Abt sieht Chance in christlicher Nahost-Konferenz

"Wir wollen nicht Opfer sein"

Im Nahen und Mittleren Osten hat das Christentum seine Wurzeln. Heute leben Christen dort in der Minderheit. Über die Herausforderungen sprechen katholische Vertreter aus dem Mittleren Osten aktuell auf einem Kongress auf Zypern.

Abt Nikodemus Schnabel / © Julia Steinbrecht (KNA)
Abt Nikodemus Schnabel / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Aktuell treffen sich Spitzenvertreter der katholischen Kirche aus dem Mittleren Osten auf Zypern. Wie kann man sich das Treffen vorstellen?

Dormitio-Abtei in Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Dormitio-Abtei in Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Benediktinerpater Nikodemus Schnabel OSB (Abt der Dormitio Abtei in Jerusalem): Es sind nicht nur die Spitzenvertreter dort. Aber wir haben sieben katholische Patriarchen im Nahen Osten und die sind alle vertreten, der lateinische - also der römisch-katholische - der koptische, der syrische, der maronitische, der armenische, der chaldäische und der melkitische.

Es geht aber auch bis zur Basis. Es sind dort, wo ich sitze, auch sehr viele junge Menschen dabei, sehr viele Frauen, viele Ordensfrauen, viele Familienmütter, Familienväter. Das geht quer durch alle Bereiche der katholischen Kirche. Das freut mich sehr.

Es sind etwa 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Es handelt sich also um eine große Geschichte.

Der Anlass ist, dass es 2010 unter Benedikt XVI. die große Nahostsynode gab. Dann kam 2012 das nachsynodale Schreiben "Ecclesia in Medio Oriente", also die Kirche im Mittleren Osten. Jetzt, zehn Jahre später, wollen wir schauen, wie es weitergeht. Denn die Welt hat sich massiv verändert. Nach 2010 fing es mit Tunesien an und dem sogenannten "Arabischen Frühling". Die gesamte Region hat sich komplett auf den Kopf gestellt.

Wir haben mit Papst Franziskus jetzt einen Papst, der förmlich eine Leidenschaft für diese Region entwickelt hat, wenn man sieht, wo er hier schon überall war: im Heiligen Land, in der Türkei, in Ägypten, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, im Irak, hier auf Zypern und jetzt kürzlich in Bahrain. Er scheint diese Region wirklich zu lieben und dort auch seinen großen Schwerpunkt zu setzen, auch der Dialog mit dem Islam. Das sind alles die Themen, die hier besprochen werden.

DOMRADIO.DE: Wo stehen wir mitten in diesen verschiedenen Feldern, die Sie da gerade beschrieben haben? Wie fühlt sich das für Sie überhaupt an, dabei zu sein?

Benediktinerpater Nikodemus Schnabel OSB (Abt der Dormitio Abtei in Jerusalem)

"Es ist total genial zu erleben, was katholische Kirche hier in der Region bedeutet."

Schnabel: Es ist total genial zu erleben, was katholische Kirche hier in der Region bedeutet. Es ist eben nicht nur römisch-katholisch, sondern wir sind sieben verschiedene Rituskirchen, die zusammenkommen.

Gestern zum Beispiel sind wir alle dem westsyrischen Ritus gefolgt, heute Morgen dem chaldäischen, ostsyrischen Ritus. Heute Abend geht es dann weiter mit dem armenischen Ritus. Auch der koptische, der byzantinische, der römische und der maronitische Ritus werden noch zu ihrem Recht kommen. Das heißt, man sieht, katholisch ist von der ganzen Vielfalt her sehr bunt. Das ist erst mal spannend.

Benediktinerpater Nikodemus Schnabel OSB (Abt der Dormitio Abtei in Jerusalem)

"Wir wollen nicht Opfer sein, wir wollen weg von diesem: wir armen Christen werden von allen gehasst, verfolgt und verachtet."

Dann haben wir Leute hier aus dem Irak, aus Syrien, aus dem Libanon, aus Zypern, aus der gesamten Region und auch aus den Kriegsgebieten. Wenn dann zum Beispiel ein Mönch aus Syrien aufsteht und sagt, man müsse diese Opfermentalität überwinden und er selbst Abt eines Klosters ist, im welchem Mönche von Extremisten umgebracht wurden, dann geht das schon unter die Haut.

Ich würde sagen, das ist die Hauptstoßrichtung, die ich ganz stark spüre. Wir wollen nicht Opfer sein, wir wollen weg von diesem Gefühl, dass wir armen Christen von allen gehasst, verfolgt und verachtet werden. Wir sind verwurzelt in der Hoffnung und sagen, dass wir mutig vorangehen wollen. Wir glauben, dass der Heilige Geist mit uns ist. Wir haben Lust auf die Zukunft.

Aber natürlich müssen wir schauen, was die großen Herausforderungen sind. Eine kristallisiert sich jetzt schon heraus. Wie schaut es mit dem Glaubenswissen aus, auch der Glaubenspraxis gerade der jungen Menschen? Wie können wir Glauben attraktiver vermitteln? Das ist ein Punkt.

Der andere große Punkt ist, wie wir mit unseren muslimischen Geschwistern, natürlich auch mit den jüdischen Geschwistern umgehen? Wie können wir den interreligiösen Dialog noch mal neu beleben, vielleicht auf andere Füße stellen?

Und der dritte Punkt ist natürlich auch immer die Frage von Religion und Politik. Ich sage das jetzt mal als Deutscher, dieses deutsche Modell mit einer positiven Neutralität könnte eine ganz spannende Perspektive sein.

DOMRADIO.DE: Wird katholische Kirche in den Ländern des Mittleren Ostens denn ernst genommen? Oder wie wird sie überhaupt wahrgenommen?

Benediktinerpater Nikodemus Schnabel OSB (Abt der Dormitio Abtei in Jerusalem)

"Es gibt eine große Neugier, eine große Lust, sich neu zu positionieren und von muslimischer Seite aus zu sagen, was wäre der Nahe Osten ohne Christen? Und wir Christen müssen uns fragen, was wäre der Nahost ohne Muslime?"

Schnabel: Sehr unterschiedlich. Zunächst möchte ich mal ein ganz positives Beispiel nennen. Wer uns nun sozusagen entdeckt hat und wirklich fördert, sind die Vereinigten Arabischen Emirate. Die wurden hier auch mehrfach genannt, sie haben viele Vertreter da. Bei diesem Dokument von Abu Dhabi, dem Dokument der Geschwisterlichkeit aller Menschen, merkt man schon, dass es eine große Neugier, eine große Lust darauf gibt, sich neu zu positionieren und von muslimischer Seite aus zu sagen, was der Nahe Osten denn ohne Christen wäre.

Und wir Christen müssen uns fragen, was der Nahost ohne Muslime wäre. Das heißt natürlich auch, die andere Religion, die andere Tradition wertzuschätzen.

Dann ist für viele das Judentum wegen Israel ein heißes Eisen. Da kommen Politik und Religion sehr stark hinein. Das merke ich immer wieder. Das ist etwas, wo es kribbelig wird. Das ist ein Thema. Denn viele Vertreterinnen und Vertreter kommen aus Staaten, wo es zur Staatsräson gehört, Israel nicht gut zu finden, um es mal sehr höflich auszudrücken.

Da ist der Dialog mit dem Judentum eine große Herausforderung. Aber es ist eben auch die Frage, den Islam nicht auf die Radikalen zu reduzieren, auf die Fundamentalisten, auf den IS. Da ist es wichtig, dem Westen zu erklären, nicht immer diese Platte von Christenverfolgung aufzulegen. Der Westen soll auch ehrlich sein und sich fragen, wie viel er selbst zum jetzigen unguten Zustand der arabischen Welt beigetragen hat. Da ist da Stichwort Kolonialismus, Neokolonialismus und auch die Frage, wie die Christen im Nahen Osten eine eigene Stimme entwickeln können, zu nennen.

Das hat zum Beispiel auch der neue Präfekt des Ostkirchen-Dikasteriums, Gugerotti, sehr klar gesagt. Das fand ich sehr stark. Er hat gesagt, was die Christen hier im Nahen Osten definitiv nicht brauchen, sind Belehrungen von westlichen Christen, wie sie Christentum leben sollen. Das muss man hier schon vor Ort selbst herausfinden, hier an der Ursprungswiege des Christentums.

DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie von dem, was noch vor Ihnen liegt?

Schnabel: Was ich auf jeden Fall erwarte, was sozusagen Hausaufgaben sind, ist natürlich die Frage der Migranten, der Asylsuchenden, für die ich immer noch Patriarchalvikar bin. Deswegen freue ich mich sehr, dass auch Vertreter aus Saudi Arabien da sind, aus der ganzen Golfregion, die ganz klar sagen, wir dürfen nicht immer nur, wenn wir an Christen im Ostern denken, an die alteingesessenen, arabisch sprechenden Christen denken, sondern auch an das Phänomen der modernen Sklaven, die modernen Arbeitsmigranten.

Allein am Golf haben wir 3,7 Millionen Katholiken: ausschließlich Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Das wird, glaube ich, sicher noch spannend, wie dieses Thema noch mal prominenter angesprochen werden wird. Darauf freue ich mich, um auch zu sehen, dass die Christen hier entdecken, dass es neue Geschwister im Glauben gibt, die dieselbe Taufe haben wie wir, die in ganz anderen Lebensumständen leben.

Ich glaube, da sehe ich persönlich ganz viel Potenzial und ganz viele spannende Diskussionen und auch Zukunftsperspektiven.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Dormitio-Abtei

Dormitio-Abtei in Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Dormitio-Abtei in Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Die deutschsprachige Benediktinerabtei der Dormitio gehört als Blickfang zur Silhouette Jerusalems. Der Bau des Klosters auf dem Zionsberg am Rande der Altstadt begann im März 1906. Es befindet sich dort, wo nach kirchlicher Überlieferung das Letzte Abendmahl Jesu und die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel stattfanden. Abt ist Bernhard Maria Alter.

Quelle:
DR