KNA: Pater Bergers, Louis-Marie Grignion de Montfort dürfe nur wenigen ein Begriff sein. Was bewegte ihn, einen Orden zu gründen?
Gerd-Willi Bergers (Superior der deutschen Delegation der Montfortaner-Patres): Sein Impuls war es, missionarisch tätig zu sein. Er wollte ins Ausland, hat dann aber als Missionar in Frankreich gewirkt, den Menschen gepredigt und war immer ansprechbar für ihre konkreten Sorgen und Nöte. Montfort ist eine sehr interessante Persönlichkeit, für seine Zeit war er ein kleiner Rebell. Weil er nicht ganz konform mit der offiziellen Kirchenlinie war, bekam er von seinen Bischöfen öfter ein Predigtverbot. Daraufhin ging er in die Armenhäuser und pflegte dort selbst kranke und sieche Menschen. Durch seine praktizierte Nächstenliebe hat er den Glauben auf seine Art gepredigt. Diesem Charisma unseres Ordensgründers fühlen wir uns auch heute bei unserem Engagement verpflichtet.
KNA: Sie dürfen in drei Sätzen Werbung für Ihren Orden machen: Warum sollte ein junger Mensch bei Ihnen eintreten?
Bergers: Weil sich bei uns die Gottesliebe ganz eng mit dem konkreten Dienst am Nächsten verbindet. Leider haben wir derzeit in Deutschland und auch in den westlichen Ländern insgesamt keinen Nachwuchs. In Deutschland sind wir jetzt mit den indischen Mitbrüdern 13 Montfortaner. Dennoch habe ich Hoffnung, denn in anderen Teilen der Welt interessieren sich junge Menschen durchaus für unseren Orden. Insgesamt bereiten sich derzeit 165 Studenten auf ihren Ordenseintritt vor, die dann die 763 Montfortaner in weltweit 33 Ländern verstärken werden.
Es ist schön zu erleben, dass Menschen aus den jungen Kirchen des Südens heute zu uns kommen, mit uns Gemeinschaften bilden, sich für die Menschen zu engagieren und damit auch die monfortanische Spiritualität lebendig erhalten.
KNA: Montfort hatte eine sehr gewinnende Art, Menschen für den Glauben zu gewinnen. Wie würde er heute in die Gesellschaft hineinwirken?
Bergers: Es geht immer darum, sich den Menschen zuzuwenden; ihnen - auch in der Gemeinde - Räume zu schaffen, in denen sie Gott und anderen Menschen begegnen und ihren Glauben leben können. Entsprechend würde er einen guten Rahmen für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen vor Ort gestalten und sich auch um Menschen am Rande der Gesellschaft kümmern. Die versteckte und offene Not ist hierzulande groß, das erleben wir auch bei unserem Wirken für die Menschen.
KNA: Die Erneuerung des christlichen Lebens war Montfort ein Anliegen. So eine Erneuerung wünschen sich viele auch heute angesichts der allgemeinen Kirchenkrise. Ist der Zug dafür nicht längst abgefahren?
Bergers: Ich bin da zuversichtlich, denn die Kirche hat sich immer wieder erneuert. Einerseits soll man ja Gutes bewahren; zugleich fordert die aktuelle Krise den Glauben auch heraus. Wir diskutieren dadurch offener, ringen miteinander um den Glauben und auch über die Ausrichtung des Glaubens - für die Kirche eigentlich eine sehr spannende Zeit...
KNA: Auch wenn viele Menschen heute nichts mehr mit der Kirche am Hut haben, sehnen sich doch viele nach Sinn und Spiritualität. Marianische Spiritualität ist ein Kennzeichen Ihres Ordens. Kann man damit heute noch jemanden hinter dem Ofen hervorlocken?
Bergers: Durchaus. Wir haben hier in Marienheide eine kleine Wallfahrtskapelle mit einem Marienbild. Mich berührt immer wieder, dass eben nicht nur fromme Menschen dort innehalten. Unserem dort ausliegenden Anliegen-Buch entnehme ich, dass viele Leute mit ihren Sorgen zu Maria kommen und bei ihr einen Halt suchen.
Wir Montfortaner glauben, dass Maria uns einen Weg zu Christus zeigen kann. Schon die Tatsache, dass Menschen ohne großen Kirchenbezug unseren kleinen Wallfahrtsort aufsuchen und dort Kraft schöpfen, finde ich bemerkenswert. Das ist für uns auch eine Wegweisung, wie wir Maria den Menschen in unserer heutigen Zeit verkünden sollen: als mächtige Wegbegleiterin und Fürsprecherin.
KNA: Sie sagen, dass auch kirchenfernere Menschen mit ihren Anliegen zu Maria der kleinen Wallfahrtskapelle kommen. Wie erklären Sie sich das?
Bergers: Die Beziehung zur Gottesmutter Maria ist oft sehr persönlich und individuell, wohl auch, weil sich Menschen einen mütterlichen Beistand in ihrem Leben wünschen. Gerade in Zeiten, wo sich Menschen nach göttlicher Nähe sehnen, suchen Menschen die Kapelle auf. Sie entdecken dort die Nähe der Gottesmutter und spüren ein Stück Geborgenheit. Deshalb sind Orte wie diese Kapelle so wichtig, selbst wenn man dort nur ein Kerzchen anzündet. Es ist ein Zeichen, dass sich Menschen da anvertrauen und eine Stütze erfahren.
KNA: Marianische Frömmigkeit klingt dennoch sehr sperrig und altbacken...
Bergers: Der Begriff sollte nicht abschrecken. Das Magnificat beispielsweise - der Lobgesang Marias - ist eigentlich sehr zeitgemäß. Seine provokativen Verheißungen könnten eine enorme Sprengkraft entfalten gegen die vielen Formen von Unrecht und Unterdrückung in der Welt. Es ermutigt, jenen, die am Rande sind, Hilfestellung zu leisten, Armen und Ausgegrenzten zu dienen und die Welt so ein Stück besser und gerechter zu machen. Und aus der Psychologie wissen wir ja, dass Engagement für andere glücklich macht...
KNA: Sie sprechen diesen individuellen Aspekt von Marienfrömmigkeit oder überhaupt von Frömmigkeit an. Kann das auch ein Weg auch für die Kirche insgesamt sein, Menschen wieder für diesen tragenden Grund im Leben zu sensibilisieren?
Bergers: Ich denke, wir müssen als Kirche vorsichtig sein und dürfen Menschen nicht vereinnahmen. Was für mich zählt, sind gute Taten, die Christusbegegnung im Nächsten. Und die wird millionenfach gelebt, auch außerhalb der Kirche.
Mein Ziel ist es weniger, die Leute zurück in die Kirche zu bringen, als sie zu ermutigen, sich solidarisch für andere, die Schöpfung und das Leben überhaupt einzusetzen. Für mich gehören diese Engagierten mit zur Kirche, auch wenn sie keine Kirchensteuer zahlen oder nicht jeden Sonntag zum Gottesdienst kommen: Aber sie handeln zutiefst christlich. Natürlich freut es mich, wenn sie durch Gemeindeleben, Sakramente und Gottesdienste neue Impulse bekommen und sich für ihr Leben und Wirken für andere gestärkt fühlen. Darin sehe ich heute unser Anliegen als Kirche.
Das Interview führte Angelika Prauß.