Moderne Gesellschaften müssen nach Ansicht des Soziologen Andreas Reckwitz lernen, mit Verlusten umzugehen. Krisen wie Krieg und Klimawandel als neuer Normalzustand setzten eine Gesellschaft unter erheblichen Stress, sagte er dem "Stern" (Mittwoch).
Das Versprechen von Fortschritt und Wachstum sei dadurch erschüttert: "Die prägende Erzählung der Moderne hat einen Knacks bekommen."
Aktuell finde eine Art "Verlusteskalation" statt, so der Soziologe. Menschen, die früher zur Mittelschicht gehörten, arbeiteten nun für Niedriglöhne. Andere bemerkten, dass ihre Werte und Gesellschaftsbilder überholt würden.
Hinzu kämen aktuelle Krisen, die wie Brandbeschleuniger für Verlustängste wirkten. Gerade die Klimapolitik erlebten manche als Angriff auf ihre bisherige Lebensform.
Rechtspopulismus als neue Normalität?
"Die Frage ist: Wie geht eine Gesellschaft damit um?" Rechtspopulisten täuschten eine einfache Antwort vor und versprächen, das Verlorene zurückzuholen, sagte Reckwitz. "Das ist eine Illusion. Aber der Rechtspopulismus lebt von dieser Illusion, im Kern ein zutiefst nostalgischer Ansatz."
Im Aufstieg des Rechtspopulismus sieht er ein längerfristiges Phänomen: "Auch wenn es ernüchternd klingt: Die Existenz des Rechtspopulismus ist neue politische Normalität."
Aufgabe der Parteien jenseits des Rechtspopulismus sei es, neue Ziele zu formulieren. "Die liberale Demokratie wird ihr Fortschrittsverständnis neu justieren müssen", so der Experte. "Die neue Botschaft wäre eher defensiv: das Schlimmste verhindern." Die Herausforderung liege darin, ein realistisches Verhältnis zu Verlusten zu erlangen.