Weshalb die "Letzte Generation" in einer Kirche auftritt

"Raum für Dialog"

Die "Letzte Generation" will den Verkehr in Berlin lahmlegen. Angekündigt haben sie das am Dienstag in der evangelischen Kirche St. Thomas. Ist es vertretbar, dass eine Kirche der als radikal empfundenen Gruppe eine Plattform bietet?

Letzte Generation / © Jonas Walzberg (dpa)
Letzte Generation / © Jonas Walzberg ( dpa )

DOMRADIO.DE: Warum hat sich die "Letzte Generation" denn ausgerechnet eine evangelische Kirche für ihre Pressekonferenz ausgesucht?

Superintendent Bertold Höcker / © Jürgen Blume (epd)
Superintendent Bertold Höcker / © Jürgen Blume ( epd )

Bertold Höcker (Superintendent im Evangelischen Kirchenkreis Berlin Stadtmitte): Wir unterstützen die ganzen Diskussionen um die "Letzte Generation" sehr gerne, indem wir Räume für Dialog zur Verfügung stellen, damit sich eine gesellschaftliche Spaltung nicht weiter ausbreitet, sondern wir miteinander im Gespräch bleiben. 

DOMRADIO.DE: Warum ist die "Letzte Generation" denn an sie, eine Kirche, herangetreten? 

Höcker: Ganz einfach: Weil wir die Ziele der "Letzten Generation" eins zu eins teilen. Die Bewahrung der Schöpfung ist uns als biblischer Auftrag als Kirche anvertraut. Und das ist letztendlich auch das, was die "Letzte Generation" will. 

DOMRADIO.DE: Wissen Sie etwas über deren Motivation, bei Ihnen anzufragen? 

Höcker: Wir, die evangelische Kirche hier in Berlin, sind ein wichtiger Player im gesamten gesellschaftlichen Dialog. In unseren Kirchen finden viele Diskussionen zu gesellschaftlichen Veranstaltungen statt, weil es gerade im Berliner Zentrum immer weniger öffentliche Räume gibt, die ohne Konsumzwang sind und wo man nicht irgendwie angesprochen wird.

Deshalb stellen wir gerne unsere Räume zur Verfügung, feiern Gottesdienste, wenn Menschen mit uns unsere Ziele teilen. Und natürlich müssen die Vertreter der "Letzten Generation" auch einen kleinen Obolus bezahlen, damit sie die Kirche bekommen können. 

DOMRADIO.DE: Ist sich die evangelische Kirche in Berlin einig? Gibt es Kritik, dass Sie radikalisierenden Menschen eine Kirche zur Verfügung stellen?

Höcker: Ja, selbstverständlich gibt es das. Der Protestantismus ist sehr vielfältig und da gibt es wie in der Gesellschaft auch Spannungen. Unser Ziel ist, dass wir diese Spannungen miteinander aushalten, ins Gespräch kommen und sie dadurch vielleicht ausgleichen können, sodass wir zumindest einander verstehen. 

Bertold Höcker (Superintendent im evangelischen Kirchenkreis Berlin Stadtmitte)

"Wir teilen mit der 'Letzten Generation' das Ziel, aber nicht die Mittel."

DOMRADIO.DE: Jetzt ist eben genau diese Radikalität der "Letzten Generation" etwas, was auch kritisiert wird. Selbst manche "Fridays for Future"-Mitglieder haben sich von der Gruppe distanziert. Wie sehen Sie das: Spalten diese Aktionen eher die Gesellschaft, als dass sie der Umwelt nützen? 

Höcker: Das weiß ich nicht. Das wird man nachher am Ergebnis sehen. Das einzige Kriterium, was die Bibel dazu kennt, ist: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen." Das müssen wir abwarten. Wir teilen mit der "Letzten Generation" das Ziel, aber nicht die Mittel. Wir werden natürlich keine Straftaten unterstützen, aber ob das tatsächlich nachher etwas nützt? Ich bin da auch ratlos. Aber ich habe großen Respekt vor den jungen Leuten, die das machen. 

DOMRADIO.DE: Was wissen Sie über die Atmosphäre dieser Pressekonferenz in einem Ihrer evangelischen Gotteshäuser? 

Höcker: Die Atmosphäre war sehr konstruktiv. Das war der große Vorteil eines Kirchenraumes, dass die Menschen sich da geordnet und nach den Regeln gewaltfreier Kommunikation miteinander austauschen konnten. Und das, finde ich, ist schon ein Gewinn. 

DOMRADIO.DE: Die "Letzte Generation" plant Berlin in großen Teilen lahmzulegen. Der Appell lautet: "Nutzt den ÖPNV statt Autos". Haben Sie eine Idee, was in Berlin in den kommenden Tagen los sein wird? 

Höcker: Ich habe nicht mal eine Idee, denn ich weiß auch nur das, was die "Letzte Generation" angekündigt hat. Ich fahre ohnehin im Zentrum nur Fahrrad. Aber ich bin gespannt, wie dieser Protest und ihr Aufmerksam-machen auf die Klimaziele aussehen wird.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

"Letzte Generation"

"Letzte Generation" ist ein Bündnis von Aktivisten aus der Umweltschutzbewegung mit dem erklärten Ziel, durch Mittel des zivilen Ungehorsams Maßnahmen der deutschen und der österreichischen Bundesregierung gegen die Klimakrise zu erzwingen. Es bildete sich 2021 aus Teilnehmern des Hungerstreiks der letzten Generation. Ihre Anfang 2022 einsetzenden Aktionen bezeichnen die Aktivisten des Bündnisses als Aufstand der Letzten Generation.

Aktivisten der Umweltgruppe Letzte Generation haben die Fassade der SPD-Bundeszentrale beschmiert / © Julius-Christian Schreiner/TNN (dpa)
Aktivisten der Umweltgruppe Letzte Generation haben die Fassade der SPD-Bundeszentrale beschmiert / © Julius-Christian Schreiner/TNN ( dpa )
Quelle:
DR