Kirchentag setzt sich mit Vergangenheit auseinander

Beten mit Blick auf NS-Bauten?

Der Kirchentag setzt sich mit der NS-Vergangenheit seiner Gastgeberstadt auseinander: Führungen und Hörstationen ordnen den Veranstaltungsort geschichtlich ein. Das Programm stößt auf großes Interesse.

Autor/in:
Annette Link
Kongresshalle in Nürnberg (shutterstock)

Ein sonniger Morgen beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Der Zeltplatz auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände erwacht. Die ersten Toilettengänge - auch ein Umgang mit Nürnbergs NS-Vergangenheit. "Man kann das ausblenden", sagt Simon (23). Dennoch wurde es ihm mit Blick auf die NS-Bauten vorhin beim Zähneputzen "irgendwie mulmig". Die Nähe zur Messe, direkt an Hitlers "Großer Straße", findet er allerdings gut. Schließlich gibt es hier viele Kirchentagstermine. Camperin Mareike (30) hat kein Problem mit der Kulisse, im Gegenteil: "Der Kirchentag zeigt: Man kann Gemeinschaft leben auch ohne Radikalisierung."

Hochemotional und beklemmend

Ulrich Eigenbrod, Jahrgang 1939, empfindet das Übernachten mit seinem Camper auf dem Stellplatz direkt am Zeppelinfeld als hochemotional und beklemmend. Unweit vom Ort, an dem Hitler von einer Tribüne "seinen Schwachsinn hinunterbrüllte", wie es Eigenbrod formuliert, sammelt sich jetzt ein kleines Grüppchen. Sie warten auf Barbara Braun vom Verein "Geschichte für Alle". Sie wird detailliert und im regen Austausch mit der Gruppe über das Gelände informieren: über die Blutfahnenweihe auf dem Luitpoldhain, über die religiöse Überhöhung der Reichsparteitage und über die nie fertiggestellte Kongresshalle.

Aufarbeitung in Nürnberg

Nürnberg lässt die bestehenden NS-Bauten nicht verfallen. Sie werden auch nicht rekonstruiert, sondern in ihrer Gestalt erhalten. 

Das erklärt Matthias Braun der nächsten Gruppe. Der Historiker begleitet seitens der Stadt die "demokratische Besetzung, die Öffnung und Profanisierung" des Orts, wie er sagt. Zur Führung sind so viele gekommen, dass die Gruppe aufgeteilt werden muss. Acht Führungen zur Nürnberger NS-Zeit, ihrer Vorgeschichte, Aufarbeitung und den Nachwirkungen stehen auf dem offiziellen Kirchentagsprogramm. Sie starten an verschiedenen Stellen, verteilt in der Stadt. Die Startpunkte markieren Stelen, an denen per QR-Code auch Audioinformationen abgerufen werden können.

"Gedenken heute" nennen die Veranstalter die Reihe, die sich wie ein roter Faden durchs Programm zieht. "Wir sind keine geschichtslose Veranstaltung", sagt Stefanie Rentsch, verantwortlich für das gesellschaftspolitische Programm beim Kirchentag: "Der Kirchentag ist aus dem Wissen um die Schoah und das Versagen von Kirche und Gesellschaft erwachsen." Nürnberg sei die Stadt der Reichsparteitage, der Rassengesetze, aber auch die Stadt der Nürnberger Prozesse und der NSU-Morde - "daran müssen wir erinnern".

Scheitern an der Technik

Ergänzend zu den Führungen gibt es auch Hörstationen an den Mahnmalen für NS-Zwangsarbeiter, die ermordeten Sinti und Roma und die NSU-Opfer. Große Beachtung finden die Hörstationen allerdings nicht. Von den wenigen Neugierigen, die versuchen, die Geschichten aufzurufen, scheitern viele an der Technik.

Im kleinen Begegnungspavillon "Tacheles" auf dem Hans-Sachs-Platz mitten in der Altstadt funktioniert die Technik. Mit einer VR-Brille können Besucher die Synagoge, die bis 1938 hier stand, wieder "begehen". Darauf weist Martin Brons hin. Der Pfarrer der Altstadtkirche St. Sebald informiert bei einer Führung über mittelalterliche, judenfeindliche Darstellungen. Ein Thema, das interessiert. Trotz heftigem Gewitter und Hagelschauer harrt die Gruppe im Pavillon aus und nutzt die Wartezeit, um über den Umgang mit Nürnbergs Geschichte ins Gespräch zu kommen.

1979, als der Kirchentag zum ersten Mal in Nürnberg zu Gast war, war die Aufarbeitung der NS-Zeit bereits ein Schwerpunkt des Programms. Damals mit Diskussionen und Vorträgen. Rentschs Ansatz ist ein anderer: "Wir wollen nicht von oben herab sprechen, sondern akustische Stolpersteine schaffen, Geschichte erlebbar machen, mit allen Sinnen. Wo sind schlimme Dinge passiert? Wo gab es Zerstörung? An den Orten können die Menschen ins Gespräch kommen."

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Quelle:
epd