Sie verstellen einen Weg für konstruktive Lösungen oder zumindest erschweren sie stark. Die Verantwortung dafür ist auf viele Schultern verteilt. Eine erste Voraussetzung, um Wege aus einer Krise zu finden, ist: Realitäten sachlich wahrnehmen und als Ist-Zustand erst einmal anerkennen.
Und hier hapert es auch schon. Reformer in Bischofskonferenz und beim Synodalen Weg haben den Eindruck, dass Rom nicht wirklich die Realitäten in Deutschland wahrnehmen will. Dass sehr viele Katholikinnen und Katholiken unzufrieden mit ihrer Kirche sind, klerikale Machtverhältnisse kritisieren, Frauenbenachteiligung, eine teils lebensfremde, teils diskriminierende Sexualmoral.
Gigantischer Exodus mit weiter wachsenden Austrittszahlen
Dass allein sind gewiss nicht die einzigen Gründe für den gigantischen Exodus gegenwärtig, der sich in Jahr für Jahr weiter überschlagenden Austrittszahlen messen lässt. Aber Rom sollte das schon wahr- und ernstnehmen. Auch die Redlichkeit, mit der die deutschen Bischöfe den Synodalen Weg zusammen mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) begonnen haben: als einen - so deklarierten - Weg der Umkehr und Erneuerung, eine Reaktion auf die Erschütterung über den vielfachen, systemisch begünstigten Missbrauch im vermeintlichen Schutzraum Kirche.
Umgekehrt könnte es hilfreich sein, wenn die reformorientierten Bischöfe einigen Realitäten in Rom etwas mehr Gewicht beimäßen. Der Weg, jedes Stopp-Schild aus dem Vatikan reformfreudig umdeuten zu wollen, hat sich nicht als zielführend erwiesen. Außenstehende Beobachter fragen sich mittlerweile, was der Vatikan denn bitteschön noch schicken soll? Ein Motu proprio zur Beendigung des Ganzen?
Freilich, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, wurde auch in Dresden nicht müde zu betonen, dass man Roms Einwände nicht einfach abtue. In seinem während der Frühjahrsvollversammlung veröffentlichten Antwortbrief an die drei Kurienkardinäle Pietro Parolin, Luis Ladaria und Marc Ouellet, die zuletzt Synodalen Räten mit Billigung des Papstes eine Absage erteilten, heißt es: "Ich versichere Ihnen, dass wir die von Ihnen vorgebrachten Sorgen um die Fragen eines Synodalen Ausschusses und eines Synodalen Rats ernst nehmen."
Klatsche für den Vatikan
Zur Anerkennung von römischen Realitäten gehört es indes auch, dass es im diplomatisch hochsensiblen Vatikan mit Sicherheit als "Klatsche" empfunden wird, wenn der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Rom in einem Brief, den er öffentlich macht, führenden Kurienkardinälen als "formale Anmerkung" unter die Nase reibt: "Die umfassende Wortlautabschrift unseres fruchtbaren und intensiven interdikasteriellen Treffens während des ad-limina-Besuchs habe ich zur Kenntnis genommen. Ich sehe darin aber nicht ein zwischen beiden Seiten abgestimmtes Protokoll, wie es die Absprache zwischen uns vor Ort war."
Das mag in der Sache stimmen, ob es hilfreich und klug für das weitere Miteinander war, sei dahingestellt. Dem Vernehmen nach bereitet inzwischen Bätzings kritische Direktheit gegenüber Rom immer mehr Mitbischöfen gewisses Unbehagen. Eine Realität, mit der auch Bätzing umzugehen lernen muss. Die anderen aber ebenso.
Bätzing: "Verstörungen" über das Verhalten "unserer Kollegen"
Man könnte viel über die im Zuge des Synodalen Wegs entstandenen "Brieffreundschaften" schreiben. Ohne Zweifel in die Rubrik "Kein guter Stil" fällt die Tatsache, dass die fünf konservativen Bischöfe, die Ende des Jahres nach Rom geschrieben und Antworten "bestellt" hatten, auch in Dresden nicht bereit waren, ihren Mitbrüdern den wörtlichen Inhalt des Briefes zu zeigen, der das jüngste postalische Stoppschild aus Rom evozierte. Es blieben "Verstörungen" über dieses Verhalten "unserer Kollegen", konstatierte Bätzing. Von "Mitbrüdern" mochte er in dem Moment offenbar da nicht mehr sprechen.
Wie soll unter solchen Umständen ein vertrauensvolles Gespräch miteinander gelingen? Ein solches wiederum ist eine zweite grundlegende Voraussetzung, um Wege aus einer Krise zu finden. Es scheint jedoch auf sehr vielen Ebenen und Seiten zu misslingen.
