DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die Wahl am Sonntag erlebt? Haben Sie mit diesem Wahlergebnis gerechnet?
Pfarrer Winfried Mucke (Pfarrei St. Stefan Sonneberg): Es schien sehr offen zu sein. Natürlich haben viele gehofft, dass die Wahl anders ausgeht – viele, mit denen ich gesprochen habe. Aber natürlich gibt es auch Menschen, die sich freuen. Deutlich war, dass die Wahlbeteiligung erheblich höher war als bei der ersten Runde der Wahlen.
DOMRADIO.DE: War denn auch diese Landratswahl in den vergangenen Wochen Thema in Ihrer Pfarrei?
Mucke: In persönlichen Gesprächen fast ständig, offiziell im Gottesdienst oder in anderen Gemeindebegegnungen nicht.
DOMRADIO.DE: Politische Debatten innerhalb der Gottesdienste finden bei Ihnen also nicht statt?
Mucke: Politische Debatten nicht, praktisch eine Ebene weiter hinten: Die Grundfragen, um die es geht, also auch die Werte etwa, für die wir stehen, worauf wir uns auch verpflichtet wissen, die werden natürlich benannt. Aber dann daraus zu folgern, wie wohl eine verantwortbare Wahlentscheidung aussähe, das werde ich nicht öffentlich sagen.
DOMRADIO.DE: Die Thüringer Regionalbischöfin Friederike Spengler von der Evangelischen Kirche spricht von einem Warnsignal. Sie ruft aber auch zu Gesprächen auf. Man dürfe die Wähler jetzt nicht anprangern. Wie sehen Sie das als Seelsorger?
Mucke: Das sehe ich ebenso. Denn die Motivation ist ja schwer zu fassen. Es gibt sicherlich Neonazis, die sich freuen und die das aktiv betreiben. Es gibt aber auch weitverbreitet eine Stimmung, dass man mit bestehenden Verhältnissen unzufrieden ist.
Das geht los mit Dingen, die seit 30 Jahren unterschwellig immer da sind wie zum Beispiel, dass der Osten benachteiligt ist. Das ist zwar Unsinn, zumindest im Hinblick auf mancherlei erhebbare Daten. Der Landkreis Sonneberg hatte über viele, viele Jahre immer die niedrigste Arbeitslosigkeit im Land Thüringen.
Inzwischen ist es nicht mehr die niedrigste, aber auch mit eine der niedrigsten. Insofern stimmt es nicht so ganz. Aber man hat und pflegt auch das Gefühl: Ja, wir Armen, wir sind immer noch die Dummen und die Ausgebeuteten.
DOMRADIO.DE: Die thüringische AfD ist als rechtsextrem eingestuft und wird auch vom Verfassungsschutz beobachtet. Jeder hat durchaus gewusst, wen er da wählt oder wofür die Partei steht. Spielt denn so etwas bei der Wahl gar keine Rolle?
Mucke: Das kann ich nicht beurteilen. In allen Gesprächen, die ich geführt habe, habe ich auf die Grundaussagen, die die AfD manchmal macht, aufmerksam gemacht. Oft bedient sie ja sehr vordergründige Themen, wo man oftmals auch sagen kann, dass das nicht grundverkehrt ist. Aber es appelliert oder knüpft an Ängste und an Unzufriedenheit an, die es zu einzelnen Sachverhalten gibt.
Ein Beispiel: "Unser Geld für unsere Rentner" – Da kann man nichts gegen sagen, außer dass natürlich da mitschwingt, dass wir den falschen Menschen hierzulande das Geld geben. Das nächste, was ebenfalls nicht gesagt wird, sind zum Beispiel Ausländer. Das schwingt da alles mit.
So ist die Argumentation der AfD an ganz vielen Stellen, dass man ganz vordergründig sagen müsste, dass da was Wahres dran ist. Und da fühlen sich viele verstanden. Die ganzen Haltungen, die dahinter stehen, die werden oft so nicht wahrgenommen.
DOMRADIO.DE: Thomas Arnold, der Direktor der Katholischen Akademie im Bistum Dresden-Meißen, sagt, dass die Kirche auch in der Pflicht steht, unsere Demokratie mitzugestalten und auch ihre Ressourcen weiterhin für eine Präsenz in der Gesellschaft hinein zu nutzen. Wie kann die Kirche, auch wenn sie in einer Minderheitenposition ist, hier weiterhin in den Raum hineinwirken für ein friedliches und solidarisches Miteinander auch nach einer solchen Wahl?
Mucke: Es gibt ein recht breitgefächertes seelsorgliches Angebot. Das geht über das innere Katholische hinaus. Wir haben einen Gemeindereferenten, der auch persönliche Begleitung, Beratung in Krisensituationen anbietet, und das ist natürlich nicht an die Zugehörigkeit zur Kirche gebunden.
Es gibt Bildungsabende, die nicht ausschließlich kirchliche Themen haben, zum Beispiel Rückblick und Verstehen der SED-Diktatur, wie das mit der Stasi war. Da gibt es in größeren Abständen hier auch Vortragsabende oder Begegnungsabende mit Zeitzeugen, die nicht riesig genutzt werden, aber doch schon von einer ganzen Reihe von Menschen, die nicht unbedingt zur Kirchengemeinde gehören.
Die Frage danach, wie wir richtig leben und was in der Vergangenheit war, so dass man es nicht vergessen darf, ist schon auch in unserem Angebot präsent.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.