DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung, welchen Stellenwert hat denn der Ramadan für die Musliminnen und Muslime?
Prof. Dr. Thomas Lemmen (Mitarbeiter des Referats Dialog und Verkündigung des Erzbistums Köln und Leiter des Studiengangs für interreligiöse Dialogkompetenz an der Katholischen Hochschule NRW): Das ist eine der fünf Grundpflichten im Islam. Es gibt fünf Dinge, die für jede und jeden verpflichtend sind. Dazu gehört eben auch das Fasten im Monat Ramadan.
DOMRADIO.DE: Der Ramadan hat auch eine soziale Dimension. Die Unterstützung von Bedürftigen gehört dazu. Da werden in diesem Jahr sicherlich nach den verheerenden Erdbeben auch viele Spenden in die Türkei und nach Syrien gehen, oder?
Lemmen: Es ist so, dass die Zeit des Ramadans eigentlich eine schöne, eine freudige Zeit ist, weil man sich abends in Gemeinschaft trifft, um das Fasten miteinander zu brechen. Das wird dieses Jahr von der Katastrophe in Syrien und der Türkei überschattet. Das heißt, zur Freude kommt die Trauer - für viele sehr konkret durch Angehörige oder Freunde.
Aber auch die soziale Dimension kommt zum Tragen, weil man in dieser Zeit gerade denen, die es nötig haben, existenziell, materiell helfen soll.
DOMRADIO.DE: Was gehört denn typischerweise zur muslimischen Fastenzeit?
Lemmen: Der Verzicht von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Getränke, auf Essen ist wichtig, sexuelle Enthaltsamkeit, aber auch die Hinwendung zu Gott - dadurch, dass man zusätzliche Gebete verrichtet, dass man den Koran einmal von Anfang bis Ende lesen soll und auch die Dimension, anderen Gutes zu tun.
DOMRADIO.DE: Besonders in diesem Jahr gibt es die Überschneidung von Ramadan, christlicher Fastenzeit und Ostern und des jüdischen Pessachfests. Inwiefern gibt es da auch Gemeinsamkeiten, also Dinge, die man vielleicht voneinander lernen kann?
Lemmen: Das christliche Osterfest richtet sich natürlich nach dem jüdischen Pessachfest, das ist klar. Zufällig fällt nun auch der Ramadan in diese Zeit hinein.
Zu Aschermittwoch heißt es im Evangelium: Fasten, beten, Almosen geben. Das ist ja genau das, was Muslime in dieser Zeit auch machen. Da gibt es tatsächlich Überschneidungspunkte in den Äußerungen. Die Unterschiede bestehen darin, warum man es tut. Christen tun es in Vorbereitung auf Ostern. Muslime denken an die Herabsendung des Korans. Aber die Grundhaltungen sind doch schon sehr ähnlich.
DOMRADIO.DE: Minderjährige, Schwangere, ältere Menschen oder auch Risikogruppen sind vom Fasten ausgenommen. Warum?
Lemmen: Das ist einfach eine sehr praktische Regelung, dass man sagt, Gott wolle den Menschen nicht mehr zumuten, als sie leisten können. Wer krank oder schwanger ist, darf nicht fasten. Das sind diese praktischen Dimensionen, die man in vielen Fragen muslimischen Lebens findet, dass Gott an den Menschen denkt.
DOMRADIO.DE: Viele von uns haben vielleicht muslimische Kolleginnen und Kollegen. Es gibt Mitschülerinnen, Nachbarn, die Muslime sind. Einige fragen sich vielleicht, ob sie im Beisein von Fastenden in ihr Brot beißen dürfen. Wie verhält man sich?
Lemmen: Das Fasten ist nur für Muslime und Musliminnen eine Pflicht. Es betrifft sie und mich nicht. Ich kann also meinen Kaffee weiter trinken. Natürlich kann ich Rücksicht nehmen und beispielsweise jemandem ein gutes Fasten wünschen oder sagen: Möge dein Fasten von Gott angenommen werden. Damit zeige ich, dass ich wahrnehme, was er gerade erlebt.
Ich muss keine Veranstaltungen just in die Zeit legen und dann ein gemeinsames Mittagessen organisieren. Das gab es mal bei irgendeiner großen politischen Veranstaltung. Da hat man die Muslime dann in der Fastenzeit zum Mittagessen eingeladen. Das ist natürlich vollkommen unpassend.
Aber Sie dürfen Ihren Kaffee trinken. Ich darf mein Wasser trinken. Ich soll nur nicht Leute provozieren, nach dem Motto: Haha, ich darf jetzt und du musst noch warten.
Das Interview führte Tobias Fricke.