DOMRADIO.DE: Hat man vor Ort mit der Ernennung von Erzbischof Stephen Ameyu zum Kardinal am vergangenen Sonntag gerechnet oder kam das überraschend?
Pater Gregor Schmidt MCCJ (Kongregation der Comboni Missionare vom Herzen Jesu, lebt seit 14 Jahren im Sudan(Südsudan): Zumindest habe ich nicht gehört, dass vorher über so etwas gesprochen wurde. Insofern ist es eine Überraschung. Es ist aber im Nachhinein auch nachvollziehbar, denn der Sudan - als er noch ein gemeinsamer Staat war - hatte ja Gabriel Kardinal Zubeir Wako in Khartum, der noch lebt, aber der jetzt über 80 Jahre alt ist.
Von daher ist es jetzt nicht aus der Luft gegriffen, dass der Sudan und der Südsudan - das ist ja noch eine gemeinsame Bischofskonferenz - einen Kardinal erhalten, um bei der nächsten Papstwahl dabei zu sein. Dass dann die Wahl auf den Metropoliten, den Erzbischof von Juba fällt, ist auch keine Überraschung. Denn das ist jetzt die wichtigste Diözese im Süd- und im Nordsudan.
DOMRADIO.DE: Khartum, als Hauptstadt des (nördlichen) Sudans, ist als Erzbistum nicht mehr so wichtig, wie es früher war?
Schmidt: Khartum ist jetzt so ein Anhängsel. Es gibt in dieser Bischofskonferenz nur neun Diözesen, wovon sieben im Südsudan sind und der gesamte Nordsudan, also der Staat Sudan, hat nur zwei Diözesen mit zwei Bischöfen und relativ wenigen Katholiken. Die Christen leben ja fast alle im Süden. Im Norden sind sie nur geduldete Gäste. Im Norden ist im Wesentlichen nur die schwarze Bevölkerung christlich und die haben alle ihre Wurzeln im Süden. Daher ist Juba als Hauptstadt des Südsudan das neue Machtzentrum der katholischen Kirche für den Norden und Süden zusammen.
DOMRADIO.DE: Wie ist die Kardinalsernennung bei den Gläubigen oder überhaupt im Land aufgenommen worden?
Schmidt: Ich habe jetzt mit relativ wenigen Leuten gesprochen. Aber natürlich freuen sich alle, dass es jetzt hier einen Kardinal gibt. Aber es ist auch nur eine symbolische Ernennung. Das ändert ja nichts am Kirchenalltag und vor allen Dingen ändert es auch nichts für andere Diözesen. Diese Kardinalsernennung wird ja dann relevant, falls Papst Franziskus in den nächsten Jahren sterben wird. Der Erzbischof von Juba ist jetzt ungefähr 60 Jahre alt.
Das heißt, mit großer Wahrscheinlichkeit wird er an der nächsten Papstwahl teilnehmen. Darin würde die eigentliche Bedeutung liegen, dass wir jetzt hier einen Kardinal haben. Aber ich glaube nicht, dass sich irgendetwas im praktischen Alltag der Kirche hier im Land ändert.
DOMRADIO.DE: Franziskus war erst im Februar im Südsudan. Das Land ist politisch gespalten, wird von vielen Krisen heimgesucht. Was hat dieser Besuch von Papst Franziskus bewirkt? Gibt es da politische Auswirkungen, die jetzt auch im Alltag eine gewisse Relevanz haben?
Schmidt: Der Besuch war sehr wichtig und es war ja auch ein ökumenischer Besuch mit drei Kirchenhäuptern, Papst Franziskus mit dem Erzbischof von Canterbury und dem Moderator aus Schottland für die Presbyterianer. Es war eine bewusst ökumenische Pilgerreise mit drei Kirchenvertretern. Der Besuch war sehr wichtig, weil die Dinge deutlich auf den Tisch gekommen sind und die Politiker sich die Wahrheit auch anhören mussten. Es hat aber keinen sichtbaren Effekt. Wie der Konflikt sich entwickelt hat, das ist eine sehr lange Geschichte. Irgendwelche Appelle an die Moral helfen hier überhaupt nicht. Es geht hier um ganz knallharte Interessenvertretung. Das kann nur am Verhandlungstisch mit den Parteien ausgetragen werden, die betroffen sind. Da helfen Appelle von außen gar nichts.
