Das französische Pendant zur deutschen "Tagesschau" strahlte am Pfingstsonntag in der Hauptnachrichtensendung eine ungewöhnliche Reportage aus: über die Wallfahrt traditionalistischer Katholiken von Paris nach Chartres.
Fast vier Minuten Sendezeit mit fröhlichen Jugendlichen und Ordensleuten. Ein 19-Jähriger, der berichtete, wie er mit 16 den Glauben entdeckte. Darauf hin brachte eine Bohrmaschine samt Rührquirl die Tütensuppe für zumindest einen kleinen Teil der 16.000 Pilgerinnen und Pilger in Wallung.
Westeuropas größte Fußwallfahrt wächst
Westeuropas größte Fußwallfahrt, die der Traditionalisten von Paris nach Chartres, wächst von Jahr zu Jahr. Zuletzt, im 41. Jahr ihres Bestehens, stieg die Nachfrage verglichen zum Vorjahr um über 50 Prozent. Dies, nachdem vor fast zwei Jahren Papst Franziskus mit dem Dokument "Traditionis custodes" den Anhängern der alten lateinischen Liturgie starke Einschränkungen auferlegte.
Die Wallfahrer im geschätzten Durchschnittsalter von 20 konnte das nicht beeindrucken, bereits zwei Wochen vor der Wallfahrt waren erstmals alle Plätze belegt. Die Logistik für das 100 Kilometer lange Teilstück des Jakobswegs war erschöpft. Es wären am Ende wohl weit mehr als 20.000 Pilger zusammengekommen.
Quasi parallel zu den Berichten über die Traditionalisten-Wallfahrt hatte am Freitag die Tageszeitung "La Croix" Zahlen einer repräsentativen Umfrage bekannt gemacht. Die wollte wissen: Wie ticken die 30.000 Jugendlichen, die im August zum Weltjugendtag nach Lissabon pilgern? Angemeldet haben sich die jungen Frauen und Männer über die Französische Bischofskonferenz sowie die Neuen Geistlichen Gemeinschaften Emmanuel, Chemin neuf und Saint Martin. Befragt wurden sie nach Erwartungen an die Kirche, geistliche Sensibilitäten sowie ihre Sicht auf den sexuellen Missbrauch in der Kirche.
Bild von "glühenden jungen Katholiken"
Die Zahlen zeichnen laut der eher liberalen katholischen "La Croix" das Bild von "glühenden jungen Katholiken, die gegen den Strom schwimmen". Damit unterschieden sie sich von vorhergehenden Generationen, obwohl auch sie mit überwältigender Mehrheit aus katholischen Familien stammen.
Im Gegensatz zu älteren Katholiken erwarteten diese jungen Gläubigen nicht, dass sich die Kirche verändert. "Welche Rolle sollte sie in der Gesellschaft haben?", fragte die Zeitung. 59 Prozent antworteten mit: "Ein Leuchtfeuer, das in der Dunkelheit den Weg weist".
So glaubt mehr als ein Drittel der Befragten, dass der sexuelle Missbrauch in der Kirche keine strukturellen Ursachen hat, sondern "die Folge böser Persönlichkeiten sind, die die Kirche betrogen und ihre Berufung verraten haben". Eine Frauenordination in der katholischen Kirche wird von zwei Dritteln abgelehnt. Dem gegenüber haben mehr als die Hälfte der Befragten sich bereits ernsthaft mit der persönlichen Frage nach einer geistlichen Berufung beschäftigt.
80 Prozent der Weltjugendtagsfahrer gaben der Umfrage zufolge an, dass sie sich täglich einen Moment Zeit nehmen, um zu beten. 75 Prozent besuchen wöchentlich die Messe, davon 24 Prozent sogar noch häufiger. Damit nimmt der Gottesdienst einen zentralen Platz im Leben der jungen praktizierenden Katholiken ein.
Aufgrund der befragten Zielgruppe, die Anhänger des 'alten Ritus' nicht einschloss, da dieser beim Weltjugendtag unerwünscht ist, überrascht das Ergebnis, dass diese Form der Liturgie dennoch von 38 Prozent geschätzt wird. Nur zwölf Prozent sehen darin einen "sinnlosen Rückschritt". All dies sind Zahlen, die auch auf die Debatten der Weltbischofssynode im Herbst in Rom ihren Einfluss haben dürften.
Wie sieht der Katholizismus in Frankreich aus?
Das Bild des jungen französischen Katholizismus ist jedoch vielfältiger als diese ersten Zahlen suggerieren könnten. Sie weisen nicht einfach eine "Retro-Welle" auf. So widmet sich "La Croix" im selben Atemzug einer "Generation Laudato si". Die hat die Vision des Ökologie- und Sozial-Lehrschreibens von Papst Franziskus aufgegriffen und befürwortet eine integrale Ökologie. Bei dieser Strömung vermutet die Zeitung eine Vermittlung zwischen unterschiedlichen Ausprägungen des Katholizismus.
