikt XVI. ist zwar verstorben, doch ein Rechtsstreit in Traunstein, bei dem auch er als ehemaliger Münchner Erzbischof (1977-1982) belangt werden soll, wird fortgeführt. Es geht um Schadenersatz für einen Missbrauchsbetroffenen. Was bedeutet das für seine Erben?
Philipp Georg Kampmann (Bonner Erbrechtsexperte und Rechtsanwalt von der Kanzlei Redeker, Sellner, Dahs): Die Erben treten in alle Rechten und Pflichten des Erblassers ein. Das betrifft alle materiellen und prozessualen Pflichten. Wenn gegen Benedikt XVI. eine Schadenersatzforderung im Raum steht, unabhängig von Fragen der Verjährung, so besteht dieser Schadenersatzanspruch auch gegenüber seinen Erben.
Soweit Ansprüche bereits vor Gericht verhandelt werden, tritt der Erbe in die bisherige Stellung des Erblassers in dem Verfahren ein. Das Erbe kann nur vollumfänglich ausgeschlagen oder angenommen werden. Eine teilweise Ausschlagung, beispielsweise um einen missliebigen Prozess auszuschließen, ist nicht möglich.
KNA: Gibt es Fristen, innerhalb derer sich nun die Erben Benedikts für die Annahme oder Ausschlagung entscheiden müssen?
Kampmann: Nach dem deutschen Erbrecht gibt es eine Frist von sechs Wochen - bei Aufenthalt von Erblasser und Erben im Inland - nach Kenntniserlangung, in der ein Erbe ausgeschlagen werden muss. Das wird im alten Erbrecht des Königreichs Italien, das meines Wissens im Vatikan gilt, ähnlich geregelt sein. Auch dieses sieht die Möglichkeit der Ausschlagung vor.
Wird das Erbe nicht ausgeschlagen, hat der Erbe nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, den durch den Tod des Erblassers unterbrochenen Prozess wiederaufzunehmen. Dann kann der Gegner im Prozess die Aufnahme des Prozesses erzwingen.
KNA: Benedikt XVI. hatte von Geburt an die bayerische Staatsbürgerschaft und somit war er später Bürger der Bundesrepublik. Als Papst hatte er jedoch auch die Staatsbürgerschaft des Staats der Vatikanstadt, wo er auch gestorben ist. Welches Erbrecht wird für ihn gelten?
Kampmann: Das ist eine Frage des Internationalen Privatrechts (IPR). Das IPR ist kein internationales Recht im Sinne beispielsweise des Völkerrechts, sondern ein nationales Kollisionsrecht - also ein Recht, welches das Verhältnis mehrerer in Betracht kommender Rechtsordnungen regelt. Es wird vom Richter bei Angelegenheiten mit Auslandsbezug befragt, um herauszufinden, welches Sachrecht zum Zuge kommt. Das ist heikel, weil verschiedene Kollisionsrechte zu verschiedenen Antworten kommen können.
Seit 2015 gibt es eine EU-Erbrechtsverordnung, die das IPR im Bereich des Erbrechts deutlich vereinfacht hat. Die Verordnung gilt sowohl in Deutschland als auch in Italien; der Vatikan ist hingegen kein Mitgliedsstaat. Hier wird dann auch das Kollisionsrecht des Vatikans, das dem alten Recht des Königsreichs Italien entspricht, zum Zuge kommen, und es ergibt sich eine typische Konstellation im Internationalen Privatrecht.
KNA: Welche Unterschiede ergeben sich dann im Vergleich zum Vorgehen nach der EU-Erbrechtsverordnung?
Kampmann: Nach dem alten italienischen Kollisionsrecht dürfte der Vatikanstaat an die eigene Staatsangehörigkeit anknüpfen und somit dem vatikanischen Erbrecht den Vorrang einräumen. Die EU-Erbrechtsverordnung knüpft nicht mehr an die Staatsbürgerschaft, sondern an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt an.
Somit käme voraussichtlich auch ein deutscher Richter zu dem gleichen Schluss wie der vatikanische Richter, der das vatikanische Kollisionsrecht anwendet, denn Papst Benedikt hat sich zuletzt in der Vatikanstadt aufgehalten. Den Vorzug bekäme also in beiden Fällen das vatikanische Recht.
Ich sage voraussichtlich, weil diese Überlegungen unter dem Vorbehalt einer Rechtswahl stehen: Nach der EU-Erbrechtsverordnung besteht die Möglichkeit, das anwendbare Erbrecht im Testament selbst festzulegen.
Ob auch das vatikanische Recht eine solche Rechtswahl respektieren würde, weiß ich allerdings nicht.
KNA: Benedikt XVI. war nicht nur Staatsbürger der Vatikanstadt, sondern von 2005 bis 2013 auch Staatsoberhaupt. Erwachsen daraus nicht Konsequenzen? Der Anwalt der Klägerpartei in Traunstein zum Beispiel würde nun Papst Franziskus gerne als Erben des Rechtsstreits sehen.
Kampmann: Mir ist diese Frage sympathisch, auch wenn ich sie fast als anachronistisch bezeichnen würde. Bei Monarchien alten Typs ist diese Frage sehr berechtigt. Wo nicht klar getrennt wird zwischen dem privaten Vermögen des Monarchen und dem, was er in seiner öffentlichen Funktion innehat, stellt sich diese Frage.
In modernen Monarchien, und ich gehe davon aus, dass das im Vatikan auch so gesehen wird, gibt es eine rechtliche Differenzierung zwischen dem Amt des Monarchen und ihm als Privatperson. Für die Privatperson gelten grundsätzlich keine besonderen Vorschriften hinsichtlich der Erbfolge.
KNA: Was bedeutet das für den Rechtsstreit in Traunstein? Die Kläger haben die Hoffnung geäußert, dass Papst Franziskus an Benedikts Stelle eintreten wird.
Kampmann: Die Ansprüche gegen Papst Benedikt XVI. richten sich gegen ihn als Privatperson. Zugleich wird ein Anspruch gegen das Erzbistum München und Freising als Körperschaft geltend gemacht. Das ist aber zu unterscheiden, auch wenn die Ansprüche in einem einzigen Verfahren verhandelt werden. Dass er nach dem maßgeblichen Zeitpunkt Papst geworden ist, ist für das Verfahren daher ohne Bedeutung.
Benedikts Erben werden auch den Prozess in Traunstein erben. Papst Franziskus beziehungsweise der Heilige Stuhl könnte also nur dann in das Verfahren eintreten, wenn ihn Benedikt zum Erben eingesetzt hätte.
Im Hinblick auf Franziskus gibt es aber eine Besonderheit im vatikanischen Erbrecht: Ordensleute mit dem Gelübde der Armut können kraft des Kirchenrechts grundsätzlich weder vererben noch als Erben eingesetzt werden. Eine ihnen gemachte Zuwendung fällt regelmäßig an ihr Institut.
Das Interview führte Simon Kajan.