"Ich habe gern die Verantwortung übernommen", erklärt Barbara Wissen auf die Frage nach ihrer Motivation, sich zur Leiterin von Wortgottesfeiern ausbilden zu lassen. Sie gehört zu den ersten, die sich damals gemeldet haben, als in der Liturgiewerkstatt ihrer Gemeinde überlegt wurde, wie die Verantwortung der Laien in der Liturgie zukünftig stärker zum Ausdruck kommen könnte. Auch wenn sie sich keineswegs als Revolutionärin verstehe, wie die Mutter von drei erwachsenen Töchtern, die sich schon im Kinderliturgiekreis, in der Kommunion- und Firmkatechese engagiert hat, ausdrücklich hinterher schiebt. Aber viele Frauen hätten etwas zu sagen und könnten das auch kompetent präsentieren, meint sie.
Das sei eine wichtige Voraussetzung bei dieser ehrenamtlichen Aufgabe. Schließlich gehe es um die Verkündigung des Wortes Gottes. Und das Gesagte müsse fundiert sein, selbst wenn man nicht vom Fach – sprich nicht studierte Theologin – sei. Aber die unterschiedlichen Facetten, die Laien für den Verkündigungsdienst nun mal mitbrächten, seien – unabhängig ob Mann oder Frau – auf jeden Fall eine Bereicherung.
Kirche als ein Versammlungsort, um gemeinschaftlich beten und den eigenen Glauben feiern zu können – das liegt der 58-Jährigen, die in der Kölner Südstadt groß geworden ist und von klein an eine enge Bindung an ihre Pfarrkirche St. Severin hatte, am Herzen.
Und dafür, dass dieser trotz personeller Engpässe angesichts des erwartbaren Priestermangels auch an den Werktagen erhalten bleibt, will Wissen, die Leiterin eines Hospizes in Longerich ist, auch in Zukunft innerhalb ihrer Gemeinde Mitsorge tragen. "Ich habe noch im Ohr, dass es immer hieß, es soll nach Möglichkeit kein Gottesdienst ausfallen. Daher war für mich schnell klar: Wenn wir auf diesen Bedarf reagieren wollen, müssen wir selbst zur Lösung des Problems beitragen. Und wenn die Laien hier gefordert sind, warum dann nicht auch ich?"
Doch für Wissen geht es um mehr, als nur den Mangel beheben. Es seien doch vor allem die Frauen, die in der Kirche tief verankert wären. "Die Basis – das sind doch wir Gläubigen alle, Kleriker und Laien", stellt sie mit Nachdruck fest. Daher verstehe sie die Beauftragung mit einer solchen Leitungsaufgabe, die damals nach einer kompakten pastoral-liturgischen Fortbildung ganz offiziell in einem Gottesdienst durch Pfarrer Johannes Quirl erfolgt ist, auch als einen Ausdruck von Vertrauen und Wertschätzung, sagt Wissen.
Das Wort Gottes zu hören und es zu verkünden, nicht nur zu empfangen, sondern eben auch weiterzugeben – darin sieht sie für sich eine sinnstiftende Aufgabe. Und nicht nur weil sie eine Frau sei oder womöglich einen besonderen Platz für sich einfordere, sondern – so ihre Argumentation – es nicht allein vom Priester abhängen dürfe, wenn man sich um den Tisch des Herrn versammeln wolle. Und noch einen Aspekt hält sie für unterstützenswert: "Ich finde gut, wenn es bei der Verkündigung Abwechslung gibt. Jeder bringt schließlich seinen eigenen Zugang zum Glauben mit. Daher ist auch jede Feier anders. Und die Gemeinde trägt das mit. Die Akzeptanz dieser Gottesdienstform ist groß."
Zunächst habe es sie Überwindung gekostet, in diese ungewohnte Rolle zu schlüpfen. Auch das liturgische Gewand, das ihre Funktion unmissverständlich definiert, war ihr unvertraut. Mittlerweile aber habe sich diese Scheu gelegt. Der Respekt davor hingegen sei geblieben. "Das Gewand ist wie ein Pallium, ein Mantel, der mir Schutz gibt." Doch mit anderen in offizieller Mission Gottesdienst zu feiern, sei für sie nicht nur ein Dienst an den anderen. "Daraus beziehe ich auch selbst Kraft, gerade aus der Beschäftigung mit der Bibel", erklärt Wissen. Und die anfängliche Unsicherheit in der inhaltlichen Gestaltung des Gottesdienstes sei inzwischen einer gewissen Routine gewichen. Trotzdem lasse die freudige Anspannung, anderen eine Art "Wegzehrung" in ihren Alltag mitzugeben, nicht nach.
Ganz wichtig ist der gelernten Krankenschwester und ausgebildeten Trauerbegleiterin die gemeinsame Kommunion zum Abschluss des Wortgottesdienstes, "weil hierbei die Gemeinschaft besonders spürbar wird", wie sie findet. Das gilt auch für die anderen Leitungskolleginnen und den einzig männlichen Kollegen, die die Wortgottesfeiern in St. Severin einmal in der Woche gestalten. Für sie alle gehört unverzichtbar mit dazu, die zuvor in einer Messfeier konsekrierten Hostien aus dem Tabernakel zu holen und auszuteilen.