Bätzing etwa betonte auch in Dresden wieder mit Blick auf die Reformen: dass es nicht darum gehe, die Autorität des Bischofs zu beschneiden. Auch wollen man nichts jenseits des Kirchenrechts durchdrücken: "Ich denke, hier liegt einfach ein Missverständnis vor, das ist noch nicht ausgeräumt."
Warum hat es nur "missglückte Sprechakte" gegeben?
Warum konnten so viele Missverständnisse auf dem Synodalen Weg seit 2019 nicht ausgeräumt werden? Warum sind nicht mal die Bischöfe, die beispielsweise in Rom promovierten und Kontakte in den Vatikan haben, gemeinsam hingefahren und haben dort auch mal im Mittelbau die Anliegen des Synodalen Wegs verständlich machen können? Wie kann es sein, dass alle Seiten immer beteuern, miteinander sprechen zu wollen, es aber sprachwissenschaftlich gesprochen oftmals nur "missglückte Sprechakte" gegeben hat?
Man hat den Eindruck, dass aus alledem im Laufe der Jahre ein gravierendes atmosphärisches Problem erwachsen ist: Es ist eine Atmosphäre wechselseitigen Misstrauens entstanden, die kaum mehr Raum lässt, dem anderen offen und wohlmeinend zuzuhören, um dann in einen konstruktiven Austausch miteinander zu kommen.
Osnabrücks Bischof Franz-Josef Bode, Vize-Präsident des Synodalen Wegs, bezeichnete die diesjährige Frühjahrsvollversammlung als "eine der schwierigsten Bischofskonferenzen, die ich in meiner langen Zeit des bischöflichen Dienstes erlebt habe." Seit Herbst 1991 ist er dabei. Und ja, man sah das anstrengende Ringen in den vier Tagen Dresden den Bischöfen auch an. Es war das auch etwas verzweifelte Ringen um bischöfliche Zweidrittel-Mehrheiten für die anstehenden Papiere bei der letzten beschlussfassenden Vollversammlung des Synodalen Weg ab Donnerstag in Frankfurt. Denn: Nichts weniger als einen Eklat gilt es zu verhindern.
Und so haben die Bischöfe in Dresden mögliche Änderungsanträge beraten, damit die Zustimmungschancen unter ihnen wachsen. Dem Vernehmen nach kein leichtes Unterfangen, das auch in Dresden noch nicht abgeschlossen werden konnte. Besonders intensiv diskutiert wurden zwei Texte zu Frauen in sakramentalen Ämtern und in der Verkündigung, ein Text zur Einführung von Segnungen für Homosexuelle und ein Text zu mehr Mitentscheidungsmöglichkeiten von Laien auf Bistumsebene.
"Eis in Frankfurt wird sehr, sehr dünn sein"
Die Co-Präsidentin des Synodalen Wegs, Irme Stetter-Karp, zeigte sich in einem "Welt"-Interview erstaunt, dass die Bischöfe Änderungsanträge nach Ablauf der Frist noch einbringen wollen: "Ob die gewünschten Veränderungen - diese kenne ich textlich noch nicht - möglich sind, muss das Plenum entscheiden, also der Souverän." Das ist formal korrekt, es ist sicher auch richtig, nochmals an die für alle geltenden und gemeinsam vereinbarten Spielregel zu erinnern. Ob es aber klug und in der ohnehin maximal angespannten Situation hilfreich war, sei dahingestellt. Denn natürlich ist dem Synodalen Weg an einem guten Abschluss gelegen, bei dem möglichst noch einige Beschlüsse gefasst werden. Doch das Eis in Frankfurt wird sehr, sehr dünn sein.
Nichtsdestoweniger ist der tatsächliche Erfolg des Synodalen Weges am Ende vielleicht nicht unbedingt an der Anzahl der Beschlüsse festzumachen, sondern an einer schwer messbaren, aber nicht zu unterschätzenden Größe: Allem Kommunikationsdesaster zum Trotz ist es auf dem Synodalen Weg gelungen - vor allem bei der nicht-öffentlichen Forenarbeit -, liberale und reformkritische Kräfte weitgehend miteinander ins Gespräch zu bringen und zu halten.
Eine ganze Reihe, auch konservativer Bischöfe haben glaubwürdig auf der vierten Synodalversammlung im vergangenen Herbst von ihren "Lernkurven" berichtet. Auch wenn es vielleicht noch nicht immer ausreichte, um jedem Papier zuzustimmen. Gleichwohl ist etwas in Bewegung, was sich nicht zurückschrauben lässt. Und noch etwas hat der Synodale Weg gebracht: Viele Bischöfe suchen viel intensiver das Gespräch mit dem Kirchenvolk. Der Austausch ist offener und wohl auch ehrlicher geworden. Auf beiden Seiten.