Theologe sieht Religion bei Wissenschaft hoch im Kurs

"Fester Bestandteil des menschlichen Lebens"

Der evangelische Theologe Jörg Lauster hat den Eindruck, dass Religion in den Wissenschaften hoch im Kurs steht – entgegen der öffentlichen Wahrnehmung. Die Frage nach der Existenz Gottes sei dabei aber nicht die entscheidende.

Wie wichtig ist Religion noch für die Menschen? / © Andrey Zhar (shutterstock)
Wie wichtig ist Religion noch für die Menschen? / © Andrey Zhar ( shutterstock )

"Seit einer Generation gibt es eine Reihe von europäischen Intellektuellen, die selbst gar nicht unbedingt gläubig sind, aber Religion als festen Bestandteil des menschlichen Lebens begreifen", sagte der Professor für Systematische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" (Donnerstag).

Religion stiftet Sinn

Zwar seien die Argumentationen sehr unterschiedlich. Dennoch seien sich viele Intellektuelle einig, dass die Religion eine herausragende Rolle dabei spiele, Menschen Sinnstiftung, Orientierung und Trost zu gewähren.

Die Frage, ob es Gott gibt oder nicht, spiele dabei keine Rolle. "In den neuen Debatten wird Religion als essenzieller Sinnstiftungsfaktor begriffen, von dem am Ende auch Gesellschaften als Ganze profitieren."

Lauster räumte ein, dass der Einfluss der Kirchen schwinde. "Doch Kirche und Religion sind nicht dasselbe. Das institutionell verfasste Christentum hat große Probleme, aber wenn man Habermas, Jullien, Crane und vielen anderen folgt, spielt Religion als geistige Ressource und intellektuelle Kraft immer noch eine große Rolle."

Missbrauchsskandal als eine der größten Krisen

Aus Sicht des Theologen vermittelt etwa das Christentum dem Menschen ein Lebensgefühl, das besagt: "Es gibt etwas, das diese Welt hält und trägt und das ist größer als du." Diese Einsicht verändere das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, zu anderen und auch zur Welt.

Vor diesem Hintergrund nannte Lauster den Missbrauchsskandal "eine der größten Krisen des westlichen Christentums überhaupt". Er bedeute "einen immensen Vertrauensverlust in das, was Kirche eigentlich sein soll: ein konkurrenzfreies und vertrauensvolles Miteinander, in dem Menschen aufgehoben sind".

"Keine politische Institution"

Auf die Frage, wie weit sich Kirchen in Politik, etwa in die Klimapolitik, einmischen sollten, mahnte der Theologe zu Zurückhaltung. "Die Kirche ist allen voran eine religiöse Institution, keine politische. Im Verhältnis zur Natur geht es zunächst also darum, die religiöse Dimension zu thematisieren."

Aufgabe der Kirche sei es, "dem Geheimnis des Daseins, dem Geheimnis, Teil dieser Natur zu sein, dem Geheimnis, mit anderen Lebewesen verbunden zu sein, eine Sprache zu verleihen". Religion leiste damit eine gravierende Veränderung des menschlichen Weltverhältnisses.

Quelle:
KNA