DOMRADIO.DE: Sie arbeiten in Innsbruck und in Innsbruck war es ja auch, wo sich Karl Rahner und Luise Rinser begegnet sind. Was war das für ein Verhältnis?
Dr. Anna Findl-Ludescher (Leiterin des Instituts für Praktische Theologie an der Universität Innsbruck): Von der ersten Begegnung in Innsbruck wurde immer wieder erzählt. Sie haben sich beide gerne erinnert. Das war ganz klar, wo der Ort war, in welchem Restaurant und an welchem Tisch sie gesessen haben. Es war also wirklich ein Kennenlernen. Sie hatten sich beide vorher noch nie gesehen. Karl Rahner war 58, Luise Rinser war 51. Luise Rinser hat recherchiert für einen Artikel und ihn um ein Interview gebeten. Dieses Interview hat dann viele Stunden gedauert und so ist es losgegangen.
DOMRADIO.DE: Die hatten also eigentlich ein Arbeitsessen und dann wurde da mehr draus?
Findl-Ludescher: Nicht direkt bei diesem ersten Essen, aber es war doch so, dass gleich danach ein recht intensiver Briefkontakt begonnen hat. Briefeschreiben war dann das Verbindende zwischen ihnen. Mehrere Tausend Briefe haben die beiden sich geschrieben. Das hat gleich danach begonnen. Natürlich haben sie sich auch oft getroffen.
DOMRADIO.DE: Da fragt man sich natürlich, was das für eine Beziehung zwischen den beiden war ...
Findl-Ludescher: Die Beschäftigung mit der Beziehung mit diesen beiden, da gibt es zumindest so Phasen, wo man irgendwie neugierig wird. Was war jetzt wirklich los? War körperliche Liebe da? Und wie sehr war sie da?
Je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr hat es sich so entwickelt, dass die Neugierde nachgelassen hat. Es ist einfach sehr klar, dass es eine unglaublich intime Beziehung war. Sie haben sich einander gezeigt in dem, was sie bewegt und was sie beschäftigt – mit einer ganz großen Qualität. Zumindest für Rahner war es ganz klar so, dass er mit niemand anderem eine so vertraute Beziehung hatte wie mit Luise Rinser.
DOMRADIO.DE: Was haben die beiden sich denn geschrieben? Ging es dann auch um die Gefühle? Oder den Zölibat?
Findl-Ludescher: Das waren immer die Themen. Wie geht das mit Nähe, beziehungsweise wenn Luise Rinser daneben auch mit einem anderen Mann sehr nahe Beziehungen hatte, wie Eifersucht auch mit im Spiel war. Das waren Themen. Sie waren sich zum Beispiel glaube ich auch sehr nahe oder sehr vertraut, weil Sie beide Erfahrung mit depressiven Phasen hatten und sich da einfach erzählen konnten, wie schwierig es ist, wieder aufzustehen und an den Tisch zu setzen.
Da haben sie sich unglaublich unterstützt. Es ist nicht nur um Verliebtheiten gegangen, Sie waren sich wirklich im Alltag unglaublich unterstützend nahe.
DOMRADIO.DE: Sie waren natürlich auch sehr privat. Er nannte sie "Wuschel" und sie nannte ihn "mein Fisch". Meinen Sie, die sind einverstanden damit, dass die Öffentlichkeit jetzt die Briefe liest?
Findl-Ludescher: Das ist eine spannende Frage, die wir in dieser kleinen Forschungsgruppe auch diskutieren. Manche sagen, Karl Rahner hat eindeutig gesagt, dass er es nicht wollte, den Briefverkehr zu veröffentlichen. Es gibt aber auch andere Stimmen. Luise Rinser selbst sagt, dass sie immer wieder überlegt haben, ob sie es zumindest in Auszügen veröffentlichen werden oder nicht.
De facto hat Luise Rinser einfach ihre Briefe veröffentlicht – ungefragt. Nachdem Karl Rahner schon eine Zeit lang tot war, hat sie nicht alle Briefe, aber Auszüge veröffentlicht. Damit ist die Beziehung öffentlich geworden, damit sind "Fisch" und "Wuschel" gewissermaßen öffentlich geworden.
Das hat sehr schnell begonnen. Schon nach zwei oder drei Monaten haben sie sich so Namen gegeben. Ich denke, das klingt natürlich schon seltsam, "geliebter Fisch", "mein liebstes Wuschel", "im Herzen immer dein Fisch", also diese Anreden, die sie sich da geben. Das war schon ein Muster, das es so vor allem von der Jugendbewegung gegeben hat, dass Freunde und Freundinnen sich Freundschaftsnamen gegeben haben.
DOMRADIO.DE: Aber es war noch ein dritter im Spiel, nämlich ein weiterer Ordensmann, ein Abt. Welche Rolle spielt er dabei?
Findl-Ludescher: Das ist sehr wichtig, das muss Mann/Frau immer mitdenken und mit dazu wissen und es wird ein sehr schmerzliches Thema für Karl Rahner. Abt Johannes Maria Hoeck ist das, um ihn geht es. Er war Benediktiner, war dann auch lang Abtpräses der Benediktiner in Deutschland. Er war der Erste für Luise Rinser. Der Erste sowohl historisch, sie hat ihn kennen und lieben gelernt, bevor sie Karl Rahner kennengelernt hat – einige Jahre vorher.