Durch die Zeitschrift "Limite" hat sich eine kreative Minderheit jenseits spiritueller oder kirchenpolitischer Orientierungen gesammelt. Die einen stammen aus der konservativen Kritik an Abtreibung, Leihmutterschaft und Transhumanismus, wie es im Protest gegen die "Ehe für alle" zum Ausdruck kam. Die anderen sind bewegt von der Sorge um Gesellschaft, Umwelt und Klima. Wachstumskritik geht hier einher mit einer Neuentdeckung naturverbundener Lebensweise und christlichem Weltauftrag. Diese Bewegung strahlt aus und bringt komplementäre Elemente des katholischen Milieus zusammen. Quantitativ fassbar aber ist diese heterogene Bewegung noch nicht.
Greifbarer ist hingegen der Rückgang der Gesamtzahl der praktizierenden Katholiken. Deren Durchschnittsalter insgesamt liegt bei 75 Jahren. Die "Tradis" - wie sich die Anhänger der älteren Messform nennen - gehen laut der Zeitung "Le Figaro" davon aus, dass etwa ein Viertel der praktizierenden Katholiken unter 40 in ihren Messen anzutreffen seien - Tendenz steigend. Doch liegt das nicht nur an der Liturgie mit ihrer stärkeren Betonung von Sakralität und der Stille, die mehr Raum für das persönliche Gebet lässt, wie Beobachter zu bedenken geben.
Viele junge Menschen heute seien zudem an einer guten religiösen Bildung interessiert, die sie hier bekämen. Nicht zuletzt ziehe das junge Durchschnittsalter Gleichaltrige an - und nicht wenige, die hier erstmals in ihrem Leben mit dem katholischen Glauben in Berührung kommen.
Der Historiker Paul Airiau spricht gegenüber "La Croix" daher auch von einem "Gesamtpaket". Dabei handele sich um eine musikalische und rituelle Kohärenz mit der Garantie einer Stabilität der Formen, unabhängig vom Ort. "Es gibt eine sehr strukturierende Dimension mit politischer, spiritueller, theologischer und philosophischer Ausrichtung und eine absolut jugendspezifische Dimension."
Zudem seien die traditionellen Gemeinschaften Neuankömmlingen gegenüber aufgeschlossener, obwohl sie manchem im Leben der Ortskirchen als isolierter erschienen. Die Zeitung stellt dem gegenüber jedoch auch fest, dass eine größere Durchlässigkeit zu beobachten sei: Nur mehr sehr wenige der befragten jungen Menschen gäben an, dass sie ausschließlich tridentinische Messen besuchten.
Wallfahrt keine Demonstration
So beschrieben auch die interviewten Pilger, dass die Wallfahrt nach Chartres für sie keinesfalls eine Demonstration ist. Etwa 40 Prozent der Teilnehmer besuchen nicht in erster Linie die Messe in der älteren Form. "Was die jungen Leute nach Chartres zieht, ist die starke, ganzheitliche Gebetserfahrung. Man betet mit dem Körper", stellt ein langjähriger Pilger fest. "Es ist ein echtes Leben brüderlicher Liebe: Es gibt viel mehr Vielfalt als man denkt; es wird viel auf Latein gesungen, aber es gibt auch Gesänge von Emmanuel, und alle sozialen Schichten sind vertreten." Schließlich sei dies auch eine intellektuell reiche Wanderung.
So hebt Mitorganisator Arnaud Duroyaume gegenüber dem Radiosender RCF hervor, dass es sich um eine "anspruchsvolle Begegnung mit Jesus über drei Tage" handle. Es gehe nicht um Fragen von Identität oder Politik, sondern um die persönliche Begegnung mit Christus.
Das Bild der katholischen Kirche in Frankreich wurde in den letzten Jahrzehnten stark mit den Neuen Geistlichen Gemeinschaften in Verbindung gebracht. Doch auch hier hat der Missbrauchskandal Spuren hinterlassen. Das betrifft auch die kirchliche Hierarchie, die sich zuletzt immer wieder mit neuen Vertuschungsskandalen kompromittierte.
Die mediale Charmeoffensive, mit der nun die katholische Kirche in Frankreich ihren traditionellen Rand sichtbar zu machen sucht, dürfte auch der pastoralen Sorge der Bischöfe geschuldet sein, die durch den Papst-Erlass "Traditionis custodes" in eine ungünstige Lage versetzt worden sind.
Der Chefredakteur von "La Croix", Jerome Chapuis, wird nicht umsonst hervorheben, dass sich diese jungen Menschen in der Gesellschaft und oft für den Ärmsten engagierten. Der Journalist interpretiert "ihren Eifer und ihren hohen Ansprüche in erster Linie als ermutigende Zeichen von Vitalität." Ohne diese Vitalität aber dürfte es um die Kirche in Frankreich schlecht bestellt sein. Dafür sprächen allein die Zahlen.