Ein lebensgroßes, präpariertes Krokodil ist derzeit in einer Taufkapelle in Italien zu sehen. Künstler Maurizio Cattelan arrangierte sein rund 3,50 Meter langes Werk so, dass es im Baptisterium des Doms von Cremona aufrecht zu schweben scheint - mit der Schnauze in Richtung eines Fensters, auf dem der Heilige Geist als Taube abgebildet ist.
Kritiker bemängeln Platzierung des Kunstwerks in sakralem Raum
Das Reptil, das noch bis Sonntag im Rahmen der "Art Week" Cremona zu sehen ist, stößt nicht überall auf Gegenliebe: Einige Kritiker bemängelten laut der Tageszeitung "Il Messaggero", dass das Kunstwerk nicht in einen Kirchenraum passe, der für die Feier der Sakramente bestimmt sei. Dabei hat Cattelans Arbeit historische Vorbilder.
So wird seit ungefähr 500 Jahren in der Wallfahrtskirche Madonna delle Lacrime in Ponte Nossa nahe Bergamo ein ausgestopftes Krokodil verwahrt. Im Santuario della Beata Vergine Maria delle Grazie bei Parma hängt ebenfalls ein Exemplar wie auch in Santa Maria delle Vergini im mittelitalienischen Macerata.
Ähnlich wie in Ponte Nossa ist damit eine Legende um die wunderbare Errettung durch die Anrufung der Muttergottes verbunden oder der vage Hinweis, ein Kreuzfahrer habe das Krokodil mitgebracht.
Reptilien in Kirchen sollten Gefahren der Ferne zeigen
Kunsthistoriker Philippe Cordez, der sich mit Schätzen in mittelalterlichen Kirchen beschäftigt hat, kennt solche Geschichten. Denn im Zusammenhang mit seinen Forschungen ist er immer wieder auf Überreste von Krokodilen und Riesenschlangen in Kirchen gestoßen.
Ihre Funktion: Sie sollten die Gefahren deutlich machen, die Reisende in der Ferne bewältigt hatten oder das Thema vom Kampf gegen das Böse und vom Triumph des Christentums symbolisieren. Im 16. Jahrhundert wurde die Ausstellung großer Reptilien in Kirchen eine gängige Praxis, weiß der Kunsthistoriker.
Dass es einen Unterschied zwischen Drachen und Krokodilen gibt, war zur damaligen Zeit zwar bekannt, aber als Wissen nicht unbedingt breit gestreut. Ähnlich wie Drachen galten auch Einhörner schon lange als symbolträchtige Tiere.
Einer Überlieferungen zufolge konnte nur Jungfrauen Einhörner besänftigen
Der Dominikaner und Naturforscher Thomas von Cantimpre (1201-1270 oder 1272) setzte im Rückgriff auf überlieferte Erzählungen das Einhorn mit Christus gleich und erklärte, nur eine Jungfrau wie die Jungfrau Maria könnte es besänftigen.
Der Gelehrte wollte mit diesem Gleichnis die Freuden der Jungfräulichkeit vermitteln und verwies auf ein Einhorn-Horn in einer Kirche im heute belgischen Brügge. Fakt ist, dass die allermeisten Einhorn-Hörner Zähne des arktischen Narwals waren.
Die spiralige Form des Narwal-Zahns als Einhorn-Horn machte Schule - bis zum heutigen Tag, sagt Philippe Cordez und weist auf das Einhorn-Tattoo von Lady Gaga hin.
Reliquiare und Fürstenbecher aus Straußeneiern und Kokosnüssen
Was man sonst noch in mittelalterlichen Kirchen bestaunen konnte? Straußeneier beispielsweise. Der franziskanische Gelehrte Bartholomäus Anglicus berichtete in den 1240er Jahren in seinem "Buch von den Eigenheiten der Dinge": "Man hängt sie in den Kirchen als Ornament auf, wegen ihrer Größe und Seltenheit."
Aus den Eiern stellte man zudem - wie auch aus Kokosnüssen - Trinkgefäße für Fürsten oder Reliquiare her, um darin den himmlischen Juwelen einen ihrem Wert angemessenen Platz zu bereiten.
Ende des 16. Jahrhunderts kündigte Kardinal Gabriele Paleotti (1522-1597) an, sich in einem noch zu schreibenden Buch Gedanken darüber zu machen, ob "Rüstungen, Standarten, Galeeren, Krokodile, Hirschgeweihe, Pelikane, Straußeneier, fremdartige Tiere und solcher Art" als Schmuck für Kirchen geeignet wären.
Obskure Objekte wanderten später von Kirchen in Wunderkammern
Bereits zu dieser Zeit fanden solche Objekte nicht mehr den Weg in die Kirche sondern bevorzugt in die Wunderkammern der Fürsten und Gelehrten, aus denen später die Museen hervorgingen.
Künstler Cattelan ist sich der historischen Vorbilder seines Werks bewusst. Krokodile seien in der Magie und in Religionen immer wieder vorgekommen, sagte er 2019 im Rahmen einer Ausstellung nahe London. "Sie sind Kreaturen, die sowohl Angst machen als auch faszinieren, und seit Anbeginn der Menschheit besitzen sie eine tiefe Symbolik."
Welche Symbolik nun hinter der Ausrichtung seines Reptils in Richtung Heiliger Geist steckt, blieb aber zunächst sein Geheimnis.