KNA: Sie sind als Kind eines Gastarbeiters aufgewachsen, der in Österreich sein Geld auf Baustellen verdient hat. Wie hat Sie diese Zeit geprägt?
Dode Gjergji (Römisch-katholischer Bischof von Prizren-Pristina): Ich habe neun Geschwister, und wir haben uns oft wie Halbwaisen gefühlt. Unsere Mutter war alles für uns; sie hat sich umunsere Zukunft gekümmert. Gleichzeitig wussten wir, dass unser Vater nur weg ist, um seiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen.
KNA: Arbeitsmigration ist ein großes Problem im Kosovo. Die Gehälter sind niedrig, die Arbeitslosigkeit nach wie vor hoch. Viele junge Menschen wollen das Land verlassen. Wenn Sie jemand fragt, "soll ich bleiben oder gehen", was antworten Sie?
Gjergji: Ich erzähle ihnen meine Geschichte. Ich könnte ohne Probleme Priester in Österreich sein. Zwei meiner Schwestern sind dort Ordensfrauen geworden. Mir war aber früh klar: Wenn ich mein Leben für die Menschen opfern will, dann hier. Außerdem sage ich ihnen: Egal, wo ihr hingeht, ihr seid Ausländer. Ihr könnt euch wie zu Hause fühlen; aber das echte Zuhause ist hier. Geld ist nicht alles.
KNA: Ist der Wunsch nach einer sicheren Zukunft für Sie nicht nachvollziehbar?
Gjergji: Jeder hat das Recht, nach einem besseren Leben für seine Kinder zu suchen. Aber wenn sie gehen, tut uns das weh. Die meisten jungen Menschen träumen davon, im Ausland schnell Arbeit zu finden, gut zu verdienen und ohne Opfer leben zu können. Wir versuchen, sie zu überzeugen, sich hier ein Leben aufzubauen. Gleichzeitig haben wir aber nicht dieselben Voraussetzungen wie in Deutschland; und bis es soweit ist, könnten noch Jahrzehnte vergehen. Dasselbe gilt für Kroatien, Serbien und Albanien.
KNA: Wie versuchen Sie, die jungen Menschen zu überzeugen?
Gjergji: Wir begegnen ihnen mit pastoralen Angeboten. Auch die Caritas bietet Initiativen an, um jungen Menschen den Start ins Arbeitsleben zu erleichtern. Mehr können wir nicht tun; wir haben keine wirtschaftliche Kraft und keine besondere politische Bedeutung. Wir sind eine kleine Minderheit hier im Kosovo.
KNA: Wie beschreiben Sie das kirchliche Zusammenleben der Katholiken im Kosovo?
Gjergji: Lebendig, aktiv und zufrieden. Wir sind eine junge Gemeinde – aber auch wir werden in absehbarer Zukunft spüren, dass viele junge Menschen gehen und wir älter werden.
KNA: Wie haben Sie die Weltsynode von Papst Franziskus bei Ihnen im Bistum wahrgenommen?
Gjergji: Unsere Kirche hier ist klein, die Sorgen der Menschen waren uns bekannt. In synodalen Debatten haben sich vor allem existenzielle Probleme herauskristallisiert.
KNA: Spielt die Rolle der Frau in der Kirche keine Rolle?
Gjergji: Natürlich, in all unseren Pfarrgemeinden haben wir Klosterfrauen und Katechetinnen. Aber in unseren Synodalversammlungen wurde die Rolle der Frau nicht als Problem thematisiert.
KNA: Was ist mit dem Zölibat?
Gjergji: Für mich ist das ein Reichtum, den wir schätzen und bewachen müssen. Darüber müssen wir meiner Meinung nach nicht sprechen; das Ergebnis ist nur ein Dafür oder Dagegen. Und es löst nicht das Nachwuchsproblem in Europa.
KNA: Was schlagen Sie vor?
Gjergji: Ich will niemandem vorschreiben, was zu tun ist. Aber ich finde beispielsweise, dass die Ständigen Diakone auch Priester werden können. Das würde das Problem einer ganzen Generation lösen.
KNA: Worin liegen Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die Kirche im Kosovo?
Gjergji: Darin, die Leute zurückzuholen und unseren islamisierten Mitbrüdern das Evangelium zu verkünden. Wir taufen jedes Jahr Hunderte Menschen und sind eine wachsende Kirche. Und zu den großen Aufgaben zählt auch die Versöhnung zwischen Albanern und Serben.
KNA: Der Kosovo-Krieg liegt mehr als 20 Jahre zurück. Ist heute Frieden im Land?
Gjergji: Ja. Ich höre immer noch, dass Krieg und Krisen das Land beherrschten. Das ist nicht wahr. Aber es gibt ein Gebiet, Nord-Mitrovica, in dem die Mehrheit der Bürger Serben sind. Sie wollen nicht mit uns in Frieden leben. Das ist ein Problem.
KNA: Welche Rolle spielt da die serbisch-orthodoxe Kirche?
Gjergji: Eine große. Ich bedauere, dass wir nicht als Christen zusammenkommen und den Muslimen das Evangelium verkünden können. Der muslimische Imam hat kürzlich meinen Vorschlag akzeptiert, dass wir mit dem orthodoxen Bischof gemeinsam für Versöhnung beten. Leider wollte er das nicht.
KNA: Ist der Bischof das Problem?
Gjergji: Nein, er ist ein guter Mann. Das Problem liegt in Belgrad und nicht im Kosovo. Die orthodoxe Kirche in Serbien ist nicht bereit, unsere neue Realität zu akzeptieren. Sie haben Angst vor dem Frieden. Sie denken, dass unsere islamisierten Albaner, dass Muslime Terroristen sind. Damit sind wir nicht einverstanden. Wenn sie sagen, dass Serben keine Rechte haben, dann ist das auch nicht wahr. Sie wollen nach wie vor nach serbischen Gesetzen im Kosovo leben. Aber der Kosovo kann kein Teil Serbiens mehr sein.
KNA: Ist es also leichter, mit Muslimen im Dialog zu bleiben als mit der serbisch-orthodoxen Kirche?
Gjergji: Ja, und es tut mir weh, dass ich das bestätigen muss. Mit ihnen können wir auch soziale Initiativen auf die Beine stellen, etwa mit der Caritas und sozialen Hilfsorganisation der muslimischen Gemeinschaft. In Deutschland und Europa versteht man uns oft nicht, wenn wir über Orthodoxe oder über Muslime sprechen. Der Konflikt besteht zwischen den Albanern und Serben und nicht zwischen Christen und Muslimen. Nun sind in dieser Situation die Orthodoxen Serben und Muslime sind Albaner; beides sind unsere Brüder.
KNA: Was würden Sie der katholischen Kirche in Deutschland sagen?
Gjergji: Sie muss keine Angst davor haben, Mitglieder zu verlieren. Die Kirche braucht kein Volumen, sie muss ein starkes Licht sein. Sie muss sich trauen, gegen den Strom zu schwimmen.
KNA: Was meinen Sie damit?
Gjergji: Wir leben hier unter 90 Prozent Muslimen und 7 Prozent Orthodoxen, die anders handeln und denken als wir. Aber wir haben unsere Meinung, und wir haben Mut sie kundzutun. Wenn die Kirche versucht, der ganzen Welt gerecht zu werden, wird sie immer ihren Weg verlieren. Wir sind da für die Welt, nicht die Welt für uns.
Das Interview führte Beate Laurenti (KNA).