"Er gibt der Mehrheit der Menschen in unseren Ländern keine Grundlage mehr für ihr Leben, ihr Handeln, für die Abwägung von Entscheidungen, für ihre Vorstellungen von der Welt", sagte der Reimser Erzbischof Eric de Moulins-Beaufort am Samstagabend laut vorab verbreiteter Predigt beim traditionsreichen Karlsamt im Frankfurter Dom.
Der christliche Glaube sei für viele Menschen in Europa "nur noch ein Teil des kulturellen Erbes", und nur noch wenige seien darauf bedacht, im Glauben "eine lebendige Quelle zu suchen", sagte de Moulins-Beaufort (60). Die Worte Jesu berührten zwar vielleicht Menschen noch, aber oft "nur wie ein vorübergehendes Gefühl".
Kirche als "Relikt der Vergangenheit"
Die Kirche sei auf dem gesamten europäischen Kontinent "nicht mehr die Mutter, die Menschen zum Leben im Geist befähigt", sagte der Bischofskonferenz-Vorsitzende. "Sie bietet den Staaten nicht mehr die Ressourcen der Sinngebung, des Trostes und des Engagements, die ihre eigenen Unzulänglichkeiten ausgleichen."
Vielen gelte die Kirche "als Relikt der Vergangenheit" und werde als eher lästig eingeschätzt. Die katholische Kirche erscheine vielen Menschen "sogar als eine beunruhigende Kraft, deren gesellschaftlicher Nutzen durch die bisher vertuschten Verbrechen, die in ihrem Inneren begangen wurden, weitgehend geschmälert wird".
Gottesdienst zu Ehren von Karl dem Großen
Der Erzbischof fragte mit Blick auf die im Dom versammelte Kirchengemeinde: "Können wir nicht erkennen, dass wir uns in einer Phase der Reinigung befinden, damit das Evangelium wieder als das Feuer erscheint, das unsere Vorstellungen von der Welt erneuert?" Die Kirche könne so wieder der Ort werden, "an dem ein unerwartetes Maß an Freiheit" und eine tiefe Freude erfahrbar seien. Die katholische Kirche im heutigen Europa könne nicht mehr die Kraft sein, die die Bewohner vereine. Sie gleiche vielmehr einem "kleinen gedemütigten und bescheidenen Rest, der jedoch Träger einer Verheißung für die gesamte Menschheit wird".
Den Gottesdienst im Bartholomäusdom zu Ehren von Karl dem Großen (um 748 bis 814) gibt es seit 1332. Die katholische Kirche in Frankfurt erinnert jeweils am letzten Januarsamstag an Kaiser Karl den Großen, der am 28. Januar 814 starb. Er wird als Gründervater Europas verehrt und ist Patron der Stadt und des Kaiserdoms.