KNA: Herr Abt, zunächst herzlichen Glückwunsch zum neuen Amt!
Nikodemus Schnabel (Neuer Abt der Abtei Dormitio in Jerusalem): Die Wahl hat mich ehrlich überrascht und in mir ein Gefühlschaos ausgelöst. Ich bin berührt von dem Vertrauensbeweis meiner Mitbrüder und weiß mich getragen. Es ist das Gefühl, dass die erste Liebe einen wieder ruft. Ich bin vor zwanzig Jahren in die Dormitio eingetreten, habe aber meine Energien in den letzten fünf Jahren stark außerhalb der Abtei investiert.
Mit meiner Abtsweihe an Pfingsten wird sie wieder ungeteilt den Brüdern gelten. An Pfingsten vor vierzehn Jahren habe ich auch mein feierliches Gelübde abgelegt, es ist wie ein neues Ja-Sagen zur Dormitio.
Und hier kommt mein Abschiedsschmerz. Zu Pfingsten werde ich mein Amt als Patriarchalvikar und Leiter der katholischen Seelsorge für Migranten und Asylsuchende niederlegen, obwohl ich alles andere als amtsmüde bin. Diese Menschen, die unsichtbar sind, sind mir sehr ans Herz gewachsen.
Die Arbeit für sie und in einem wunderbaren Team hat mir viel Freude gemacht. Die Abtswahl ist eine Unterbrechung. Ich kann nicht beide Aufgaben gleichzeitig erfüllen. Aber ich möchte zusammen mit meiner Gemeinschaft überlegen, wie wir in dieser Seelsorge weiter tätig sein können.
KNA: Haben Sie als Abt schon eine Art "Regierungsprogramm"?
Schnabel: Ich muss als erstes "Vater" werden. Ich möchte glückliche Brüder. Wir sind nicht hier, um uns kaputt zu machen. Das von uns gewählte, durch Gebet, Arbeit und Studium rhythmisierte Leben der Gottsuche soll Freude und Glück bringen. Es geht ums Zuhören, die Bedürfnisse des Einzelnen und seine Ideen, darum, eine gemeinsame Wir-Vision zu entwickeln: Wohin wollen wir uns als Gemeinschaft entwickeln? Und darum, was meine Mitbrüder von mir erwarten. Nicht zu vergessen die wichtigste Frage: Wie können wir uns gegenseitig bei der Gottsuche unterstützen?
KNA: Wo liegen die Herausforderungen?
Schnabel: Mit Blick auf die Abtei nehme ich vier Phänomene wahr. Das sind zum ersten die ausländischen Christen, die auf Zeit im Heiligen Land sind, um der Frage nach Gott Raum zu geben: Pilger, Studenten, Volontäre. Hier sind wir traditionell gut aufgestellt. Das zweite ist die Ortskirche, sowohl die arabische als auch die kleine hebräischsprachige Gemeinde. Wir sind nicht nur ein Pilgerort, sondern Teil der christlichen Landschaft des Heiligen Landes und müssen uns fragen, wie wir hier mehr dienen können.
Ein drittes Phänomen sind die "Profi-Christen", die über 1.000 weiblichen und knapp 600 männlichen Ordensleute. Wer macht Seelsorge für die Seelsorger? Das zu übernehmen, wäre sehr benediktinisch. Mit der vierten Gruppe schließt sich mein persönlicher Kreis. Das sind die mittelfristig im Land lebenden Ausländer, die Arbeitssklaven und Asylsuchenden, die mir sehr am Herzen liegen. Im Blick auf diese vier Realitäten müssen wir uns fragen, wie wir fruchtbar sein können. Wo können wir einen Mehrwert schaffen? Diese spannende Phase kommt in einer guten, organischen Zeit für den Zion.
KNA: Sie spielen auf die Renovierung der Abtei an?
Schnabel: Genau. Der äußere Aufbau ist gemacht, jetzt ist es an uns, das zu füllen, was architektonisch wiederhergestellt wurde. Das geht einher mit dem Nachdenken darüber, wie und wo wir uns öffnen wollen. Gibt es etwas, was wir gerne ausprobieren würden? Ist jeder Bruder am rechten Platz? Wo können wir uns Hilfe suchen? Ich habe Lust auf diese Zukunft und spüre das auch bei meinen Brüdern. Anders gesagt: Wer mit dem Gedanken spielt, einzutreten – jetzt wäre der optimale Zeitpunkt, eine Art Stunde null.
