DOMRADIO.DE: Der Lehrauftrag ist nicht etwa an der theologischen, sondern an der philosophischen Fakultät. Wie ist es denn dazu gekommen?
Wolfgang Picken (Stadtdechant von Bonn und promovierter Politikwissenschaftler): Zum einen ist es so, dass ich selber an der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn in Politikwissenschaften promoviert habe. Das ist also, so könnte man sagen, neben der Theologischen Fakultät meine Heimatfakultät an der Universität. Und sie ist zugleich die größte Fakultät an der Bonner Universität.
Es gab in den letzten Wochen und Monaten viele Kontakte und Verbindungen. Man muss wissen, dass die Bonner Exzellenzuniversität einer der größten Player in der Stadt mit vielen jungen Leuten ist, natürlich auch vielen akademischen Angestellten. Da ist es für uns als Kirche ganz wichtig, den Dialog mit der Universität aufzunehmen und in Kooperation zu treten.
Das hat sich in den letzten Wochen sehr, sehr gut mit vielen gemeinsamen Veranstaltungen entwickelt. In dem Zusammenhang haben wir dann auch überlegt, ob es Sinn macht, dass ich umgekehrt ein bisschen mit in den universitären Betrieb einsteige, um die Verbindung herzustellen.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie glauben, dass die Beziehung zwischen Universität und Kirche durch diesen Lehrauftrag vielleicht auch ein bisschen gestärkt werden kann?
Picken: Ja, das in jedem Fall. Er ist schon das Ergebnis eines sich gut entwickelnden Dialoges. Zum anderen sagte der Rektor der Uni: "Wissen Sie, wenn Sie junge Leute kennenlernen und mit Ihnen im akademischen Betrieb ins Gespräch treten wollen, dann dürfen Sie nicht im Bonner Münster warten, sondern müssen vielleicht mal über die Straße rüber kommen und sich dem Dialog selbst stellen." Der Einladung bin ich gerne nachgekommen und mache das jetzt an der Philosophischen Fakultät.
DOMRADIO.DE: Ist das denn auch ein klares Statement der Kirche für die Bonner Universität?
Picken: Als Bonner Kirche müssen wir selbstverständlich für die Bonner Universität eintreten und eine Verbindung herstellen. Sie ist der entscheidende Partner hier in der Stadt, wenn es um akademische Fragen geht. Und sie ist Exzellenzuniversität, eine der wenigen, die es in Deutschland gibt. Sie bestimmt hier sehr maßgeblich den Alltag in der Innenstadt.
Wenn wir als Kirche vor Ort etwas erreichen und Menschen ohne die Universität ansprechen wollen, dann werden wir ganz viele Leute eben nicht ansprechen können. Das Gegenteil ist unser Auftrag.
DOMRADIO.DE: Seit Ende 2022 sind Sie auch "Associate Fellow" des CASSIS. Können Sie erklären, was das ist?
Picken: Das ist ein Institut an der Universität Bonn, das sich mit Sicherheits- und Strategiefragen und Integrationsstudien beschäftigt, auch ein neues Institut der Philosophischen Fakultät. Ich bin der Auffassung, dass die Fragen der globalen Sicherheitsarchitektur und die Frage, wie wir mit Integration bei Flüchtlingsströmen umgehen, wichtige Zukunftsfragen sind, in denen wir uns als Kirche auch einbringen sollten. Das sind ethisch relevante Probleme. Deshalb bin ich der Einladung gerne gefolgt und beteilige mich an diesem interdisziplinären Institut.
DOMRADIO.DE: Sprechen wir über Ihre erste Lehrveranstaltung an der Bonner Uni, die heißt "Kirche und Religion. Eine (un)heilige Verbindung". Was darf man in dem Seminar erwarten?
Picken: Das Seminar hat in dieser Woche begonnen und wir waren erstmal sehr erstaunt, dass es die doppelte Anzahl an Anmeldungen bekommen hat, wie wir ursprünglich vorgesehen haben. Wir sind mehr als voll besetzt und die Rechnung geht schon gleich bei der ersten Veranstaltung auf. Es sind ganz viele junge Leute, die uns eigentlich schon bei ihrer Vorstellung damit überrascht haben, dass sie dieser Schnittpunkt zwischen Kirche, Religion, Gesellschaft und Politik sehr interessiert.
Zum einen, weil sie eine kritische Haltung haben und denken, dass gesellschaftliche und politische Prozesse nicht zu sehr von Religion beeinflusst werden dürfen. Aber es war sicherlich mindestens die Hälfte dieser jungen Leute, die gesagt hat: Eigentlich ist es für uns eine heilige Verbindung, die viel zu wenig genutzt wird, weil die Gesellschaft eine Wertebasis benötigt.
Sie braucht Moral, sie braucht Ideale. Und wo soll sie die anders hernehmen als von der Religion? Das war eigentlich eine ganz interessante Aussage junger Leute, die man so nicht erwartet hätte.
Wichtig ist natürlich für ein solches Seminar die Fragestellung, wann Religion im Verhältnis zum Staat nutzt und wann sie auch zur Belastung werden kann. Wir sehen das ja in der Ukrainekrise, beispielsweise wenn Religion zur Legitimierung von Krieg genutzt wird. Das ist es sicherlich eine unheilige Verbindung.
Wenn sie aber zur ethischen Stabilisierung und zur Grundausrichtung einer Demokratie einen Beitrag leistet, könnte man durchaus von einer heiligen Verbindung sprechen.
DOMRADIO.DE: Wie sieht es mit dem Austausch mit den Studierenden an der Philosophischen Fakultät aus? Die sind ja nicht unbedingt katholisch oder überhaupt gläubig. Wie gehen Sie da rein?
Picken: Erstmal war ich erstaunt, wie viele das doch sind, die gleich am Anfang gesagt haben, dass sie in der katholischen oder evangelischen Kirche engagiert sind. Das hat mich sehr, sehr überrascht. Das hatte ich anders angenommen. Aber man sieht eben, dass wir als Kirche nicht nur auf die zugehen dürfen, die als Getaufte auf unseren Zettel stehen.
Vielmehr gibt es gerade unter den jungen Leuten, auch unter den großen Fragen, die uns gegenwärtig bewegen – Frieden, Sicherheit, Energie, Umweltschutz – doch auch suchende Menschen, die durchaus etwas von Religion erwarten.
Die werden wir aber nur im Gespräch erreichen, wenn wir das tun, was der Rektor der Universität vorgeschlagen hat. Wir müssen auf sie zugehen, um den Dialog zu erreichen und können nicht immer zuerst erwarten, dass wir die Glocken läuten und die dann brav hierher kommen, um sich mit uns auseinanderzusetzen.
Das Interview führte Michelle Olion.