Not lehrt beten, lautet ein alter Spruch. In Zeiten der Coronapandemie scheint er allerdings nicht gegriffen zu haben. Denn die große Mehrheit setzte nach Angaben des Religionsmonitors 2023 der Bertelsmann Stiftung ihre Hoffnung eher auf ihre Familie.
Das gaben 90 Prozent von knapp 4.400 Deutschen ab 16 Jahren an, die das Infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft im Juni und Juli befragte.
Und 85 Prozent sahen die Wissenschaft als besonders hilfreich an. Die Religion war dabei hingegen nur noch für weniger als ein Drittel der Befragten wichtig.
Eher Trost bei Wissenschaftlern?
Ein ähnliches Bild ergab sich auch aus der Befragung weiterer 6.300 Menschen in den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Polen - wobei die Quote in den stärker religiös geprägten Vereinigten Staaten deutlich höher lag. Finden säkularere Gesellschaften also eher Trost bei Wissenschaftlern wie Christian Drosten?
Das wäre wohl zu kurz gegriffen. Denn Wissenschaft dient hier nicht als Religionsersatz, und ebenso wissen Gläubige die Segnungen medizinischer Forschung zu schätzen. Die Studie sieht hingegen unter Verweis auf die seit 2013 stattfindenden Umfragen einen Säkularisierungstrend, der sich inzwischen auch deutlich in Polen niederschlägt. Denn in allen Ländern warf die Krise bei gut einem Drittel der Befragten existenzielle Fragen auf und ebensoviele verspürten häufig Angst oder fühlten sich ohnmächtig und hilflos - was religiöse wie nichtreligiöse Menschen betraf.
Dennoch spielte die Religion bei der Krisenbewältigung zumal in Deutschland "nur eine untergeordnete Rolle". "Weder hat sich die Gebetspraxis wesentlich erhöht, noch wurde Religion mehrheitlich als hilfreiches Gesellschaftssystem gesehen", erläuterte die Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung, Yasemin El-Menouar.
"Religion gibt vor allem den Menschen Kraft und Orientierung, die schon vor der Pandemie religiös waren", so die Wissenschaftlerin.
Engagement für andere stärken
Das galt in der Befragung für 73 Prozent der gläubigen Muslime, 34 Prozent der gläubigen Katholiken und 32 Prozent der gläubigen Protestanten. Länderübergreifend hatten vor allem "Hochreligiöse" häufiger meditiert und gebetet. Bei Evangelikal-Freikirchlichen taten dies knapp ein Drittel, unter Muslimen fast ein Viertel, unter Protestanten zehn Prozent und unter Katholiken neun Prozent.
Zugleich betont die Studie, "dass Religion die Kraft hat, Solidarität und Engagement zu fördern". So gaben drei Viertel der Befragten an, sich während der Pandemie mehr für andere engagiert zu haben. Dabei seien religiöse Menschen überproportional häufig vertreten gewesen.
Glaube "hilft nicht nur, schwierige Zeiten individuell zu bewältigen, sondern kann auch das Engagement für andere stärken", so El-Menouar.
Dabei wird Religion von den meisten Befragten weniger mit institutionellem, etwa kirchlichem Handeln verknüpft, sondern eher mit sozialen Strukturen, zum Beispiel in den Gemeinden vor Ort und in familiären Beziehungen.
Schließlich dient religiöse Überzeugung auch der Deutung. Als Strafe Gottes wertete in Deutschland aber nur eine Minderheit die Pandemie.
Barriere gegen Verschwörungstheorien
Dies fand sich "am ehesten bei dogmatisch-fundamentalistischen Gläubigen, aber auch bei manchen Spirituellen sowie häufigen Moscheebesuchern". Das Vertrauen, dass Gott in der Pandemie bei den Menschen ist, vermittelten hingegen eher "die konventionellen religiösen Glaubensvorstellungen", die sich mit einem liebenden Gott verbinden, dem man sich im Gebet und im christlichen Gottesdienstbesuch zuwendet.
Diese Überzeugung erwies sich zugleich als Barriere gegen Verschwörungstheorien. Im Vergleich zu denjenigen, die keiner Religion angehörten, stimmten Katholiken und Protestanten signifikant seltener Verschwörungsmythen zu, konstatiert die Studie.
"In modernen ausdifferenzierenden Gesellschaften kann die Religion, wenn es um die Bewältigung von Gesundheitskrisen geht, nur noch eine nachgeordnete Funktion erfüllen, aber in dieser ist sie durchaus von Bedeutung - vor allem für die 'religiös Musikalischen'", lautet das Fazit der Studie, die vom Münsteraner Religionssoziologen Detlef Pollack und der Theologin und Politikwissenschaftlerin Carolin Hillenbrand mitverfasst wurde.