Dass sie schwer krank war, wussten ihre Fans. Bei ihrem letzten öffentlichen Auftritt vor dreieinhalb Jahren ließ sich Tina Turner stützen. Die letzten Jahre lebte sie zurückgezogen in der Schweiz.
Am Mittwoch ist sie dort in ihrem Haus in Küsnacht gestorben. Nicht nur in der Musikszene ist die Trauer groß. Der britische Rockstar Mick Jaegger twitterte: "Ich bin so traurig über den Tod meiner wundervollen Freundin Tina Turner. Sie war wirklich eine enorm talentierte Künstlerin und Sängerin. Sie war inspirierend, warm, lustig und großzügig." Das Weiße Haus in Washington sprach von einem "großen Verlust".
Erfolgreiches zweites Leben
Der Start ihrer Weltkarriere vor fast 50 Jahren war dramatisch. Als ihr Ehemann Ike sie grün und blau schlägt, weil sie einen in der Hitze zerlaufenen Schokoriegel nicht essen will, ist es aus. Tina Turner verlässt vor einem Konzertauftritt im texanischen Dallas endgültig ihren Peiniger, der sie jahrelang schlug, misshandelte und kleinhielt. "Ich besaß nur 36 Cents und eine Tankkreditkarte", erinnert sich die Rocksängerin in ihrer Autobiografie "My Love Story". Es ist das Jahr 1976, Tina Turner ist Mitte 30 und beginnt ein erfolgreiches zweites Leben.
Sie findet die Liebe ihres Lebens, den deutschen Musikmanager Erwin Bach, und startet Mitte der 80er Jahre eine kometenhafte Solokarriere: Mit fast 200 Millionen verkauften Tonträgern ist Tina Turner bis heute die unangefochtene "Queen of Rock". Das Magazin "Rolling Stone" führt sie auf Platz 17 seiner Liste der 100 besten Sänger aller Zeiten.
Vor allem weibliche Fans bewundern die schwarze Sängerin mit der kehligen Soulstimme: Die Tochter von Farmarbeitern aus der Kleinstadt Nutbush im US-amerikanischen Bundesstaat Tennessee, die sie in "Nutbush City Limits" verewigt, gilt als starke, emanzipierte Frau.
Als Mutter von vier Kindern lässt sie sich nicht unterkriegen, überwindet hartnäckig "Grenzen" von Alter, Geschlecht und Hautfarbe.
Anderen Frauen habe sie Mut machen wollen, ihren eigenen Weg zu gehen, schreibt Tina Turner, die als Anna Mae Bullock geboren wurde.
Ihr Markenzeichen auf der Bühne: blonde Löwenmähne, Minirock, Stöckelschuhe und knallrot geschminkte Lippen.
Abrechnung mit den Verhältnissen ihrer Geburtsstadt
Ein "Leben ohne Liebe" habe sie bis zu ihrem grandiosen Comeback gelebt, so beschrieb es Tina Turner in ihren Memoiren und zahlreichen Interviews: Ungeliebt von ihrer Mutter, hängte sie sich als 18-Jährige an den windigen und von Ehrgeiz zerfressenen Songschreiber und Gitarristen Ike Turner. Er baute sie nicht nur zum tanzenden und singenden Star der erfolgreichen "Ike & Tina Turner Revue" auf, die für die schwarze Soulmusik der 60er Jahre stilprägend war. Der prügelnde Musiker, der 2007 an einer Überdosis Kokain starb, versuchte auch, sie zu seinem "Eigentum" zu machen.
Einen Hauch von Freiheit atmete Tina Turner 1966, als sie in London mit dem US-amerikanischen Produzentengenie Phil Spector die Single "River Deep, Mountain High" aufnahm. Der Song mit seiner gewaltigen "Klangwand" aus Chören, Bläsern und Streichern machte Ike und Tina Turner auch in Europa bekannter.
1973 schrieb Tina Turner den Text zu "Nutbush City Limits" mit dem berühmten funky Wah-Wah-Gitarrenriff: Der Song war eine bittere Abrechnung mit den Verhältnissen ihrer Geburtsstadt, in der es "eine Kirche, eine Kneipe, ein Schulhaus mit Außenklo" gab. 2014 würdigte die Stadt Nutbush ihre berühmte Tochter schließlich mit einem eigenen Museum - dem umgebauten Schulhaus.
Nach ihrer Trennung von Ike Turner und der Scheidung 1978 kam Tina Turners Solokarriere zunächst nur schwer in Gang. Sie tingelte durch Clubs, spielte vor kleinem Publikum. Ein neuer Manager und Freunde wie die "Rolling Stones", Rod Stewart und David Bowie waren auf dem Weg zurück ins Rampenlicht behilflich.
Titelstück zum James-Bond-Film
Mit dem Song "Let's Stay Together" landete sie 1983 in Europa einen Hit. Das Album "Private Dancer" (1984) mit seinem Mix aus tanzbar-rockigen Titeln und keyboardgetragenen Balladen brachte dann den Durchbruch. "What's Love Got To Do With It" wurde Tina Turners größter Hit überhaupt - ein Song, der in seinem abgeklärten Blick auf das Leben und die Liebe perfekt zu ihr zu passen schien.
Bis zum Ende der 80er Jahre war Tina Turner ganz oben. "We Don't Need Another Hero" aus dem Film "Mad Max - Jenseits der Donnerkuppel" (1985) wurde ein Riesenerfolg in Deutschland. Mit Erwin Bach lebte sie zu der Zeit auch einige Jahre in Köln. In den 90er und 2000er Jahren tourte sie ausgiebig um die Welt und landete immer wieder Hits wie "Golden Eye", das Titelstück zum gleichnamigen James-Bond-Film (1996).
Mit 69 Jahren zog sie sich 2009 schließlich vom Rockmusik-Rummel zurück. In Küsnacht am Zürichsee widmete sich die praktizierende Buddhistin der Spiritualität und veröffentlichte buddhistische und christliche Gesänge. Gesundheitlich war Tina Turner, die seit 2013 auch Schweizer Staatsbürgerin war, nach einem Schlaganfall und einer Darmkrebserkrankung angeschlagen. Ihr 16 Jahre jüngerer Ehemann spendete ihr 2017 eine Niere und rettete ihr damit das Leben.