Der Bundestag will erstmals die Suizidbeihilfe regeln

Selbsttötung auf Beratungsschein

Zwei Gesetzentwürfe liegen vor. Kritiker befürchten, dass eine Regelung zur Normalisierung des Suizids führt. Für die Abgeordneten ist es eine weitreichende Gewissensentscheidung.

Autor/in:
Christoph Scholz
Flur in einem Hospiz / © Harald Oppitz (KNA)
Flur in einem Hospiz / © Harald Oppitz ( KNA )

Die Selbsttötung war bis vor wenigen Jahren ein Tabu. Verboten war sie nie. Je nach Perspektive galt der Suizid eher als Zurückweisung des Lebens, als Hilfeschrei oder als letzter Ausdruck menschlicher Selbstbestimmung. Am Donnerstag will der Bundestag nach 90-minütiger Debatte erstmals in der Geschichte über eine Regelung der Beihilfe zum Suizid entscheiden, also darüber, wer unter welchen Voraussetzungen ein tödliches Mittel erhalten darf.

Sterbehilfe / © Patrick Thomas (shutterstock)

Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben 

Ein Verbot der geschäftsmäßigen, also auf Wiederholung angelegten Beihilfe, wie sie Sterbehilfevereine anbieten, hatte das Bundesverfassungsgericht 2020 in einem aufsehenerregenden Urteil aufgehoben. Die Richter hatten ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben postuliert – unabhängig von Alter, Krankheit oder individueller Begründung. Dazu könne der Sterbewillige auch die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen. Allein entscheidend ist, dass der Entschluss aus freiem Willen und ohne jeden Zwang gefällt wird. Zugleich empfahl das Gericht dem Gesetzgeber, ein Schutzkonzept zu verabschieden, um Missbrauch zu verhindern.

Zwei Entwürfe

Zwei nun vorliegende Gesetzentwürfe verstehen sich als Antworten auf das Urteil. Sie werden jeweils von Abgeordneten verschiedener Fraktionen getragen. Und wie bei ethisch heiklen Fragen üblich, sollen die Abgeordneten ohne Fraktionszwang, also ganz frei entscheiden. Das Parlament tut sich offensichtlich schwer mit einer Regelung. Nach drei Jahren an Beratungen und zwei sogenannten Orientierungsdebatten im Bundestag liegen die endgültigen Gesetzentwürfe erst seit kurzem vor. Eine Gruppe um die Abgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) führte zwei getrennte Vorlagen unlängst zusammen. Die Gruppe um Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) feilte bis zuletzt an Details.

Blick in den Plenarsaal im Deutschen Bundestag / © Michael Kappeler (dpa)
Blick in den Plenarsaal im Deutschen Bundestag / © Michael Kappeler ( dpa )

Schein nach Pflichtberatung 

Helling-Plahr und Künast geht es vor allem darum, für Volljährige das "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" sicherzustellen. Der Suizidwillige kann nach einer Pflichtberatung zu einem Arzt gehen, um sich das tödliche Mittel verschreiben zu lassen – sofern der Entschluss frei gefällt wurde und von einer "gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit" getragen ist. Der Schein ist aber nur für einen bestimmten Zeitraum gültig. In Härtefällen wie einer äußerst schweren Krankheit kann ein Arzt das tödliche Mittel ohne Schein verschreiben, wenn ein unabhängiger Kollege zur selben Einschätzung kommt. Die Bundesländer sollen dazu ein Beratungsnetz aufbauen.

Schutzkonzept

Castellucci und Heveling gehen stärker vom Schutzkonzept aus. Ihr Gesetzentwurf sieht ein grundsätzliches strafbewehrtes Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe im Strafrecht vor. Allerdings soll es Ausnahmen geben, wenn Sterbewillige sich von einem Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie mindestens zweimal im Abstand von drei Monaten untersuchen lassen und mindestens eine weitere Beratung durch einen Arzt oder eine Beratungsstelle bekommen. Nach der letzten Beratung sollen nochmals zwei Wochen bis zur Selbsttötung liegen.

Sorge vor Normalisierung 

Wie die Abstimmung ausgeht, ist offen, zumal sich viele Abgeordnete noch nicht entschieden haben. Findet keine Vorlage die nötige Mehrheit, bleibt die Suizidbeihilfe ungeregelt, freilich in den Grenzen des geltenden Rechts. Nicht wenige Abgeordnete treibt die Sorge um, dass jede staatliche Regelung den Suizid zu einer normalen Art des Sterbens macht – wie in den Niederlanden, wo inzwischen fünf Prozent der Todesfälle Suizide sind.

Kirche für Prävention 

Die Ärzteschaft, die Kirchen und vielen Interessenverbände dringen vor allem auf eine bessere Prävention, zumal der allergrößte Teil derSuizidwünsche auf Krankheiten wie Depressionen oder seelische Not zurückzuführen sei. Demnach sollte die Prävention auch imGesetzgebungsverfahren Vorrang haben. Hierzu haben beide Parlamentariergruppen je einen eigenen Entschließungsanträge eingebracht. Allerdings möchte nur die Gruppe Castellucci/Heveling dazu ein verbindliches Gesetz von der Bundesregierung.

Außerdem verlangt die katholische Kirche, dass sie in ihren Einrichtungen keine Beihilfe dulden muss. Gerade schwache und alte Menschen sollten sich durch derartige Angebote nicht bedrängt fühlen, ihr eigenes Weiterleben rechtfertigen zu müssen.

Hilfe bei Suizidgedanken

Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie – auch anonym – mit anderen Menschen über Ihre Gedanken sprechen können.

Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.

Die Angebote der Telefonseelsorge haben sich immer weiter spezialisiert / © Markus Scholz (dpa)
Die Angebote der Telefonseelsorge haben sich immer weiter spezialisiert / © Markus Scholz ( dpa )
Quelle:
KNA