Zur Begründung verwies Cantalamessa er in einem Vortrag am Freitag vor führenden Kurienmitgliedern im Vatikan auf die "schwindelerregende Beschleunigung" gesellschaftlicher Veränderungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965). Die Frage des Umgangs mit Laien und insbesondere mit Frauen heute verglich der einflussreiche Theologe und Experte für das frühe Christentum mit der bahnbrechenden Öffnung der Urkirche gegenüber Nichtjuden. In der innerkirchlichen Auseinandersetzung rief er zu Fairness und gegenseitigem Wohlwollen auf.
Wie in den Anfangszeiten müsse die Kirche den Mut haben, auf den Heiligen Geist zu hören, betonte Cantalamessa. Dies gelte besonders für die Arbeiten zur im Herbst beginnenden Weltsynode, bei der es um ein neues Miteinander in der katholischen Kirche gehen soll.
Verwandlung in "Morast oder Sumpf"
"Geschichte und Leben der Kirche sind mit dem Zweiten Vatikanum nicht stehengeblieben", sagte der Kardinal. Seit dem Konzil in den 1960er Jahren hätten sich während eines Jahrzehnts Veränderungen ereignet wie früher in einem oder zwei Jahrhunderten. Nachdrücklich warnte Cantalamessa vor einem Versuch, wie bei dem gegen die Reformation gerichteten Konzil von Trient (1545-1563) ein "unverrückbares Ziel" aufzurichten. Wenn das Leben der Kirche stillstünde, würde sie sich wie ein aufgestauter Fluss "in einen Morast oder einen Sumpf" verwandeln.
Im Diskurs über Kirchenreformen mahnte der Kapuziner Cantalamessa, tolerant und "weniger verbohrt in unseren persönlichen Überzeugungen" zu sein. Statt auf eigenen Argumenten herumzukauen, solle sich jeder in die Lage des anderen versetzen. Dies gelte nicht nur in Bezug auf einzelne Personen, sondern auch auf Denkrichtungen, mit denen man nicht einverstanden sei, so Cantalamessa. Der Prediger des päpstlichen Hauses äußerte sich in der ersten von fünf Fastenpredigten, die die Kurienleitung auf Ostern einstimmen sollen.