DOMRADIO.DE: Was sind das denn für Parteien? Ist es ein religiöser, politischer oder ethnischer Konflikt?
Schmidt: Ethnisch. Die traditionelle Stammesgesellschaft funktioniert so, dass es eine absolute Loyalität nach innen und eine ganz starke Abgrenzung nach außen gibt. Es betrifft Großfamilien und Sippen, die sich von anderen Sippen innerhalb eines Stammes abgrenzen. Dann gibt es noch auf das Land bezogen die Sprachgruppen. Der Einfachheit halber sagt man, eine Sprache ist eine Volksgruppe oder eine Ethnie, wobei man das auch diskutieren kann. Diese Sprachgruppen sind die Interessenvertretung ihrer Leute. Da gibt es zwei große Gruppen, zwei große Kampfhähne, die Dinka und den Nuer. Dann gibt es viele andere kleinere Gruppen und es gibt viele bewaffnete Oppositionsgruppen.
Es gibt nicht eine Oppositionsvertretung, sondern das ist ein Wirrwarr, eine sehr anarchische Situation, wo jede Gruppe ihre eigenen Interessen durchsetzen möchte, damit ihre Leute nicht unter die Räder kommen. Die wollen Anteil am Kuchen der Ressourcen haben. Es gibt die Öleinnahmen, zwei Milliarden Dollar jedes Jahr und das geht alles an die politische Elite. Das ist eine Kleptokratie, nach der Bewertung von Transparency International im Jahr 2022 der zweitkorrupteste Staat der Welt. Natürlich bewirkt es gewaltsamen Widerstand, wenn Leute merken, dass sie nichts abkriegen.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die katholische Kirche in dieser Gemengelage? Ist sie Teil dieses korrupten Systems oder kann sie hier gegenwirken?
Schmidt: Die katholische Kirche besteht ja aus Bürgern, die auch wieder Teil ihrer Stämme und Volksgruppen sind. Deswegen ist die Kirche da nicht ganz unabhängig.
DOMRADIO.DE: Aber sie könnte doch etwas Einendes mit hineinbringen, wenn verschiedene Stämme drin sind.
Schmidt: Es gibt die Verlautbarungen der Bischofskonferenz und den Ökumenischen Kirchenrat, wo die katholische Kirche Gründungsmitglied ist. Diese Verlautbarungen schauen auf das Wohl aller Bürger und sind sehr konstruktive Botschaften. Trotzdem ist es so, dass die Leute in diesem Kirchenrat und auch in der katholischen Kirche verschiedenen ethnischen Gruppen angehören und da nicht frei von sind. Die katholische Kirche ist natürlich eine wichtige Stimme für Frieden, Gerechtigkeit und Aussöhnung und ist trotzdem auch ein Teil dieser gespaltenen Gesellschaft.
DOMRADIO.DE: Wie ist den die offizielle Position der Bischofskonferenz zur aktuellen Entwicklung im Land?
Schmidt: Es gab letzte Woche ein Treffen der Bischöfe, wo sie ungewöhnlich scharf den politischen Prozess kritisieren, der ja irgendwann zu neuen Wahlen führen soll, die seit 2010 nicht mehr stattgefunden haben. In ihrem Schlussdokument erinnern die Bischöfe an die Verantwortung der Politiker, eine gerechte und friedliche Ordnung herzustellen. In der gegenwärtigen Lage haben die Bischöfe jedoch den Eindruck, dass die Übergangsregierung der nationalen Einheit nicht die Fähigkeit dazu besitzt, "selbst wenn sie es wollen würde."
