Akademiedirektor besorgt nach neuen AfD-Umfragewerten

"Das braucht unsere Gesellschaft nicht"

In Ostdeutschland - ohne Berlin - ist die AfD einer Umfrage zufolge zur stärksten Kraft geworden. Der Direktor der katholischen Akademie Dresden-Meißen, Thomas Arnold fordert Antworten von der Politik - und der Kirche.

AfD-Landesparteitag in Thüringen / © Michael Reichel (dpa)
AfD-Landesparteitag in Thüringen / © Michael Reichel ( dpa )

DOMRADIO.DE: Über 33 Prozent will die AfD in Thüringen bei der nächsten Landtagswahl erreichen. Das hat Thüringens AfD-Chef Björn Höcke am Wochenende auf dem Landesparteitag angekündigt. Zuletzt konnte die Partei laut einer Umfrage einen Vorsprung zur Linken in Thüringen auf 28 Prozent aufbauen. Die Linke erhielt 22 Prozent. Laut einer anderen Erhebung ist die AfD auch in ganz Ostdeutschland inzwischen stärkste Kraft. Mit 26 Prozent liegt sie deutlich vor der Union, die auf 23 Prozent kommt. Macht Ihnen das Sorge? 

Thomas Arnold
 / © Dominik Wolf (KNA)
Thomas Arnold / © Dominik Wolf ( KNA )

Thomas Arnold (Direktor der Katholischen Akademie Dresden-Meißen): Natürlich macht mir Sorge, wenn rechtspopulistische Parteien scheinbar einen so großen Erfolg in Umfragen verzeichnen. Aber ich will auch warnen und zugleich zur Gelassenheit aufrufen. Die Umfrage für Thüringen ist vom April. Das, was jetzt in den letzten Tagen nochmal für Aufsehen erregt hat, ist die sogenannte "Sonntagsfrage" für die Bundestagswahl, die wir im Normalfall, wenn die Legislatur normal zu Ende gebracht wird, im Jahr 2025 haben. Da wird umgelegt und umgerechnet, wie hoch der Stimmanteil für die AfD zurzeit wäre, wenn jetzt am Sonntag gewählt werden würde. Das führt zu diesen Dominanten.

Thomas Arnold, Direktor der Katholischen Akademie Dresden-Meißen

"Ich erwarte jetzt von den Parteien und von den gesellschaftlichen Playern, dass kreative Ansätze gefunden werden, die überzeugend sind, die in der Sache auch fundiert sind."

Man könnte natürlich jetzt auch kritisch auf das Umfrageinstitut schauen. Das will ich gar nicht machen. Aber was ich sagen will, ist: Wir haben 2024 zunächst Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Da steht Landespolitik hoffentlich im Mittelpunkt. Und 2025 haben wir Bundestagswahl. Bei beidem ist im Moment hoffentlich noch viel Musik drin. 

DOMRADIO.DE: Wenn wir jetzt aber lesen, dass Thüringens AfD-Chef Höcke auf dem Parteitag der "Jungen Alternative" Unterstützung versprochen hat, dann scheint das schon ziemlich erschreckend. Die "Junge Alternative" wird vom Bundesverfassungsschutz ja als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Wie bewerten Sie das? 

Arnold: Das zeigt natürlich, dass diese Partei immer weiter nach rechts rückt, dass sie auch von solchen Zahlen, von einem scheinbaren Höhenflug, profitiert. Ich bin mir gar nicht sicher, ob das wirklich so ein Höhenflug ist. Ich erlebe viel Verunsicherung in der Gesellschaft, gerade in den aktuellen Fragen, im Bezug auf die Transformation im Bereich der Ökologie. Aber ich erwarte jetzt von den Parteien und von den gesellschaftlichen Playern, dass kreative Ansätze gefunden werden, die überzeugend sind, die in der Sache auch fundiert sind. Ich glaube, damit lässt sich gut eine Gesellschaft gestalten.

Wir brauchen den öffentlichen Streit darum. Das habe ich immer wieder betont. Aber wir sollten uns nicht von einer Partei, die mit sehr verkürzten Parolen agiert und eben zum Teil auch vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird oder zumindest beobachtet wird, dominieren lassen oder mobilisieren lassen und in Angst versetzen lassen. Das braucht unsere Gesellschaft nicht. 

DOMRADIO.DE: Gucken wir einmal inhaltlich darauf: Im Osten gibt es ja zum Beispiel eine deutlich stärker ausgeprägte Ablehnung der Zuwanderung, der Corona-Maßnahmen sowie auch einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Wieso ist das so? 

Thomas Arnold, Direktor der Katholischen Akademie Dresden-Meißen

"Es ist Verantwortung von Politik, Menschen, die hier vor Ort leben, mit hineinzunehmen in diese Diskussion, in diese Meinungsfindung und Entscheidungsfindung."

Arnold: Sie sprechen da ganz verschiedene Felder an und tatsächlich gibt es nicht die eine Begründung, von der man sagen kann: Deswegen ticken jetzt Thüringen und Sachsen und Brandenburg vielleicht anders als Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Zum Thema Zuwanderung haben wir diesen Mittwoch die Ministerpräsidentenkonferenz, auf der es um Migration geht. Wir erleben hier eine große Befürchtung, dass es wieder zu einer Situation von 2015/16 kommt und auch schon jetzt eine Reaktion von Parteien, das möglichst zu vermeiden.

Ich finde, wir sollten öffentlich darüber streiten, wie zum Beispiel der Königsteiner Schlüssel in Zukunft erfüllt werden kann (Anm. d. Red.: Der Königstein-Schlüssel legt in Deutschland fest, wie viele Asylbewerber ein Bundesland aufnehmen muss. Berechnet wird dies jedes Jahr neu auf der Basis der Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahl.) 

Wir stehen hier in Dresden vor der Herausforderung: Sollen neue Containerdörfer gebaut werden? Wie kann eine Gesellschaft das gut mitgestalten? Es ist Verantwortung von Politik, Menschen, die hier vor Ort leben, mit hineinzunehmen in diese Diskussion, in diese Meinungsfindung und Entscheidungsfindung. Aber es ist eben auch politische Verantwortung, Menschen, denen wir uns verpflichtet haben, Schutz zu gewähren, aufzunehmen und da keine Abstriche zu machen.

Sie hatten auch die Russland-Frage angesprochen oder den unterschiedlichen Blick auf den Ukraine- Krieg. Ich würde schon sagen, wir müssen bei diesen Konfliktthemen noch einmal schauen: Wie leben wir im Land zusammen und wie kommen wir dabei zusammen? Wie verständigen wir uns auch zwischen den verschiedenen Perspektiven, die uns über die verschiedenen Jahrzehnte geprägt haben?

Thomas Arnold, Direktor der Katholischen Akademie Dresden-Meißen

"Ich finde, die Kirchen sollten aufpassen, nicht Tagespolitik mitzumachen. Das ist nicht ihre Aufgabe. Aber wir haben sozialethische Grundlinien."

Wir haben bald den 17. Juni 1953 als Jubiläum (Anm. d. Red.: Am 17. Juni 1953 entwickelte sich innerhalb weniger Stunden aus einem Arbeiterprotest ein politischer Volksaufstand. Die Bürgerinnen und Bürger erhoben sich zum ersten Mal gegen das kommunistische System. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen.) Da geht es um Freiheit und um das Unterbinden von Freiheit durch Gewalt. Das ist eine Erfahrung, die ist ganz stark verwurzelt im Osten der Republik, im Westen weniger. Da denken wir eher an 75 Jahre soziale Marktwirtschaft. Wir sehen schon, das sind zwei unterschiedliche Narrative etwa in ähnlicher Zeit. Da können wir voneinander erzählen und nach vorne etwas für unsere Gesellschaft zu lernen. 

DOMRADIO.DE: Sehen Sie da auch eine Einflussmöglichkeit der Kirche im Besonderen? 

Arnold: Ich finde, die Kirchen sollten aufpassen, nicht Tagespolitik mitzumachen. Das ist nicht ihre Aufgabe. Aber wir haben sozialethische Grundlinien. Wir haben große Player wie die Caritas, die sich natürlich auch engagiert einmischen. Wir haben einen Bischof für Flüchtlingsfragen und Migration. Ich bin sicher, wenn diese Institutionen, diese Personen, ihr Wort erheben und im Hintergrund eine Orientierungshilfe geben, dann wird das in dieser Gesellschaft gehört und kann auch helfend sein für diese Gesellschaft. 

Das Interview führte Verena Tröster.

Hintergrund: Höcke sichert der "Jungen Alternative" Unterstützung zu 

Thüringens AfD-Landesparteichef Björn Höcke hat der vom Bundesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuften "Jungen Alternative" (JA) Unterstützung versprochen. "Wir können Euch versichern: Wir stehen hinter Euch!", rief Höcke am Samstag bei einem AfD-Landesparteitag in Pfiffelbach Vertretern der AfD-Jugendorganisation zu. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die neue Einstufung vor kurzem bekanntgegeben. Zuvor war die JA als Verdachtsfall geführt worden. 

Björn Höcke, Spitzenkandidat der AfD bei der Landtagswahl in Thüringen / © Jens Büttner (dpa)
Björn Höcke, Spitzenkandidat der AfD bei der Landtagswahl in Thüringen / © Jens Büttner ( dpa )
Quelle:
DR