DOMRADIO.DE: Es wurden deutlich verschärfte Asylverfahren beschlossen. Was sagen Sie denn insgesamt zu dem Ergebnis?
Pfarrer Matthias Leineweber (Geistlicher Begleiter von Sant’Egidio Deutschland): Vielleicht kann man einen Vorteil darin erkennen, dass man sich geeinigt hat. Ich glaube, das ist etwas Wichtiges, denn dieser dauerhafte Streit auf dem Rücken der Flüchtlinge ist sehr schwierig gewesen. Das ist auch ein Feld, das Menschen ausnutzen, Gruppen und Organisationen, die den Populismus fördern.
Ich hoffe mal, dass das wenigstens dazu beiträgt, dass die Europäer gemeinsam versuchen, sich der Thematik zu widmen. Aber natürlich habe ich auch große Fragen an diesen Kompromiss: Wie geht man mit der Not dieser Menschen um? Es geht ja um Menschen, die in extremen Notsituationen sind. Wird man dem gerecht? Und auch dem Anspruch der Europäer nach Humanität und nach Menschenrechten… Da habe ich ein paar Fragezeichen.
DOMRADIO.DE: Deutschland hatte gefordert, dass Familien mit minderjährigen Kindern von diesem Verfahren ausgenommen sind. Das erinnert an das Projekt der humanitären Korridore, bei denen ja auch ältere und kranke Menschen und eben auch Frauen und Kinder schnell in andere Länder gebracht werden sollten. Nancy Faeser konnte das leider nicht durchsetzen. Was halten Sie von der Entscheidung, die Reform jetzt ohne diesen Punkt umzusetzen?
Leineweber: Es ist sicherlich ein großer Nachteil, Kinder haben in solchen Camps eigentlich nichts zu suchen. Wir kennen die Zustände in solchen Lagern, weil wir sehr oft auf Lesbos oder anderen griechischen Inseln oder auf Zypern sind, wo wir Sommereinsätze durchführen und humanitäre Hilfe leisten. Das sind keine Orte für alleinstehende Frauen, auch nicht für Kinder oder andere vulnerable Personen. Da muss man sich dann schon fragen, welche Zustände herrschen dort? Wie weit wird ihr Leben und wie werden ihre Rechte geschützt? Da muss man wirklich noch mal nacharbeiten oder zumindest überprüfen, dass die Standards eingehalten werden.
DOMRADIO.DE: Italien wollte ja eher eine begrenzte Anzahl an Grenzverfahren, denn nach den sogenannten Dublin-Regeln würden fast alle Asylanträge von der italienischen Verwaltung bearbeitet werden müssen. Mit dieser Meinung ist das Land aber natürlich nicht alleine, es betrifft auch andere Länder. Ist das ein berechtigter Kritikpunkt, weil das sonst nicht mehr zu bewältigen wäre?
Leineweber: Das ist ja jahrelang verdrängt worden. Italien, Griechenland…, man muss auch ein bisschen Spanien sehen – die Länder im Süden wurden schon alleingelassen. Die Dublin-Vorschriften haben das ja so festgelegt, sodass sich die anderen Länder auch rausgehalten haben. Daher ist dieser Kompromiss sicherlich auch eine Hilfe, diese Länder zu unterstützen.
Die große Frage ist, wie das umgesetzt wird, wie wird das möglich und wie wird es auch in einer Form sein, dass das Asylrecht auch weiterhin bestehen bleibt, dass jeder, der europäischen Boden betritt, auch ein Recht hat, das Asylverfahren durchzuführen. Aber sind diese Lager überhaupt europäischer Boden? Das ist ja auch noch mal eine Frage.
DOMRADIO.DE: Eine weitere Idee, um die betroffenen Länder zu entlasten, ist sich solidarischer mit den stark belasteten Ländern der EU zu zeigen. Das soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Die Menschen sollen also auf andere Länder verteilt werden. Davon würden einige, die besonders viele Flüchtlinge aufnehmen, profitieren. Ist das ein richtiger Schritt?
Leineweber: Ich denke schon. Und ich denke, wir haben ja auch gesehen, dass es wichtig ist, den Ländern, die besonders belastet sind, eine Unterstützung zu geben, um andere, gesellschaftliche Formen zu stärken, die sich da ja auch sehr stark engagieren. Ich denke an viele Kommunen, die viel tun; dass sie dort auch spüren, ihre Bitten, ihre Fragen werden gehört. Ich glaube, das ist für das zivile Zusammenleben, auch zum Beispiel in unserer Gesellschaft sehr, sehr wichtig. Ansonsten werden wieder Ängste geschürt und das hat keinen Sinn.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie gesagt, es gibt einige Punkte, die sicherlich gut sind, auch wenn man noch nicht weiß, wie die Umsetzung ist. Aber Sie zweifeln auch an einigen Ideen. Was ist Ihre Forderung auch aus der Position von Sant'Egidio heraus an die Politik, wenn es um die Flüchtlingsintegration und Hilfe geht?
Leineweber: Es geht vor allen Dingen darum, humane Wege der Zuwanderung zu ermöglichen, humanitäre Korridore. Denn das Flüchtlingsproblem ist ja nicht gelöst, die Migrationsproblematik wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen. Es sind nicht nur die Kriege, es ist der Klimawandel, es sind die schlechten politischen Verhältnisse, die die Menschen dazu bringen, sich auf den Weg zu machen. Da muss man einfach schauen, wie können wir Alternativen finden, nicht nur unsere Interessen durchzusetzen, die sicherlich berechtigt sind.
Aber wichtig ist auch, die Interessen dieser Menschen zu berücksichtigen und auch den Herkunftsländern zu helfen. Ich hoffe, dass das nicht aus dem Blick gerät, denn da muss man Maßnahmen ergreifen, um Möglichkeiten zu finden, die Länder zu entwickeln und Alternativen vor Ort zu schaffen, wenn man die Menschen schon nicht hier aufnehmen will.
Das Interview führte Michelle Olion.