Overbeck sieht Lateinamerikas Kirche vor großen Aufgaben

"Glaubwürdige Stimme für die Freiheit"

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine bekam "viele Weltzusammenhänge in den Griff", so Advenat-Bischof Franz-Josef Overbeck. Der Krieg habe nicht nur Folgen für Europa, sondern sei auch in Lateinamerika und der Karibik zu spüren.

Bischof Franz-Josef Overbeck / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Franz-Josef Overbeck / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie blickt das Hilfswerk Adveniat auf das Jahr 2022 zurück?

Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Martin Maier SJ, Adveniat-Bischof Franz-Josef Overbeck und Adveniat-Geschäftsführerin Tanja Himer / © Mareille Landau (Adveniat)
Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Martin Maier SJ, Adveniat-Bischof Franz-Josef Overbeck und Adveniat-Geschäftsführerin Tanja Himer / © Mareille Landau ( Adveniat )

Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck (Bischof des Bistums Essen und Bischof für das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat): Wir sehen auf der einen Seite, dass natürlich die Folgen der Corona-Pandemie uns auf Dauer wirtschaftlich auch vor neue Herausforderungen stellen, da die Spendenbereitschaft, die wir an Weihnachten feststellen, eben geringer wird.

Wir konnten im abgelaufenen Geschäftsjahr aber noch eine große Summe durch Großspender erzielen, was uns sehr gefreut hat und was natürlich den Zielen von Adveniat dient. Wir haben zweitens gesehen, dass die politische Entwicklung nach dem Beginn des Ukraine-Krieges und des Angriffs Russlands auf dieses Land nicht nur für Deutschland und Europa bedeutsam ist, sondern auch viele Weltzusammenhänge in den Griff bekommt.

Das merken wir auch an den Situationen in Lateinamerika und der Karibik. Wir sehen, dass mit Blick auf die Entwicklung zum Beispiel solcher Länder wie Nicaragua sich die politischen Situationen auch hinsichtlich darauf sehr verändern, wie die katholische Kirche dort Wirken kann. Der Heilige Stuhl musste seine Botschaft dort schließen, was für ein solches Land mehr als ungewöhnlich ist. Es hat nicht nur die Caritas ihre Arbeit eingestellt, sondern noch 3.200 andere Hilfsorganisationen und andere Unterstützungsorgane. Wir als Kirche müssen als Adveniat sehr sensibel mit all den Aufgaben umgehen, die es jetzt zu lösen gilt, damit wir weiterhin für die Armen wirken können.

DOMRADIO.DE: Sie haben im Januar Honduras besucht, das wird auch im Zentrum der Adveniat-Aktion 2023 stehen. Was ist das für ein Land? Was haben Sie da für eine Situation vorgefunden? Flucht und Migration scheint dort ein großes Thema zu sein.

Bischof Franz-Josef Overbeck (Bistum Essen)

"Wir müssen auch wahrnehmen, dass die ökologischen Herausforderungen immer größer werden im Blick auf die Bewahrung der Natur."

Overbeck: Das große Thema aller Länder Mittelamerikas ist unter anderem Flucht und Migration als Form der Reaktion auf Armut, auf wirtschaftliche Prekarität, aber auch auf andere Formen von politischer und sonstiger Verfolgung. Wir konnten das in Honduras betrachten, was das alles heißt, wenn so viele Menschen fliehen müssen. Wir wissen, im internationalen Vergleich ist jeder fünfte Migrant und jeder fünfte Flüchtling ein Mensch aus Lateinamerika und der Karibik. Sie haben weiterhin in Honduras auch sehen können, dass die wirtschaftliche Situation sich dort nicht so verbessert, dass wirklich viele Menschen aus der Armutssituation herauskämen. Deshalb müssen wir da in diesem Sinne immer wieder tätig sein. Wir müssen auch wahrnehmen, dass die ökologischen Herausforderungen immer größer werden im Blick auf die Bewahrung der Natur, angesichts dieser großen Nöte der Menschen und ihrer wirtschaftlichen und sonstigen Schwierigkeiten.

