DOMRADIO.DE: Klären wir zunächst die Kirchensituation in der Ukraine. Es gibt mehrere orthodoxe Kirchen. Wie ist die griechisch-katholische Kirche da eingebettet?
Dr. Johannes Oeldemann (Leiter des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn): Sie ist in eine sehr vielfältige Kirchenlandschaft in der Ukraine eingebettet. Die Ukraine ist, wenn man so will, ein religiös plurales Land mit einer orthodoxen Bevölkerungsmehrheit, aber einer relativ signifikanten katholischen Minderheit. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung gehören dazu. Die größte Gruppe unter den Katholiken stellt die ukrainische griechisch-katholische Kirche dar, mit etwa neun Prozent der Bevölkerung. Aber es gibt noch eine kleine römisch-katholische Kirche der lateinischen Tradition, zu der hauptsächlich die polnisch-stämmigen Christen in der Ukraine gehören.
DOMRADIO.DE: Bislang hat die griechisch-katholische Kirche den orthodoxen Ritus befolgt. Was ändert sich jetzt genau?
Oeldemann: Die griechisch-katholische Kirche feiert im selben Ritus wie die Orthodoxen. Das ist der byzantinische Ritus und sie hat bisher, wie die Orthodoxen in der Ukraine auch, den julianischen Kalender verwendet. Das ist ein alter Kalender, der Name geht auf Julius Cäsar zurück und wird von den Orthodoxen in Russland, in der Ukraine und Serbien bis heute verwendet.
Im Westen haben wir seit Ende des 16. Jahrhunderts den gregorianischen Kalender, nach Papst Gregor XIII. benannt. Dieser gregorianische und der julianische Kalender liegen heutzutage 13 Tage auseinander. Das heißt, man wird auf diesen neuen gregorianischen Kalender umstellen. Allerdings, wenn ich das richtig gelesen habe, auch nicht komplett, sondern nur für die sogenannten unbeweglichen Feiertage, die an ein festes Datum gebunden sind, wie etwa Weihnachten und Epiphanie. Während die beweglichen Feste wie Ostern und alle Feiertage, die davon abhängen, zum Beispiel Himmelfahrt und Pfingsten weiter nach julianischem Kalender gefeiert werden sollen.
DOMRADIO.DE: Das sind erstmal nur Datumsänderungen. Was ist politisch an dieser Entscheidung?
Oeldemann: Das politische Signal ist natürlich damit verbunden, dass man sich stärker an dem orientieren will, wie die westlichen Christen feiern und den westlichen Kalender übernehmen möchte. Gleichzeitig möchte man sich von dem Kalender distanzieren, der bis heute noch von der russisch-orthodoxen Kirche verwendet wird, die größte orthodoxe Kirche, die diesem julianischen Kalender folgt.
Gleichzeitig finde ich es noch mal interessant, dass es auch eine Reaktion der Bischofssynode auf den Wunsch der Gläubigen ist. Ein schönes Beispiel dafür, wie Synodalität idealerweise funktioniert, über die wir gerade in der katholischen Kirche viel diskutieren. Es entsteht ein Wunsch unter den Gläubigen. Die Bischöfe greifen das auf, aber eben auch nicht hundertprozentig. Sie stellen nicht den ganzen Kalender um, sondern sagen, es macht vielleicht Sinn, Ostern doch weiterhin mit unseren orthodoxen Mitchristen in der Ukraine zu feiern. Es gibt also auch eine ökumenische Rücksichtnahme bei dieser Entscheidung.
DOMRADIO.DE: Die Gläubigen finden also diese Reform gut. Am 1. September soll es losgehen. Ist so eine Umstellung für die Pfarreien praktisch schwierig?
Oeldemann: Man hat den 1. September bewusst gewählt, weil das nach dem byzantinischen Ritus, dem die ukrainische griechisch-katholische Kirche folgt, der Beginn des Kirchenjahres ist. Das ist anders als bei uns, wo wir mit dem ersten Advent anfangen.
Man stellt zu Beginn des neuen Kirchenjahres um und man hat für Gemeinden, die das sozusagen für sich selbst schwierig finden, noch eine Übergangsregelung geschaffen. Sie müssen zum 1. September 2023 nicht komplett umstellen, sondern man hat eine Übergangsregelung bis 2025 gestattet. Dahinter steht auch der Wunsch, dass es vielleicht gelingen könnte, bis 2025 eine Lösung für den Ostertermin zu finden, den Orthodoxe und Katholiken bis heute an unterschiedlichen Daten feiern. 2025 jährt sich zum 1.700. Mal das Konzil von Nicäa 325, wo diese Entscheidung über den Ostertermin getroffen wurde. Es gibt Bestrebungen zwischen Papst Franziskus, Patriarch Bartholomaios und anderen Kirchenführern doch wieder eine gemeinsame Regelung für den Ostertermin bis 2025 zu finden.
DOMRADIO.DE: Die Ukraine befindet sich im Krieg mit Russland. Ist diese Entscheidung die größtmögliche Abgrenzung zu Russland, vielleicht auch in Sachen Kirche?
Oeldemann: Ob größtmöglich, will ich jetzt nicht sagen. Größtmöglich wäre es vielleicht gewesen, wenn man komplett auf den gregorianischen Kalender umgestellt hätte. Das hat man nicht getan, sondern diesen sogenannten neujulianischen Kalender verwendet, in dem nur die festen Gedenktage nach gregorianischem Kalender sind, aber Ostern nach julianischem Kalender.
Ich denke, man orientiert sich einfach um. Man will nicht mehr Richtung Moskau orientiert sein, sondern eher Richtung Konstantinopel. Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel verwendet diesen Kalender ebenfalls, wie viele andere orthodoxe Kirchen. Es ist auf jeden Fall eine Abwendung von Moskau und der sogenannten russischen Welt, die diese Entscheidung signalisiert.
Das Interview führte Heike Sicconi.