Bundesamt für Naturschutz wird 30

"Natürlich können wir etwas machen"

Mitte August jährt sich die Gründung des Bundesamtes für Naturschutz zum 30. Mal. Die Präsidentin der Behörde, Sabine Riewenherm, wirbt trotz Krisen für Zuversicht. Ein Interview über Mähroboter, globale Zusammenhänge und den Papst.

Schild Naturschutzgebiet / © Adrienne Kulcsar (shutterstock)
Schild Naturschutzgebiet / © Adrienne Kulcsar ( shutterstock )

KNA: Stellt stellt sich überhaupt noch die Frage, warum Naturschutz wichtig ist?

Sabine Riewenherm (Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz): Inzwischen ist überall angekommen, dass Naturschutz wichtig ist, dass er eng zusammenhängt mit der Klima- und der Biodiversitätskrise. Bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad – ein Ziel, das laut Klimaforschung ja wahrscheinlich nicht gehalten werden wird – gibt es bereits dramatische Veränderungen für verschiedene Ökosysteme. Oft hört man in diesem Zusammenhang auch den Begriff "Kipppunkte". Dazu gehört das Abschmelzen der Eisschilde und das Ansteigen des Meeresspiegels. Umgekehrt haben Ökosysteme wie der Regenwald eine Wirkung auf das globale Klima.

KNA: Klimawandel und Artensterben werden oft als die beiden großen Krisen unserer Zeit benannt ...

Riewenherm: Die Klimakrise wird jeden einzelnen Menschen betreffen, das macht sich schon heute bemerkbar. Vor zehn Jahren wusste kaum jemand, was ein Jetstream ist und wie er sich etwa auf Hitzeschilde auswirkt. Vor fünf Jahren waren noch viele Fachleute der Ansicht, dass es im Winter so viel regne, dass wir keinen Mangel an Grundwasser bekommen werden. Heute spüren Landwirte, Förster und wir alle, dass die Vegetationsperioden länger andauern, dass Dürrezeiten im Sommer auftreten. Andererseits nützt es nichts, nur Krisenstimmung zu verbreiten. Dann denken die Menschen, dass sie nichts machen können. Natürlich können wir etwas machen!

KNA: Befürchten Sie, dass ein Anliegen – Klimaschutz und Naturschutz – das andere überlagern könnte?

Riewenherm: Die Anliegen hängen zusammen. Durch den Klimawandel verschwinden bestimmte Typen von Lebensräumen und damit auch die Vielfalt der Arten. Das betrifft gar nicht immer die eine seltene Libellenart, sondern vielmehr Arten, die früher häufig waren und nun selten werden.

Symbolbild Naturschutz / © Tanja Esser (shutterstock)

KNA: Wie kann man dem begegnen?

Riewenherm: Es reicht nicht, Schutzgebiete anzulegen. Wir müssen auch etwa Klimakorridore in genutzten Bereichen anlegen, damit die Arten wandern und sich anpassen können. Der Verlust und Wandel von Biodiversität umfasst viel mehr Indikatoren als der Klimawandel, und es ist schwieriger festzustellen, welches die entscheidenden sind.

KNA: Stichwort seltene Libellenart: Was sagen Sie denjenigen, die meinen, auf ein paar lästige Insekten mehr oder weniger komme es nicht an?

Riewenherm: Wir müssen Zusammenhänge deutlich machen und erklären, warum Ökosysteme und die Arten in ihnen geschützt werden müssen. Wir fördern beispielsweise das Projekt "Wildkatzenwälder": Indem wir Wildkatzen helfen, wird zugleich der naturnahe Wald als Lebensraum unterstützt. Artenschutz ist auch Biotopschutz – und Biotope sind der Raum, in dem wir leben.

KNA: Zuletzt gab es durchaus einen Wandel im Bewusstsein ...

Riewenherm: ... und ich finde es super, dass es so viel Verständnis und Interesse gibt. Auch beobachten wir eine Annäherung zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. Das Bewusstsein ist bei vielen Menschen und Interessengruppen vorhanden.

Schwierig wird es, wenn es an die Umsetzung geht: Da heißt es dann etwa schnell, ja, wir müssen die Biodiversität schützen, aber erstmal brauchen wir die Flächen für den Siedlungsbau, den Verkehr und die Landwirtschaft. Es soll schnell gehen, aber niemandem wehtun. Dabei ist die Priorisierung im alltäglichen Handeln letztlich entscheidend.