Es wird also zwischen den Zeilen gesagt, dass die politische Elite gar keinen gerechten Frieden will. Der jetzige Friedensprozess seit 2018 (R-ARCSS genannt) hat keine der Ursachen für den Konflikt gelöst, und stattdessen einen Mechanismus geschaffen, "wo die Elite sich auf Kosten der einfachen Bevölkerung bereichert."
"Es ist ein mangelhafter Prozess, und es wird niemals Frieden im Südsudan geben, so lange die internationale Gemeinschaft auf diese Art von Verhandlungsmodell beharrt." So deutlich haben die Bischöfe noch nie gesprochen. Das gibt mir Hoffnung.
DOMRADIO.DE: Stephen Ameyu wurde Ende 2019 zum Erzbischof von Juba ernannt. Es gab da allerdings Widerstand. Es gab Gruppen, die ankündigten, man wolle ihn als neuen Erzbischof nicht akzeptieren. Franziskus hat seine Entscheidung noch einmal überprüft, sie dann aber noch mal bekräftigt. Wie sieht es mit diesem Widerstand aus? Hat er sich jetzt durch die Kardinalsernennung gelegt oder ist diese jetzt noch einmal Öl ins Feuer?
Schmidt: Der Widerstand besteht darin, dass die Diözese Juba mehrheitlich aus Bari besteht. Das ist hier eine Volksgruppe. Die bisherigen Bischöfe waren alles Bari-Bischöfe und die anderen kleineren Volksgruppen, die als Katholiken Teil dieser Diözese sind, die haben das akzeptiert. Stephen Ameyu ist aber von einer anderen Volksgruppe. Der war Bischof in Torit, das auch im Südsudan liegt. Das zeigt, dass es keine nationale Identität gibt, sondern es gibt nur ethnische Identitäten in diesem Land.
Wie in der Politik sich die Leute nur von einer Person ihrer eigenen Volksgruppe sicher vertreten fühlen, fühlen sich auch Katholiken nur sicher vertreten von einem der Ihren und nicht von einem Südsudanesen einer anderen Volksgruppe. Das zeigt exemplarisch, dass die katholische Kirche von diesem ethno-zentristischen Machtkampf nicht frei ist, der in diesem Land besteht. Der politische Kampf um die Vorherrschaft nach der Unabhängigkeit hat mit Dinka und Nuer angefangen. Aber die Bari, die Schilluk und die anderen Volksgruppen, die sind im Herzen nicht besser, was den Ethnozentrismus angeht.
Dieser Widerstand bei der Ernennung von Stephen Ameyu, der hat zwar aufgehört, als gemerkt wurde, dass er wirklich kommt, so dass da jetzt zwar Ruhe ist. Aber Stephen Ameyu muss sich als Nicht-Bari Anerkennung bei den Bari schaffen, dass er hier überhaupt als Bischof regieren kann. Der kann von den Bari-Priestern und anderen Bari-Leuten in der Kirche sehr einfach aufs Abstellgleis gestellt werden. Da muss er sehr genau schauen, was er sagt und tut. Das ist eine Gratwanderung auf Messers Schneide für ihn, ein Bischof der Kirche für alle Katholiken zu sein und sich mit den Bari in der Diözese gut zu stellen.
DOMRADIO.DE: Und daran würde sich auch nichts ändern, wenn er jetzt Kardinal ist?
Schmidt: Überhaupt nicht. Wenn er jetzt darauf pochen würde, dass er als Kardinal jetzt noch mehr Autorität hätte, würde das nur in die gegenteilige Richtung gehen, dass die noch mehr Widerstand leisten. Das soll er mal nicht so laut sagen, dass er jetzt auf einer höheren Stufe steht. Im Südsudan werden Interessenkonflikte im Dialog, im Konsens ausgehandelt. Da schaut man nicht auf Positionen, sondern auf die puren Interessen, die die Leute haben.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.