Maria-2.0-Mitbegründerin sieht in Madonna ein Vorbild

"Nichts geht weiter, ohne Tabus zu brechen"

Madonna ist eine Ikone der Popmusik und steht für provokative Auftritte, aber auch für eine Hassliebe zur Kirche. Trotzdem oder gerade deswegen kann sie Vorbild sein, resümiert Lisa Kötter, Mitbegründerin der Reformbewegung Maria 2.0.

Madonna wird 65 / © Charles Sykes (dpa)
Madonna wird 65 / © Charles Sykes ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Reformbewegung Maria 2.0 teilt mit Madonna sozusagen die Namensgeberin Maria, die Gottesmutter, die Madonna. Sind Sie Fan der Popsängerin Madonna?

Lisa Kötter (Mitbegründerin der katholischen Reformbewegung Maria 2.0): Na ja, die ersten Erfolge hat Madonna gefeiert, als ich knapp über 20 war. Sie ist zwei Jahre älter als ich. Dieses Poppige war nicht so meine Musik. Aber ich fand schon immer diese Figur der Sängerin Madonna faszinierend, weil sie etwas neu gemacht hat. Sie hat etwas anders gemacht.

Madonna im Jahr 1990 / © Franz-Peter Tschauner (dpa)
Madonna im Jahr 1990 / © Franz-Peter Tschauner ( dpa )

Sie hat in einer Zeit angefangen, plötzlich erotisch zu sein. In dieser frauenbewegten Zeit, wo wir uns eher weite, sackartige Dinge angezogen haben. Alles, was sexy war, war im Grunde out. Plötzlich kam da diese junge Sängerin, die in meinem Alter war und hat sich ganz anders aufgeführt, hat sich einfach erlaubt, eine erotische Ausstrahlung öffentlich zu haben. Das war neu und schon etwas, worüber ich mir auch viele Gedanken gemacht habe, auch später noch.

DOMRADIO.DE: Madonna kommt aus einer italienischen Einwandererfamilie in den USA, ist katholisch aufgewachsen. Sie hat schon als Jugendliche mit dem Katholizismus ihrer Kindheit gebrochen, aber ist dem Katholizismus in glühender Hassliebe ein Leben lang verbunden geblieben. Sie hat die Amtskirche immer wieder provoziert mit ihren Videos. Beispiel: Sie knutscht mit einem schwarzen Jesus oder hängt sich aus Protest gegen die Todesstrafe ans Kreuz. Können Sie mit solchen Tabubrüchen etwas anfangen?

Lisa Kötter, Mitinitiatorin des Kirchenstreiks "Maria 2.0" / © Friso Gentsch (dpa)
Lisa Kötter, Mitinitiatorin des Kirchenstreiks "Maria 2.0" / © Friso Gentsch ( dpa )

Kötter: Ich glaube, nichts geht weiter, ohne Tabus zu brechen. Tabus haben immer einen Sinn. Auch gerade in einer patriarchalen Welt wie dem römischen Katholizismus haben Tabus immer den Sinn, andere zu kontrollieren. Das hat Madonna gebrochen. Damit, dass sie ihren Namen, der auch ihr eigener Name ist, vor sich herträgt und eben mit bewussten Tabubrüchen spielt, zeigt sie uns, dass ein Tabu nicht für ewig ist und dass die Brechung Dinge zeigt, die defizitär sind. Das fand ich spannend, diese Kombination ihres Namens "Madonna" und dieses sehr Erotische, weil gerade in der christlichen Kirche und noch mal mehr in der römischen Kirche Maria und Jungfernschaft Mariens so hochgehalten wird.

Lisa Kötter

"Gerade in einer patriarchalen Welt wie dem römischen Katholizismus haben Tabus immer den Sinn, andere zu kontrollieren."

Damit wurden Frauen über Jahrhunderte kontrolliert, indem ein "role model", also ein Vorbild, geschaffen wurde, das die Frauen niemals erreichen konnten, Jungfrau und Mutter zu sein. Sie spielt genau mit diesen Dingen, auszubrechen aus diesem Tabu, aus dieser Kontrolle, nicht erotisch sein zu dürfen als jemand, der Madonna heißt. Als jemand, der wirklich das riesige Tabu bricht, dass eine Madonna ein sexuelles Wesen ist. Ich finde, dass sie damit ganz prima zeigt, was für eine Unverschämtheit das im Grunde ist. Ich empfinde das als Unverschämtheit, überhaupt Aussagen über die Sexualität der Mutter Jesu zu machen. Ich finde, das ist ein unglaublicher Voyeurismus.

DOMRADIO.DE: Jetzt ist es so, dass konservative Katholiken ihre Reformbewegung Maria 2.0 auch gerne als Provokation abkanzeln. Sehen Sie da eine Verbindung?