Und sie hat auch Rahner gegenüber immer gesagt, er ist der Erste oder die Liebe zu ihm ist exklusiv. Das hat sie dann auch später immer wieder betont, wenn sie dem Karl Rahner erklärt hat, dass er leider nicht der Erste und der einzige ist. Das war oft ein Thema. An diesem Thema haben Sie sich phasenweise abgearbeitet und phasenweise war es gut.
Luise Rinser schrieb irgendwann einmal später, diese Dreierbeziehung sei ein Gang auf dem Seil gewesen, aber es ist geglückt. Ein andermal schreibt sie allerdings schon, Rahner hatte es am schwersten in diesem Dreiergespann.
DOMRADIO.DE: Reden wir doch noch mal kurz über den Briefwechsel. Ist er denn eigentlich komplett veröffentlicht? Kann man alle Briefe mittlerweile lesen?
Findl-Ludescher: Nein, gar nicht. Die Briefe von Karl Rahner liegen im Archiv. Die sind überhaupt nicht veröffentlicht. Die von Luise Rinser hat sie in Auszügen veröffentlicht im Buch "Gratwanderung". Spannend ist jetzt: Wenn man immer nur die eine Seite kennt, gibt es natürlich eine gewisse Neugierde, wie das mit den Rahner-Briefen ist.
Die Provinziale haben bisher verhindert, dass die Briefe veröffentlicht werden. Das ist eine Frage, ob das vielleicht jetzt geschehen sollte oder geschehen könnte. Zu diesem Zwecke gibt es eine Forschungsgruppe von Jesuiten und Rahner-Kennern. Einer dieser Jesuiten, der auch Psychologe ist, hat die Erlaubnis oder den Zugang bekommen, alle Rahner-Briefe zu lesen. Einige davon hat er ausgewählt, um sie in dieser kleinen Forschungsgruppe dann auch zu kennen. Die helfen natürlich auch, um ein kompletteres Bild von dieser Beziehung zu geben.
DOMRADIO.DE: Wenn noch gar nicht so viel bekannt ist, kann man denn dann sagen, wie diese Spuren der Liebesbeziehung sich im theologischen Werk von Karl Rahner niedergeschlagen haben?
Findl-Ludescher: Ich glaube ja, aber vielleicht gehen wir noch einmal einen Schritt zurück. Wir sprechen immer so selbstverständlich von der Liebesbeziehung. Es war große Liebe zwischen beiden, "Urereignis Liebe" haben wir auch den Vortrag in der Karl Rahner Akademie übertitelt. Meistens wird aber sonst von Freundschaft gesprochen.
Das ist irgendwie der gängige Begriff auch. Man schreckt doch immer noch etwas zurück, einfach so von Liebe und Liebesbeziehung zu sprechen. Aber vielleicht ist das ein ganz guter Schritt, das einfach einmal selbstverständlich auch zu tun. Es ist eine Liebe mit ganz vielen Schattierungen. Da ist auch viel Kollegenschaft dabei und viel Freundschaft. Es geht nicht einfach nur um eine hocherotische Liebe, die sich da über Jahre gehalten hat, sondern da gibt es ganz viele Schattierungen drinnen.
Ich bin hier in Köln zusammen mit meinem Kollegen Roman Siebenrock, Dogmatiker aus Innsbruck, der wirklich ein ausgewiesener Rahner-Kenner ist. Er ist auch Teil dieser Forschungsgruppe. Ich bin nicht wirklich die große Rahner-Kennerin, aber ich komme da immer mehr hinein und verlasse mich das sehr auf sein Urteil. Er sagt, dass es gerade bei seinen Aussagen zu Gottesliebe und Nächstenliebe einen ganz großen Unterschied gebe.
Karl Rahner und Luise Rinser haben sich 1962 kennengelernt und lieben gelernt. Und wenn man dann sieht, wie Rahner Ende der 1960er-Jahre schreibt, wie sehr für ihn ganz klar ist, dass man Gott nicht mehr an einem Menschen vorbei lieben kann zum Beispiel. Das sind ganz unglaubliche Einsichten, die er dann so ganz klar sagt. Er sagt auch ganz konkret zu ihr: Ich kann Gott nicht mehr an dir vorbei lieben. Und das, was er zu ihr sagt, das bringt er auch in seine Theologie hinein.
DOMRADIO.DE: Wie ist es denn mit den beiden ausgegangen?
Findl-Ludescher: Sie hatten sehr schwierige Phasen. Und irgendwann, nachdem Sie sich auch in ihrem Schmerz nichts geschenkt haben, dass Sie nicht so einfach zusammenkommen konnten, hat es sich irgendwann einmal eingependelt auf eine distanzierte Freundschaft.
Es gibt den wunderbaren Satz von Rahner, den ich vielleicht auswendig nicht ganz richtig zitiere. Rahner schreibt: Ich gebe zu, es hat sich vieles verwandelt, auch so, wie ich es mir vielleicht nicht gewünscht hätte, aber als das verwandelt Bleibende ist es da, und das ist gut so!
Das Interview führte Heike Sicconi.