Und: Maßnahmen für die Biodiversität wirken nicht wie ein chemischer Stoff, der sofort das Ergebnis verändert.

KNA: Widersprüchliches Verhalten im Hinblick auf Klima und Umwelt kennen auch viele Privatleute. Wie kann man ins Handeln kommen?

Riewenherm: Ganz praktisch: Ein Landwirt aus Niedersachsen wollte sich am Feldhamster-Projekt nicht beteiligen. Da müsse er ganze Felder stehenlassen, damit die Hamster genug Sichtschutz haben und noch etwas zu fressen finden, das wäre ein zu großer wirtschaftlicher Verlust. Dann hat er aber eine sogenannte Ährenmahd vorgenommen, also nur den oberen Teil abgedroschen und die Stängel für die Tiere stehenlassen. Das ist eine kreative Lösung. Man braucht also auch Pragmatiker und entsprechendes Wissen.

KNA: Das Wissen über Gemüse oder Pflanzen scheint mitunter eher rückläufig ...

Riewenherm: Die Wirkung der Natur auf Menschen ist, glaube ich, unabhängig davon, ob sie wissen, welche Arten vorhanden sind.

Zugleich ist die von uns geförderte App "Flora Incognita", umgesetzt von der Technischen Universität Ilmenau und dem Max-Planck-Institut für Biogeochemie, ein Renner. Die Leute sind also durchaus interessiert, zumal wenn sie einfache digitale Möglichkeiten haben.

Entscheidender ist aus meiner Sicht die Generationengerechtigkeit:

Die Auswirkungen der Entscheidungen, die ich heute treffe, spüren junge Menschen länger als ich. Das sollte man immer im Blick haben.

KNA: Welche Herausforderungen erwarten Sie in den kommenden 30 Jahren?

Riewenherm: Die größte Herausforderung bleiben Klimawandel und Biodiversitätsverlust. Diese Krisen werden nicht in zwei Jahren behoben sein. Im Gegenteil kann der fortschreitende Klimawandel noch weitere Konsequenzen nach sich ziehen. Die Herausforderung wird sein, diesen Krisen zu begegnen. Dabei geht es etwa um den Ausbau erneuerbarer Energien, der nicht zulasten der Natur gehen darf. Eine weitere wichtige Maßnahme ist natürlicher Klimaschutz, also CO2 in der Fläche zu binden oder Biotope wiederherzustellen.

Hinzu kommt, dass wir zu wenig Fachpersonal haben. Viel zu wenige Menschen kennen sich noch mit Arten aus. Umgekehrt gibt es Chancen etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz: Die Erfassung von Wäldern funktioniert auf diese Weise inzwischen gut, ebenso gibt es KI-gesteuerte Programme auf Windkraftanlagen, die für eine Unterbrechung sorgen, wenn sich Vogel- oder Fledermausschwärme nähern. Mithilfe solcher modernen Methoden können wir schneller reagieren. In diesem Bereich bringen junge Menschen kreative Ideen ein – und das ist bei allen problematischen Entwicklungen ein Hoffnungsschimmer.

KNA: Wie wichtig ist prominente Unterstützung, beispielsweise von Papst Franziskus?

Riewenherm: Personen wie der Papst sind sehr wichtig. Wenn er sich für den Erhalt der Natur ausspricht, berührt das die Menschen auf einer ganz anderen Ebene – ähnlich dem Gefühl, wenn sie in den Wald gehen oder eine Aussicht genießen: Wie schön ist diese Welt – unsere Welt.

KNA: Was kann jede und jeder Einzelne tun?

Riewenherm: Es gibt viele Tipps für unterschiedliche Bereiche. Wenn man beispielsweise einen Garten hat, ermöglichen vielfältige Strukturen eine hohe Biodiversität. Den Einsatz von Mährobotern sehen wir mit großer Sorge, denn die sind nicht nur für Igel gefährlich.

Wenn überhaupt, sollte man sie höchstens tagsüber laufen lassen. Ein Vorteil am naturnahen Garten ist übrigens, dass man sich besser auf Wassermangel einstellen kann, der auch die Natur enorm belastet. Da ist es von Vorteil, Pflanzen zu nutzen, die nicht ganz so große Wasserschlürfer sind.

Das Interview führte Paula Konersmann.

Quelle:
KNA