Der regelmäßige Austausch untereinander hat die Gruppe inzwischen fest zusammengeschweißt. Auch weil allen das konstruktive Feedback innerhalb dieser Gemeinschaft, in der auch schon mal Anregungen gesammelt oder theologische Ansichten lebhaft diskutiert werden, wichtig ist. Das beobachtet auch Ingrid Rasch, die ebenfalls von Anfang an mit dabei ist. "Wir alle haben einen hohen Qualitätsanspruch, wenn wir das Tagesevangelium ausdeuten oder über den Tagesheiligen sprechen, der schon mal den inhaltlichen Impuls bei einem solchen Gottesdienst liefern kann", erklärt sie. "Das bedarf einer guten Vorbereitung."
Die Auseinandersetzung mit den Lesungstexten aus der Apostelgeschichte ist an diesem Morgen beim Gottesdienst ihre Richtschnur, an der entlang sie beschreibt, wie vorbildlich die ersten Christengemeinden gelebt und wie mutig die Apostel vor 2000 Jahren ihren Glauben verteidigt haben. Immer versucht sie mit ihrem Impuls den Brückenschlag vom Damals ins Hier und Heute. "Ob diese Erzählungen die Realität genau darstellen, wissen wir nicht, es darf sicher daran gezweifelt werden", führt die 78-Jährige aus. "Aber sie stellen uns ein Ideal vor, an dem wir uns orientieren und Maß nehmen können, selbst wenn wir es nicht erreichen." Dann zitiert Rasch noch einmal aus der Lesung die Stelle, wo von der Stärkung durch den Heiligen Geist die Rede ist. "Wir dürfen auf seine Kraft für unser eigenes Bemühen vertrauen", ermutigt sie die kleine versammelte Gemeinde in der romanischen Krypta von St. Severin.
"Oft geht es darum, was der Blick auf frühere Glaubenszeugen oder spätere Heilige für uns heute und unsere aktuelle Lebenssituation bedeuten kann", erläutert Rasch, die in ihren Wortgottesfeiern schon mal gerne zu einem Gespräch darüber einlädt. "Schließlich brauchen wir alle Ermutigung auf unserem Weg." Sie bewundert die Vielfalt der Ideen, Gaben und Charismen, die alle bei diesem Dienst einbringen. "Jede und jeder setzt einen anderen Schwerpunkt. Das ist in der Summe außerordentlich belebend."
Etwa Marion Creutz. Auch sie, ehemals als Kinderärztin viele Jahre beim Kinderschutzbund tätig, ist eine Frau der ersten Stunde. "Ich bin davon überzeugt, dass Wortgottesdienstfeiern angesichts der rückläufigen Priesterzahlen eine ganz wesentliche Form der Zukunft sein werden, um als Gemeinde demnächst überhaupt noch zusammenkommen zu können. In den ersten frühchristlichen Gottesdiensten war es doch nicht anders." Sie habe große Freude an der Vorbereitung einer solchen Feier. "Man beschäftigt sich automatisch viel intensiver mit den Texten und liturgischen Inhalten."
Es ist die Rückbesinnung auf die Ursprünge des Christentums, auf die Zusammenkünfte der Anhänger des neuen Weges, wie sich die Christen zunächst nannten, die die 81-Jährige hier wiederfindet. "Sie übernahmen Verantwortung für die gottesdienstliche Feier, die ohne Priester stattfand. Nichts anderes tun jetzt die Menschen in St. Severin, die engagiert und kundig die Wortgottesfeiern gestalten."
Gottesdienstteilnehmerin Anne Corazolla geht noch einen Schritt weiter: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen, hat Jesus gesagt. Dafür braucht man nicht unbedingt einen Priester", ist sie überzeugt. Wortgottesfeiern seien eine ganz wunderbare Form, den Glauben miteinander zu teilen.
Natürlich sei das ein klares, in heutiger Zeit aber auch mutiges Bekenntnis, sich in aller Öffentlichkeit vor die Gemeinde zu stellen und auf diese Weise für den eigenen Glauben Zeugnis abzulegen, unterstreicht Ingrid Rasch. Weder sehe sie sich da als Lückenbüßerin für den fehlenden Priester oder wolle ihm sein Amt streitig machen noch sei das nach ihrem Verständnis ein Gottesdienst zweiter Klasse. Sie ist vielmehr dankbar, dass ihre Gemeinde ein lebendiger Organismus ist und bereit, sich auf neue Gottesdienstformen einzulassen. "Wir alle sind doch die Kirche", betont die pensionierte Psychologin nicht ohne Selbstbewusstsein und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: "Auch wir Laien haben ja schließlich etwas zu verkaufen."
Tatsache ist, dass sich Wortgottesfeiern im Gemeindeleben von St. Severin längst etabliert haben, da gewissermaßen zur Normalität gehören. In diesem Kontext mag es Zufall sein oder auch nicht – neun des insgesamt zehnköpfigen Leitungsteams sind Frauen.