DOMRADIO.DE: Wenn Sie heute hören, Robert Zollitsch wird an diesem Mittwoch 85 Jahre alt, woran denken Sie zuallererst?
Matthias Drobinski (Chefredakteur von Publik Forum und Kirchen-Beobachter): Tatsächlich zuerst an die Enttäuschung, die bei mir seit diesem April 2023 herrscht, als das Missbrauchsgutachten des Erzbistums Freiburg veröffentlicht wurde. Als klar war, dass Robert Zollitsch uns Journalisten und die Katholiken lange angelogen hat.
Ich würde gerne anderes berichten, von dem, was er alles getan hat, darunter auch Gutes. Ich habe ihn lange begleitet, auch als Reporter der Süddeutschen Zeitung und da gab es auch gute Erlebnisse. Aber das andere herrscht gerade vor.
DOMRADIO.DE: Wenn wir auf seine Zeit als Erzbischof von Freiburg schauen. Zollitsch war 2003 zehn Jahre lang dort Metropolit der Kirchenprovinz. Eine segensreiche Zeit?
Drobinski: Ja, ich glaube, er hat schon vieles angepackt und angefangen, was damals auch notwendig war, darunter Reformen im Bistum. Er hat die Priesterausbildung auf neue Füße gestellt. Er hat Seelsorgeeinrichtungen eingerichtet. Da war er durchaus jemand, der Vorreiter war, der vieles angepackt hat, auch im Bistum.
Ich erinnere mich, dass er auch einen Diözesantag ins Leben gerufen hat. Er war jemand, von dem man dachte, da ist einer, der kommt aus dem "Apparat".
Er war vorher lange Personalreferent, der kennt dieses Erzbistum von vorne bis hinten. Er hat als vorsichtiger Reformer angefangen. Er war keiner, der Dinge Hals über Kopf ändern wollte, auch da war er vorsichtig und schaute immer ausgleichend, dass er niemanden zu sehr auf die Füße trat. So hatte ich ihn in Erinnerung, auch als er Bischofskonferenzvorsitzender wurde.
DOMRADIO.DE: 2008 bis 2014 ist er gewählt worden von seinen Mitbrüdern. Warum haben die Mitbrüder im bischöflichen Amt auf Zollitsch gesetzt? Was waren die Erwartungen?
Drobinski: Ich glaube, genau dieses Ausgleichende war das, was ihn auszeichnet. Die Bischofskonferenz strebte durchaus schon damals auseinander, zwischen Konservativen, die keine Änderung wollten und zwischen Bischöfen, die sagten wir müssen weitergehen. Auch das Thema Missbrauch spielte schon damals eine Rolle, seit den Jahren 2002/2003. Es gab neue Leitlinien, aber auch die Frage, wie man mit Modernisierungsdruck in der katholischen Kirche umgehen soll.
Da erschien Robert Zollitsch als jemand, der die verschiedenen Flügel zusammenhält. Kardinal Lehmann, der auch lange Bischofskonferenzvorsitzender gewesen war, unterstützte ihn stark, auch gegen den aufstrebenden Erzbischof Marx aus München.
Das war damals eine Art Wettrennen, wer wird die Wahl gewinnen? Die Konservativen unterstützten eher Reinhard Marx aus München und Lehmann organisierte eine Mehrheit für Robert Zollitsch, weil er den für ausgleichender hielt, so glaube ich.
Man muss sich vorstellen, diese Bischofskonferenz ist letztlich ein Gremium, das wenig Macht hat, das davon lebt, dass der Vorsitzende alle irgendwie wieder ins Boot holt oder es gelingt ihm nicht. Ich glaube, da dachte Kardinal Lehmann, dafür ist Zollitsch der Geeignetere.
DOMRADIO.DE: In diese Zeit fällt auch das Jahr 2010, das Schlüsseljahr für die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt. Damals ist die katholische Kirche in Deutschland in schweres Fahrwasser geraten, weil immer mehr Fälle von Missbrauch in den eigenen Reihen ans Licht kamen. Wie haben Sie Erzbischof Zollitsch damals erlebt? Er hat doch Aufklärung versprochen.
Drobinski: Ja, so habe ich ihn tatsächlich auch erlebt. Ich erinnere mich noch an diese dramatische Bischofskonferenz 2010, bei ihm in Freiburg, quasi ein Heimspiel. Diese Kirche war aufgescheucht. Ich kam, als ich dahin fuhr, von einer Geschichte, die ich gemacht hatte über das Kloster Ettal, wo es auch ganz furchtbaren Missbrauch, sowohl körperliche als auch sexualisierte Gewalt gegeben hatte. Solche Geschichten kamen überall auf.
Ich erlebte diese große Ratlosigkeit. Man schien richtig überrollt zu sein. Da erschien mir Robert Zollitsch schon als jemand, der verstanden hat, dass das mehr ist als nur Einzelfälle, sondern dass es durchaus systematische Ursachen hat, was da passiert. Durchaus gegen Widerstände in der Bischofskonferenz.
Man muss auch sehen, damals wurde das Thema in kirchlichen Kreisen immer noch weitgehend geleugnet. Es gab Leute, die sagten, die Medien, die fallen über uns her, wie damals unter den Nazis. Dieser Vergleich wurde gezogen. Da muss man auch wissen, in welcher Aufregung und welcher Aggressivität das zum Teil stattfand. Bischof Müller in Regensburg damals scheute da auch keinen Vergleich.
In dieser Zeit erschien Zollitsch schon als jemand, der sagt, wir müssen das angehen. Wir sehen, wir können nicht einfach da stehen bleiben bei dem, was wir bisher gemacht haben. Es gab auch heftige Anfragen aus der Politik. Die damalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger fragte, wie rechtstreu seid ihr in der Kirche, wenn ihr so lange nicht mit den Staatsanwaltschaften zusammengearbeitet habt?
Alles dies brach über die Kirche herein, und da schien Zollitsch derjenige zu sein, der vielleicht nicht ganz vorne an der Spitze der Aufklärer stand, aber der doch wusste, da muss es weitergehen.
DOMRADIO.DE: Machen wir einen Sprung in die heutige Zeit. Bei dem Freiburger Gutachten, Sie haben es angesprochen, kam raus, dass Robert Zollitsch große Schuld auf sich geladen hat. Sein Bundesverdienstkreuz mit Stern hat er im April auch zurückgegeben. Welche Rolle hat er, Ihrer Beobachtung nach, gespielt bei der Aufarbeitung? Ein doppeltes Spiel?
Drobinski: Leider ja. Darüber war ich schon erschüttert. Ich habe zwar gedacht, bei dem Gutachten werden Fehler von ihm herauskommen. Es wird so sein wie bei sehr vielen Bischöfen dieser Generation, dass man sieht, sie haben den Schutz der Institution, über die Solidarität mit den Betroffenen, den geschädigten und leidenden Kindern gestellt. Das habe ich erwartet, dass es da Fehler und Nachlässigkeiten gibt, dieses Nicht-Wahrnehmen, dieses Missverhältnis.
Aber bei Robert Zollitsch war es doch noch eine Nummer mehr. Der hat sehr bewusst Fälle nicht nach Rom gemeldet, letztlich gegen die Regeln der eigenen Kirche. Seit 2001 war das die Regel in Freiburg. Oskar Saier war sein Vorgänger, der hatte das schon angefangen. Es wurde nie ein Fall gemeldet.
Man hat Dinge unter der Decke gehalten. Es gab in dem Ort Oberharmersbach ein Altenheim. Ein Pfarrer war dahin versetzt worden. Zollitsch wusste drei Jahre, bevor es rauskam schon, dass dieser Mann Kinder missbraucht. Nichts geschah.
Alle diese Dinge haben mich erschüttert. Dass dieser Mann, der nach außen hin als derjenige galt, der die Dinge voranbringt, doch auf der anderen Seite einfach derjenige war, der am heftigsten vertuschte. Der das auch bewusst tat. Der sagte, ich geh da nicht raus mit dem, was mir nachteilig werden könnte. Auch 2010, glaube ich, gab es schon Leute im Erzbistum, die auf ihn einwirken wollten und gesagt haben, du musst doch wenigstens bei dir selber reinen Tisch machen. Geh doch voran und sage, was du falsch gemacht hast. Das geschah nicht.
Das erschüttert mich schon, weil ich ihm das letztlich abgenommen habe, dass er da Reformen will. Auch als Journalist: man begegnet Leuten und denkt sich, der stellt sich schon sehr dar, bei einem anderen denkt man, der hat es noch nicht kapiert.
Aber bei ihm dachte ich, da geht was voran, auch im Denken hat sich was verändert. Das ist schon bitter zu sehen, dass das eine Fehleinschätzung war.
Das Interview führte Tobias Fricke.