Kötter: Ja, wenn auch der Tabubruch bei uns sehr viel geringer ist und bestimmt weniger provokativ - auch gesamtgesellschaftlich - als das, was Madonna gemacht hat. Aber dieser Tabubruch schlägt genau eine Narbe da rein, dass es Menschen gibt, die andere kontrollieren wollen. Wenn wir plötzlich sagen, es geht um Selbstermächtigung, dann entziehen wir uns der Kontrolle. Das ist das im Grunde, was vielleicht ein gemeinsames Brett ist, was wir bohren. Dass wir nicht mehr gewillt sind, uns als Frauen der Kontrolle von Männern zu unterwerfen.

DOMRADIO.DE: Feministinnen haben öfter mit Madonna ein Problem wegen ihres Körperkults, ihrer konsequenten Weigerung nur ansatzweise so alt auszusehen, wie sie tatsächlich ist. Wie sehen Sie das?

Kötter: Da bin ich auf einer ganz anderen Ebene unterwegs. Da habe ich kein inneres Verständnis für. Ich finde, Bodyshaming ist etwas ganz Schlimmes. Ich finde, dass der Körper, auch der alternde Körper, seine Berechtigung und auch seine eigene Schönheit hat. Genau wie ein altes Stück Holz oder ein schönes altes Möbelstück, das auch altern muss, um schön zu werden.

Lisa Kötter

"Der Körper, auch der alternde Körper, hat seine Berechtigung und auch seine eigene Schönheit."

Ich habe dazu keine Beziehung, aber ich finde, das ist genauso wie Jemands Sexualität, die Privatsache ist, auch wenn man sie öffentlich macht. Es ist ihre Sache, wie sie damit umgeht oder nicht. Das ist nichts, was ich verurteilen würde, aber es ist nicht meins.

DOMRADIO.DE: Auch Madonna gilt heute als kommerziell erfolgreichste Musikerin aller Zeiten. Sie hat nie ein Blatt vor den Mund genommen, sich in einer totalen Männerwelt ganz nach oben gesungen und getanzt. Hat sie in Ihren Augen das Zeug zum "role model" für Mädchen und Frauen?

Kötter: Auch bei einem Vorbild sucht man sich immer das heraus, was einen selbst auf seinem eigenen Lebensweg irgendwie weiterbringen kann. Gerade die Dinge, die wir besprochen haben, finde ich schon wichtig. Dass man sich immer wieder fragt: Ist dieser Lebensentwurf, der mir sozusagen vor die Füße gelegt wird, wirklich meiner? Oder darf ich da ausbrechen? Muss ich da ausbrechen, um dem Weg zu folgen, der mein eigener ist, wo mein Herz mich vielleicht hinträgt? Oder vielleicht auch mein politischer Verstand? Oder mein Verstand überhaupt? Ich glaube, insofern kann Madonna auf jeden Fall ein Vorbild sein, für alle Menschen, nicht nur für Mädchen und Frauen, sondern auch für Menschen, die einfach ihren Weg suchen.

DOMRADIO.DE: Sie selbst sind vor rund zwei Jahren aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten. Finden Sie auch, dass katholische Frauen, die weiter in der Kirche geblieben sind, und die, die mittlerweile ausgetreten sind, sich von Madonna etwas abgucken könnten?

Kötter: Ja, nämlich dass man sich treu sein muss, dass man aufmerksam bleiben muss und dass man die Stimme erheben muss. Das ist gerade in der Zeit unglaublich wichtig, finde ich, die Stimme zu erheben. Unsere Demokratie ist in Gefahr. Ich glaube, die große schweigende Mehrheit möchte das nicht, dass die Demokratie kaputtgeht. Wir müssen uns für Demokratie einsetzen, und zwar innerhalb der Kirche und außerhalb der Kirche.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Maria 2.0

Die kirchliche Frauenprotestbewegung Maria 2.0 setzt sich für die Zulassung von Frauen zu allen Weiheämtern, die Aufhebung des Pflichtzölibats sowie die vollständige und transparente Aufklärung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche ein. Im Januar 2019 schlossen sich fünf Frauen aus der Gemeinde Heilig Kreuz in Münster zusammen und schickten ihre Forderung in einem offenen Brief an Papst Franziskus.

Fahne mit der Aufschrift "Maria 2.0" bei einer Demonstration der Initiative Maria 2.0 am 22. September 2019 in Köln / © Harald Oppitz (KNA)
Fahne mit der Aufschrift "Maria 2.0" bei einer Demonstration der Initiative Maria 2.0 am 22. September 2019 in Köln / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR