Die Bedeutung der Männerwallfahrt im Erzbistum Köln

Sie beten mit Herzen und Füßen

300 Männer liefen am Wochenende schweigend durch Köln. Als Katholiken demonstrierten sie gemeinsam ihren Glauben. Rainer Maria Kardinal Woelki ist überzeugt: "Die Männer haben gebetet, mit den Füßen und mit den Herzen."

Autor/in:
Clemens Sarholz
Männerwallfahrt in Köln 2023 / © Clemens Sarholz (DR)
Männerwallfahrt in Köln 2023 / © Clemens Sarholz ( DR )

Es dauert fünf Minuten, bis die 300 klatschnassen Männer an den wartenden Autos vorbeigezogen sind. Polizisten auf Fahrrädern, Motorrädern und Polizeiwagen eskortieren die betende Prozession. Drei Männer führen den Straßenzug an. Auf ihren Schultern liegt ein 25 Kilogramm schweres Kreuz aus Holz. Direkt dahinter ein Kerzenträger, der die Kerze der Männerwallfahrt 2023 in die Kalker Kapelle bringt, wo sie im kommenden Jahr auch stehen wird.

An diesem Samstag gab es wieder den jährlichen Schweigegang durch Köln. Kinder waren dabei. Und auch Jugendliche. Sie alle liefen schweigend zur Kalker Kapelle mit dem Gnadenbild der Schmerzhaften Mutter Gottes, um dort zu singen, zu beten und dann zurück zum Dom zu ziehen und dort einen Gottesdienst zu feiern.

Im Jahr 1931 gestartet

Männerwallfahrt in Köln 2023 / © Clemens Sarholz (DR)
Männerwallfahrt in Köln 2023 / © Clemens Sarholz ( DR )

Der Gründer der Männerwallfahrt war Pater Josef Spieker. Er startete die Aktion im Jahr 1931, in einer Zeit, in der es den Menschen nicht gut ging. Deutschland war geprägt von Armut, Hunger, politischen Wirren und fünf Millionen Arbeitslosen. Spieker rief die Pilger damals zur Buße auf, "weil man erkannt hat, dass die Sünde die eigentliche Ursache der Not ist." Damals sind noch 7.000 Männer auf die Straße gegangen.

Dieser Geist zieht sich bis heute durch, betont auch der Männerseelsorger der Stadt Köln beim Gottesdienst in St. Maria im Kapitol: "Wir sind unterwegs als Einzelpersonen", sagte er, "aber auch als Gemeinschaft und Kirche". Und unser Leben sei überschattet von Schuld. Auch die Kirche sei schuldig geworden. "Nicht nur einzelne Repräsentanten der Kirche, sondern auch die Institution."

"Das sind Gedanken, die ich selber auch hatte", sagt Stephan Schmickler. Er ist einer von 200 Pilgern und läuft seit etwa 20 Jahren bei der Männerwallfahrt mit. "Viele Menschen haben sich deswegen aus der Kirche zurückgezogen." Nicht nur wegen Corona. Auch wegen der Skandale. Schmickler habe das persönlich sehr getroffen. "Wenn man ehrlich ist, kennen wir alle Priester, die sich als Missbrauchstäter entpuppt haben." Das heiße aber nicht, dass die Grundidee Kirche falsch ist. "Das steht gar nicht zur Diskussion."

Gemeinsame Struktur der Kirche

Männerwallfahrt in Köln 2023 / © Clemens Sarholz (DR)
Männerwallfahrt in Köln 2023 / © Clemens Sarholz ( DR )

Es gebe aber Dinge, die gehen nicht allein. So wie Glaube. Der funktioniere nur im Dialog, ist Schmickler überzeugt. "Und für den Dialog braucht es auch eine gemeinsame Struktur." Die gibt die Kirche vor und helfe ihm im Alltag. "Wenn mir die Gedanken fehlen, bekomme ich über den Glauben eine Basis." Auch wenn die manchmal unvollkommen sei. Aber er selbst sei ja auch unvollkommen, sagt er und lacht. "Was wäre denn die Alternative?", fragt er, während die Prozession schon fast wieder am Dom ist. Auch die Prozession sei eine Art des Dialogs für ihn. Selbst wenn alle schweigen.

Rechts und links der Straße stehen Menschen. "Watt is datt? Watt soll datt? Fragezeichen!", ruft eine neugierige Frau, die mit Zigarette und Bier vor einer Kneipe steht. Ein anderer fragt: "Habe ich was nicht mitbekommen?" Als es jemand ihm erklärt, sagt er: "Weird, aber so ´ne Tradition sollte man ja am Leben halten."

Verschiedene Teilnehmer

Es gibt verschiedene Gründe, weshalb die Männer bei der Wallfahrt mitlaufen. Manch einer trägt während der Prozession einen Rosenkranz in der Hand. Manch einer unterhält sich leise. "Wo gibt es denn sowas noch?" fragt einer seinen Nebenmann. Sonst würden ja alle nur auf das Handy schauen. Manch einer äußert Kritik an Kardinal Woelki. Andere sagen im Gespräch mit DOMRADIO.DE, dass sie "unseren" Kardinal lieben und begründen das mit "Nächstenliebe". Auch sei es egal, ob am Schluss nur noch drei Menschen der Kirche angehören, oder ob es drei Milliarden sind. Jesus gehe es schließlich nicht um strukturelle Probleme, sondern darum, dass die Menschen ihm nachfolgen. Sie sagen das, ohne ihre Namen zu nennen.

Da gibt es einige von, die ihren Namen nicht online lesen möchten. Lutz beispielsweise, der nur seinen Vornamen nennt. Er ist Anfang 30 und habe von einem Freund von dieser Männerwallfahrt erfahren. Wieso er dabei ist? "Ich habe gedacht, dass es eine schöne Idee ist, um an einem Samstagabend mal zur Ruhe zu kommen", sagt er. Er sehe die Veranstaltung, wie einen netten Spaziergang. Es sei eine recht pragmatische Entscheidung gewesen, keine aus einer Glaubensentscheidung heraus. Mit der Kirche habe er im Alltag sowieso wenig am Hut. Aber "irgendwas" fehle ihm im Leben. Deswegen sei er gerade dabei nochmal zu "horchen". "Glaube kann ja sehr auch inspirierend wirken." Dieser Schweigemarsch sei für ihn ein Schritt, um mögliche Berührungspunkte auszuloten, die er vielleicht noch zur Kirche hat.

"Gegen all diese Idioten"

Männerwallfahrt in Köln 2023 / © Clemens Sarholz (DR)
Männerwallfahrt in Köln 2023 / © Clemens Sarholz ( DR )

Und da ist auch Bruno Reucher. Er ist 60 Jahre alt und schon als "kleiner Steppke" mitgelaufen. "Papa schaut gerade von der Kölsch Wolke aus zu und ist bestimmt stolz darauf, dass ich das Kreuz tragen durfte." Warum er mitmacht? "Wir laufen hier gegen all diese Idioten auf der Welt." Es sei doch toll, wenn man die Tradition dieses Marsches fortsetzt. Während es im Jahr 1931 noch 7.000 Männer waren, die auf die Straße gingen, sollen es im Jahr 1933 bereits 23.000 Männer, im Jahr 1935 35.000 gewesen sein. Und diese taten das gegen das Hitlerregime, so steht es in einem kleinen Büchlein. "Die haben nicht offen gegen das Nazi-Regime protestieren dürfen. Aber gegen das Schweigen konnten die Nazis ja nichts tun." Deswegen ist für ihn der Schweigemarsch ein stiller Protest gegen die Ungerechtigkeit.

Und was sagt Kardinal Woelki? "Die Männer haben hier gebetet, mit den Füßen und auch mit dem Herzen. Ich denke, vor allem für den Frieden, der gegenwärtig hier in Europa so schwer verletzt worden ist. Durch den Aggressionskrieg Russlands auf die Ukraine. Deswegen ist es sehr schön, dass so viele Beter sich hier zusammengefunden haben."

Quelle:
DR