"Die Union scheint bemüht, in der Migrationspolitik eine konservativ wirkende Fahne hochzuhalten – ganzegal, was an Substanz dahinter steckt. Dieser Asylrechtsvorschlag ist meiner Meinung nach nicht gerichtsfest. Das müssten auch die dafür Verantwortlichen wissen" sagte Welskop-Deffaa den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). Sie halte es für fahrlässig, "mit unrealistischen Vorschlägen eine Migrationsdebatte anzuheizen, anstatt gemeinsam Lösungen zu suchen".
Kontingentlösung als Alternative
Ende Juli hatte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei (CDU), eine weitgehende Abschaffung des individuellen Anspruchs auf Asyl vorgeschlagen. In einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" plädierte er dafür, dieses durch eine europäische Kontingentlösung zur Aufnahme von Flüchtlingen zu ersetzen. 300.000 bis 400.000 Menschen pro Jahr sollten direkt in Europa verteilt werden.
Die Caritas-Präsidentin sagte, Deutschland sei darauf angewiesen, dass Menschen aus dem Ausland kämen. "Geflüchtete sind nicht vom ersten Tag an als Arbeitskräfte einsetzbar, aber dank intensiver Bemühungen gelingt Integration immer wieder schnell. Die Caritas verdankt es auch dem Einsatz von Menschen die als Geflüchtete zu uns kamen, dass wir unsere Angebote in der Pflege aufrechterhalten können, nicht wenige finden Beschäftigung bei uns."
Toxische Debatte der Ampel
Welskop-Deffaa sieht viele Menschen durch Streitpunkte der Regierung verunsichert. "Die Debatte der Ampel um die Kindergrundsicherung war toxisch", sagte sie. "Es ging monatelang nur darum, wie viele Milliarden es dafür geben oder nicht geben soll, anstatt um Konzepte zum Schutz von Kindern vor Armut zu diskutieren." In der Bevölkerung sei der Eindruck zurückgeblieben: "Für Familien ist zu wenig Geld da", erklärte Welskop-Deffaa. Das schüre Ängste bei denjenigen, die ohnehin kaum zurechtkommen.
Die Chefin des katholischen Wohlfahrtsverbandes warnte die Ampel-Koalition vor Kürzungen bei Sozial- und Hilfsprojekten. "Die derzeit geplanten Einschnitte bei den Wohlfahrtsverbänden führen über kurz oder lang zu einer Verstaatlichung sozialer Dienste. Das kannniemand wollen", sagte sie. Die von der Ampel geplanten Kürzungen schwächten unser Sozialsystem so stark, dass es ins Wanken geraten könne; und: "Ich hoffe, dass wir das abwenden können."
Zusammenhalt nicht kaputtreden
Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa warnt außerdem davor, den gesellschaftlichen Zusammenhalt kaputtzureden. "Wenn ich im Land unterwegs bin, treffe ich immer wieder viele Menschen, die sich für andere einsetzen. Dafür bin ich dankbar, und deshalb habe ich persönlich nicht den Eindruck, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt", sagte Welskop-Deffaa. "Aber er kann leicht kaputt gehen, wenn wir ihn kaputtreden. Das kann dann auch sehr schnell gehen."
Nicht von radikalisierender Rhetorik mitreißen lassen
Es sei spürbar, dass die unteren Einkommensgruppen abgehängt würden von der allgemeinen Entwicklung. "Wenn im Prenzlauer Berg eine Kugel Eis über zwei Euro kostet und der Mindestlohn bei zwölf Euro liegt, sind zwei Kugeln Eis beinahe eine halbe Stunde Arbeit. Da passt einfach etwas nicht mehr zusammen", so die Caritas-Präsidentin.
Angesichts von Krisen schimpften viele Menschen "oft und hart" auf die demokratischen Parteien – "das ist erschreckend", betonte Welskop-Deffaa und mahnte: "Bei aller auch berechtigten Kritik am politischen Betrieb ist mein Appell: Wir dürfen uns als Gesellschaft nicht von einer sich immer weiter radikalisierenden Rhetorik mitreißen lassen."
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde am 5. August 2023 um 11:12 Uhr aktualisiert.