KNA: Das klingt sehr optimistisch.
Schnabel: Ich spüre eine große Offenheit für neue Impulse von Innen und Außen, eine Aufbruchstimmung. Es ist eine spannende Weggabelung. Wir sind nicht dem Untergang geweiht. Wir sind vital, jung und energetisch. Wir sind aber auch nicht an einem Punkt, an dem man sagen könnte, "alles läuft". Kein "weiter so", aber auch keine Panik. Die jetzige Gemeinschaft blickt auf etwa 25 Jahre zurück. Das heißt, die Kennenlernphase ist abgeschlossen.
Wer freiwillig in Jerusalem Mönch wird - in diesem Konflikt, der aufgeladenen Geschichte, den Pilgermassen -, bringt einen gewissen Charakter mit. Das bedeutet Stabilität, ist im Alltag aber auch eine Herausforderung. Umgekehrt heißt das, wenn wir Visionen und Sehnsüchte formulieren, haben sie Hand und Fuß und sind geerdet. Sie haben das Fundament im gemeinsamen Auf-dem-Weg-Sein über Jahre.
KNA: Gibt es etwas, was Sie aus den fünf Jahren abseits der Dormitio – in Berlin, Brüssel, Rom und als Patriarchalvikar - besonders mitgenommen haben?
Schnabel: Die Ortskirche war in den letzten anderthalb Jahren mein Lebensschwerpunkt. Als Abt will ich nicht zurück ins Schneckenhaus, sondern die Gemeinschaft einbringen als aktiven Teil der Kirche des Heiligen Landes. Dafür stehe ich als Person, und auch auf der Seite der Brüder ist die Bereitschaft da. Der Dialog zum Wie steht an.
KNA: Sie sind auch Direktor des Jerusalemer Instituts der Görres-Gesellschaft (JIGG), die bald den 75. Jahrestag ihrer Wiederbegründung feiert. Ist eine Wissenschaftsgesellschaft religiöser Prägung noch zeitgemäß in einer zunehmend säkularen Welt?
Schnabel: Kirche und Theologie befinden sich in zwei Straßengräben. Der eine sagt, Hauptsache fromm, nicht zu viel nachdenken, denn Wissenschaft verdirbt den Glauben. Dem Glauben ohne Wissenschaft steht eine Wissenschaft gegenüber, bei der nicht klar ist, ob und an was der Wissenschaftler glaubt. Spannend wird es, wenn beides, Glaube und Wissenschaft, zusammenkommen.
Was wir an der Dormitio mit dem JIGG und auch dem theologischen Studienjahr zeigen: Wissenschaft auf höchstem Niveau und Gebet und Glaube gehen zusammen. Glaube und Wissenschaft im Dialog profitieren voneinander. Dafür steht die Görres-Gesellschaft, die trotz ihrer knapp 3.000 Mitglieder ein fast unbekanntes Juwel ist.
KNA: Was macht sie so besonders?
Schnabel: Wir leben, wovon andere reden: einen interdisziplinären, intergenerationellen, internationalen Dialog auf Augenhöhe. In gewisser Weise ist die Görres-Gesellschaft positiv aus der Zeit gefallen. Sie gibt Raum für den Luxus des Denkens, etwa in der Rechtssektion viel Raum für Rechtsphilosophie, in der medizinischen Sektion für Medizinethik. Die Meta-Ebene, das Nachdenken über das größere Ganze, hat viel Raum.
Und es gibt viele Orchideen, die es ohne die Görres-Gesellschaft nicht mehr gäbe. Sie ist wie ein Laboratorium, in dem man darüber nachdenken kann, wie man aus christlicher Überzeugung wissenschaftlich auf die Welt blickt – ein riesiger Think-Tank. Die katholische Kirche in Deutschland könnte ruhig stolzer sein auf das, was manch Getaufter leistet.