DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die Kirche in Albanien?
Michele Leovino (Direktor der "St. Josef Berufsschule"): Die Kirche spielt hier sowohl religiös als auch sozial und gesellschaftlich eine große Rolle. In dieser Gegend Albaniens, in Mirdita, ist die überwiegende Bevölkerungsmehrheit katholisch.
Da sind die Evangelisierung und die Verkündigung des Glaubens Aufgabe der Kirche. Hier wird ein sehr traditionelles Christentum und ein sehr traditioneller Katholizismus gelebt. Von daher ist es eine weitere Aufgabe, die Neuerungen unserer Zeit in das kirchliche Leben zu integrieren und an die moderne Gesellschaft anzupassen.
Die Religiosität ist noch urständig. Sie wird von Generation zu Generation weitergegeben. Hier gibt es noch keine religiösen Brüche wie im Westen.
Auch die soziale Aufgabe der Kirche ist stark. Die Kirche wendet sich den Armen und den Ausgegrenzten zu, vor allem auch den Frauen, die hier eine ganz schwierige soziale und gesellschaftliche Rolle einnehmen.
DOMRADIO.DE: Zwischen 1967 und 1990 war es in Albanien verboten, seinen Glauben auszuüben. Wie hat sich das ausgewirkt?
Leovino: In der Zeit des absoluten Religionsverbotes ist der katholische Glaube nicht weniger geworden. Die Menschen haben alles bewahrt, was sie bewahren konnten, haben im kleinsten privaten Umfeld gebetet, Traditionen pflegten, Messen gefeiert, so lange sie das konnten.
Als die Demokratie 1991 kam, konnte dann das wieder aufblühen, was die ganze Zeit schon als Samen weitergegeben worden ist. Die Eltern haben den Glauben ihren Kindern weitergegeben, gerade hier in dieser Gegend. Sie haben beispielsweise an Ostern Eier gefärbt und den Kindern die Ostereier gegeben. Das durften sie nicht.
Hätte der Falsche das mitbekommen, wären sie dafür bis zur Todesstrafe hin bestraft worden. Die Eltern haben den Kindern gesagt, sie dürfen niemandem davon erzählen, aber es sei ein Zeichen unseres Glaubens.
DOMRADIO.DE: Wie gehen denn die jungen Leute heute mit dem Glauben um?
Leovino: Die Jugendlichen haben heute viel größere Probleme mit ihrem eigenen Glaubensleben, weil der Glaube in den 1990er Jahren nach dem Zusammensturz des Systems nicht so stringent weitergegeben worden ist. Viele sind von hier geflüchtet.
Neben der Emigration war die zweite große Schwierigkeit für die jungen Leute, dass sie niemals eine Liturgie erfahren haben, die mit der Kirche ja sonst stark verbunden ist. Sie konnten ihren Glauben ja nicht in der Öffentlichkeit, in der Gemeinde miteinander feiern. Das zu vermitteln, ist eine große Herausforderung.
Sie haben heute zwar im Innern das Bewusstsein, dass sie katholisch sind, dass das zu ihrer Seele und zu ihrem Leben dazu gehört. Aber natürlich ist das Leben hier auch sehr schwierig, vor allem für die jungen Menschen.
Man muss sich das auch soziologisch oder psychologisch anschauen. Hier in Mirdita sagen die Menschen, sie seien katholisch, das gehört zu ihrer Identität, zu ihrer Kultur. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie katholisch getauft sind.
Wir müssen deswegen neue Texte produzieren, die die jungen Menschen ansprechen. Wie wir jetzt zum Beispiel das Renovabis-Heft mit den “Heilig Geist Gebeten” produziert haben. Dafür sind wir hier sehr dankbar.
DOMRADIO.DE: Es heißt, in Albanien gibt es große Probleme mit Korruption. Als Schule sind Sie abhängig vom Staat und von der Politik. Betrifft Sie das irgendwie?
Leovino: Es ist wirklich schwierig hier. Der Staat spricht immer davon, wie wichtig die Erziehung sei, ist am Schulsystem aber völlig desinteressiert. Auch an solchen Initiativen wie der Schule hier. Die wird zwar viel gelobt und als Vorzeigeobjekt gezeigt, aber im Grunde wird keinerlei staatliche Unterstützung gewährt.
Der Staat ist nicht nur desinteressiert, im Gegenteil, er macht uns Schwierigkeiten wo immer er kann. Die Politik sieht diese Schule als Garanten dafür, immer wieder neue Partner in Deutschland oder sonst wo in Europa zu finden, die hier helfen können, das Land zu entwickeln.
Wenn wir nicht jedes Mal aufs Neue auf Spender und Wohltäter zugehen würden, neue Projekte entwickeln würden, die auch wieder für neue Sponsoren irgendwie interessant sind, würde sich diese Schule nicht entwickeln können. Dann hätte sie nicht mal mehr eine Zukunft, weil wir vom Staat keine Unterstützung erwarten können.
Wir sind hier in einer Gegend, die sehr arm ist. Von den 420 Schülerinnen und Schülern, die hier ausgebildet werden, zahlt höchstens die Hälfte ein sehr geringes Schulgeld, weil sie sich das hier überhaupt nicht leisten könnten.
DOMRADIO.DE: Wie viel ist das?
Leovino: 38 Euro im Monat. Deswegen gibt es hier auch viele Wohltäter, die Stipendien für Schüler übernehmen. Wir haben auch 100 Schüler im Internat. Das kostet ungefähr 75 Euro im Monat. Das sind Zahlen, die Menschen in Deutschland lachen ließen, aber hier muss man das richtig erwirtschaften.
Auch dafür müssen wir arbeiten, dass wir Leute finden, die das entbehren können. Die Familien hier können das oft nicht.
DOMRADIO.DE: Können Sie erklären, wieso die gesamte gesellschaftliche Situation hier so schwierig ist?
Leovino: Diese Gegend, die im Zentrum Albaniens liegt, ist eine Gegend, die schon immer, vor und nach dem Kommunismus, völlig vergessen worden ist. Eine vergessene Gegend ohne Industrie, ohne Handelshäuser. Hier gibt es nichts, was Zukunft ermöglichen würde.
Die Emigration sorgt weiter dafür, dass die Gesellschaft sich nicht weiter entwickeln kann. Die Köpfe, die man hier bräuchte, um die Gesellschaft nach vorne zu bringen, die Klugen, Engagierten, diejenigen, die wirklich was reißen wollen, die gehen weg. An denen fehlt es natürlich.
Die Emigration hat auch nicht nur ökonomische Gründe, nein, die Hauptgründe sind sozialer Natur. Die Menschen fühlen sich vom Staat nicht getragen, nicht begleitet. Und auch nicht vom Staat in die Verantwortung genommen, irgendetwas für ihre Zukunft zu tun und ihr Leben zu gestalten.
DOMRADIO.DE: Welche Hoffnung gibt es in dem Land?
Leovino: Es ist in letzter Zeit sehr schwer geworden, Hoffnung aufzubringen. Hier gibt es nicht die Bedingungen für eine harmonische Entwicklung für die Zukunft unserer Gesellschaft. Wir sind noch weit entfernt von tatsächlicher Gleichberechtigung und Teilhabe.
Aber diese Schule in diesem armen Umfeld ist ein Träger der Hoffnung für die Menschen. Das ist etwas, was trägt. Das Vertrauen der Menschen, der Eltern, die ihre Kinder hierhin schicken. Dies ist ein Ort der Wertevermittlung und auch ein Ort der Zukunft. Das lässt einige hier kämpfen. Das ist etwas, was mich sehr beeindruckt.
Die Eltern stecken hier ihre Hoffnung rein, um ihren Kindern etwas Gutes mitgeben zu können, um ihre Zukunft zu gestalten, wo auch immer sie das dann freiwillig möchten.
Das Interview führte Clemens Sarholz.