DOMRADIO.DE: 2022 war ein Jahr, das sehr geprägt war durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, verbunden auch mit Sorgen der Menschen hier vor Ort. Dennoch haben wir im Jahr 2022 ein erhöhtes Spendenaufkommen erlebt. Es gab eine sehr große Solidarität mit den Menschen aus der Ukraine. Warum ist es trotzdem wichtig, weiterhin Lateinamerika im Blick zu behalten und solidarisch mit den Menschen in Lateinamerika zu sein?

Overbeck: Angesichts der vielen Notlagen auf der Welt sind wir nach dem Maß des uns Möglichen, aber auch oft darüber hinaus - und das tun ja viele in Deutschland dankenswerterweise - aufgerufen zu helfen, oft auch zu spenden oder mildtätig und wohltätig zu sein. Das gilt eben auch für viele Länder Lateinamerikas. Es gibt eine kleine Anzahl von Ländern, die sich wirtschaftlich und auch politisch stabilisiert haben, sodass auch wir von Seiten von Adveniat unsere Hilfsunterstützungen an diesen Stellen verändern oder verkleinern können.

Bischof Franz-Josef Overbeck (Bistum Essen)

"An anderen Stellen wie eben in Mittelamerika, zum Beispiel in Honduras, sehen wir, dass wir alles tun müssen, was wir überhaupt nur können, weil die Not so groß ist."

An anderen Stellen wie eben in Mittelamerika, zum Beispiel in Honduras, sehen wir, dass wir alles tun müssen, was wir überhaupt nur können, weil die Not so groß ist. Von daher gesehen, verschieben sich gerade die Aufmerksamkeitspunkte für unsere Arbeit, aber sie werden nicht weniger. Das kann man angesichts der politischen, militärischen, aber auch der humanitären und sonstigen Situation in manchen Ländern Lateinamerikas von selbst verstehen und braucht keine Erklärung. Man braucht nur nach Haiti gehen, man kann Honduras besuchen, Guatemala und andere Länder, um das genau zu sehen. Nicaragua gehört ebenfalls dazu.

DOMRADIO.DE: Die Demokratie in Lateinamerika ist in Gefahr. Das sehen wir, wenn wir zum Beispiel nach El Salvador schauen. Wie wichtig kann die katholische Kirche sein, um in diesen Gesellschaften gut zu wirken?

Overbeck: Es ist und gehört zu den Aufgaben der Kirche, für die Freiheit des Menschen und für seine Rechte einzustehen, die von Gott kommen, die jeder hat und die einem auch nicht genommen werden können. Von daher gesehen, werden diese Aufgaben gerade angesichts solcher schwierigen politischen Situationen immer größer, aber auch immer notwendiger, dass wir bei der Größe unserer Kirche, bei unserer Verwobenheit, aber auch mit vielen Menschen in Lateinamerika und der Karibik gestärkt werden, zu einer glaubwürdigen Stimme für die Freiheit, für die Würde, aber auch für die Notwendigkeit, sich frei am bürgerschaftlichen gesellschaftlichen Leben eines Landes zu beteiligen.

Das Interview führte Alexander Foxius.

Bischof Franz-Josef Overbeck (Bistum Essen)

"Wir wissen, es gehört zur Würde des Menschen dazu, dafür einzutreten. Und das ist christlich und katholisch."

Wo das der Fall ist, da können wir sagen, dort ist hoffentlich ein Land so stabil, dass das auch auf Dauer trägt. Wo nicht, müssen wir weiter genau in diesem Sinne tätig werden. Die Menschenrechte sind ein Ausfluss auch unserer christlichen Kultur, sonst hätten wir sie so nicht anerkannt. Wir wissen, es gehört zur Würde des Menschen dazu, dafür einzutreten. Und das ist christlich und katholisch.
Das Interview führte Alexander Foxius.

Adveniat

Adveniat ist das Hilfswerk der deutschen Katholiken für die Kirche Lateinamerikas. Der Name leitet sich ab von der lateinischen Vaterunser-Bitte "Adveniat regnum tuum" ("Dein Reich komme"). 

Bischöfliche Aktion Adveniat e. V. (Adveniat)
Bischöfliche Aktion Adveniat e. V. / ( Adveniat )
Quelle:
DR