Taizé versucht den Gesetzen der Kirchengeschichte zu trotzen

Reisen mit leichtem Gepäck – und einem Wackerstein

Taizé-Gründer und Protestant Frère Roger beschäftigte sich intensiv mit dem abendländischen Mönchtum und seinen Tücken. Und er traf Vorkehrungen, um Taizé jung und frisch zu halten. Doch ein Problem sah er nicht voraus.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Ortsschild der französischen Gemeinde Taizé. / © Elena Hong (DR)
Ortsschild der französischen Gemeinde Taizé. / © Elena Hong ( DR )

Stabwechsel bei der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé: Der deutsche Katholik Frère Alois (69), Nachfolger des Gründers und Schweizer Protestanten Frère Roger (1915-2005), gibt die Leitung nach 18 Jahren ab. Ihm soll zum Jahresende der englische Anglikaner Frère Matthews (58) als dann dritter Prior der Bruderschaft folgen, die seit Jahrzehnten Generationen von Jugendlichen weltweit für ein christliches Leben mobilisiert. Eine Verjüngung ohne Hintergedanken?

Aus armen Bewegungen wurden oft reiche Kloster-Netzwerke

Der Calvinist Frère Roger setzte sich zeitlebens stark mit dem abendländischen Mönchtum auseinander – und gab am Ende für seine Gemeinschaft von Taizé die Parole aus: den Blick immer nach vorne, nie zurück. Nicht erstarren, nichts besitzen, immer neu zuhören und erneuern. Reisen mit leichtem Gepäck.

Es gehört zu den Ironien der Kirchengeschichte, dass gerade die großen Reformorden einem paradoxen Zyklus unterlagen. Gegründet von glühenden Asketen, die das radikale Armutsideal des benediktinischen Mönchtums erneuern wollten, zogen sie mit ihrer Strahlkraft Tausende in ganz Europa an: erst Tausende junger Männer, die ein anderes Leben suchten; dann Tausende frommer Stiftungen, mit denen der Adel sein ewiges Seelenheil zu befördern wünschte.

Frère Roger 1974 in Taizé (KNA)
Frère Roger 1974 in Taizé / ( KNA )

Aus radikal armen Bewegungen wurden so mächtige Kloster-Imperien, die sich über ganz Europa erstreckten. Das wohl bekannteste von ihnen war Cluny, das nur wenige Kilometer von Taizé entfernt liegt. Dort entstand mit zunehmendem Wohlstand eine Art Gebetsbeamtentum – und die größte Kirche der Christenheit, deren kleinster Teil noch als Ruine imposant wirkt.

Frère Roger wollte es anders machen

Bernhard von Clairvaux (um 1090-1153), Gründerfigur der Zisterzienser, kritisierte die Entwicklung in Cluny und empfahl seinen eigenen Brüdern: "Was immer man euch anbieten mag, weist es zurück, wenn es nicht mit eurem Heil verbunden ist." Und doch war es gerade seine eigene moralische Autorität, die den Zisterziensern geistliche Berufungen und geschenkte Ländereien nur so zufliegen ließ.

Seit Franz von Assisi (1181/82-1226) und seinem Franziskanerorden gibt es dann auch eine gezielte Einflussnahme durch die wissenschaftliche Theologie. Das geistliche Testament des heiligen Franziskus wurde durch eine Heerschar von Kirchenrechtlern zerpflückt; ein theologischer Streit um die Armut der Kirche brach aus.

Frère Roger hat all diese Fälle studiert – und er sagte konsequent Nein: kein persönlicher und auch kein kollektiver Besitz, keine Rechtstitel, keine Archive. Erbschaften, Spenden oder sonstige Zustiftungen werden an Bedürftige weitergereicht. Nur was die Brüder durch Töpferarbeiten selbst erwirtschaften, unterhält die Gemeinschaft.

"Wie eine große Familie"

Offenheit und Vorläufigkeit zur eigenen Maxime zu erklären, kann für eine entstehende Gemeinschaft fruchtbar und weise sein. Und der Verzicht auf Fixierungen hatte seit Frère Rogers Anfängen in Taizé tatsächlich Erfolg. Doch inzwischen hat Taizé längst eine Geschichte, eine Tradition. Könnte es nicht doch wie so viele andere Orden irgendwann vom eigenen Erfolg niedergewalzt werden?

"Die Gefahr gibt es sicher", räumte der scheidende Prior, Frère Alois, einmal im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) ein – und er verwies auf das Erfolgsrezept seines Vorgängers: "Die Tatsache, dass wir täglich in aller Welt mit den Jugendlichen zusammenleben und Antworten auf ihre Fragen suchen, hält uns jung." Als Beispiel nannte er Bangladesch oder Korea mit ihrer Armut und ihrer Aufrüstung. "Da können wir uns nicht auf uns selbst zurückziehen und unser Leben nur unter uns leben."

Frere Alois / © Christoph Koitka (KNA)
Frere Alois / © Christoph Koitka ( KNA )

Und, so Frère Alois: "Es hilft uns, dass wir nur eine kleine Gemeinschaft von rund 100 Brüdern sind. Wir kommen aus 30 verschiedenen Ländern und haben ganz unterschiedliche Mentalitäten. Aber wir kennen einander und leben wie eine große Familie zusammen." Gemeinschaft statt Gebetsinstitution.

Nicht alle sind geblieben

Doch Gemeinschaft ist kein Selbstläufer, sondern auch Arbeit, Verzicht – und Verlust. Das lebenslange Versprechen konnten nicht alle Taizé-Brüder halten.

Frère Max Thurian (1921-1996), Mitbegründer und theologischer Kopf von Taizé, konnte die Fortschritte in der Ökumene nicht abwarten und wurde katholischer Priester; dennoch besuchte er seine einstigen Brüder jede Woche.

Frère Wolfgang (Klaus Homburger) trat nach über drei Jahrzehnten aus, wurde Krankenhausseelsorger und schrieb ein Buch über Taizé. Auch andere Brüder verließen die Gemeinschaft.

Auch Taizé ist nicht frei von Missbrauch

Zu diesem inneren Ringen hat sich in den vergangenen Jahren ein weiterer Alb gesellt, der das Jungbleiben erschwert - und offenbar auch dem scheidenden Prior schwer zu schaffen macht: mehrere Fälle von Missbrauch durch Brüder der Gemeinschaft; in früheren Jahrzehnten, aber durchaus auch in seiner Amtszeit. Sie liegen im traurigen Trend der kirchlichen Realitäten im 21. Jahrhundert.

Und sie werfen einen dunklen Schatten auf die Gemeinschaft, deren größtes Kapital ihre Glaubwürdigkeit bei der Jugend ist. Den Blick immer nach vorne, nie zurück – die Parole Frère Rogers kann für den Umgang mit Missbrauch nicht gelten. Vielleicht braucht es nun einen Perspektivwechsel.

Taizé

Taizé ist ein Symbol der ökumenischen Bewegung. Der Ort im südlichen Burgund ist Sitz einer christlichen Gemeinschaft und wurde zum Treffpunkt für Jugendliche aus aller Welt. Der Bruderschaft gehören rund 100 Männer aus etwa 30 Ländern an, die aus der evangelischen und katholischen Kirche stammen. Von ihnen lebt etwa ein Viertel in kleinen Gemeinschaften in Asien, Afrika und Südamerika. Diese Brüder teilen ihr Leben mit Straßenkindern, Gefangenen, Sterbenden und Einsamen.

Hände beim Taizé-Gebet / © Harald Oppitz (KNA)
Hände beim Taizé-Gebet / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA