DOMRADIO.DE: Melaten ist ein großer städtischer Friedhof. Angehörige wollen oft nah bei ihren Verstorbenen sein. Was wird den Menschen an diesen Orten, zu denen sie zum Trauern oder Reden kommen, genommen?
Pfarrer Dr. Wolfgang Fey (Leitender Pfarrer der Kirchengemeinde Sankt Pankratius in Köln-Junkersdorf): Es gibt viele, die auf dramatische Weise ihre Angehörigen verlieren und einen solchen Ort brauchen. Oft ist der etwas verborgen, ein intimer, ein individueller Ort. Ein Platz, an dem sich manchmal nur eine Person, häufig eine oder mehrere Stunden lang in Stille mit dem Tod, dem Abschied und dem Verlust auseinandersetzt. Etwas ganz Wichtiges und ausgesprochen Schützenswertes.
DOMRADIO.DE: Alte, gebrechliche oder kranke Menschen brauchen diese Sitzmöglichkeiten auch, einfach um mal verweilen zu können. Was haben die Besucher zukünftig für eine Chance auf dem Friedhof?
Fey: Wenn die Bänke an bestimmten Stellen weggenommen werden, gibt es keine andere Möglichkeit. Dann wird es für sie – auch auf die langen Wege hin gesehen, die man teilweise gehen muss – extrem schwierig. Ein Besuch hat auch irgendetwas Familiäres, fast Himmlisches.
Man geht in eine andere Situation, man rastet, man nutzt das, man ruht sozusagen ein Stück weit aus. Das ist eine ganz alte Kultur, die auch zu unserer Stadt gehört. Das wegzunehmen nimmt den Menschen eine Menge, auch an Möglichkeiten, sich mit Tod und Leben auseinanderzusetzen.
DOMRADIO.DE: Jetzt sind einige Bänke tatsächlich marode, Gräber verwahrlost. Ist das gerechtfertigt, die Besitzer der Bänke per Nachricht mit einem angeklebten Zettel zu bitten, bis zum 8. September die Bänke zu entfernen?
Fey: Es gibt sicherlich Stellen, die verwahrlost sind. Da kann man durch einen Hinweis vielleicht sagen: Entfernt das oder wir tun das. Aber das ist erstens nicht die Mehrzahl, es wäre auch kein großer Aufwand. Es ist einfach nicht notwendig, eine solche Konfrontation mit den Angehörigen herbeizuführen.
DOMRADIO.DE: Die Tradition, ein Picknick am Grab zu machen, gibt es in Deutschland eher selten. Aber es gibt das Totengedächtnis, volkstümlich auch die Petri Stuhlfeier, Kathedra Petri. Seit dem vierten Jahrhundert ist das ein Fest im Kirchenjahr der katholischen Kirche, das am 22. Februar begangen wird. Das hat etwas gemein mit dem Platz nehmen auf den Bänken, oder?
Fey: Ja, natürlich! Wir sind eigentlich eine Römerstadt. Das ist eine antike, römische Tradition, auf den Friedhof zu gehen, dort ein Gastmahl zu halten. Bis Napoleon Melaten zwangsweise eröffnet hat, haben die Kölner regelrecht auf ihren Toten gesessen. Alle großen romanischen Kirchen haben im Totengedenken ihren Ursprung. Die Toten und das Begegnen und das Gehen zu den Toten war Alltagsgeschehen in der Stadt bis in die Neuzeit.
Das ist eine gute alte römisch-kölsche Tradition, dass wir die Toten besuchen, bei denen rasten und uns damit auseinandersetzen, auch zum Ausdruck bringen, dass sie Teil von uns sind, Teil unseres Alltags, unseres Lebens. Sie gehören zu unseren Lebenswegen und Lebensstrecken. Das zu negieren, das aufzuheben, ist eine Unkultur.
DOMRADIO.DE: Die Stadt hat den Vorschlag gemacht, dass neue Bänke aufgestellt würden, die man bezahlen muss. Ist das die Lösung?
Fey: Das ist an manchen Stellen eben nicht die Lösung. Das müsste man von Ort zu Ort prüfen. Aber warum muss immer etwas hinein reguliert werden, wo die Bürger selbst sich in individueller Weise eine positive Lösung verschaffen? Wer sagt denn, dass nur der Angehörige des direkten Grabes dort sitzt?
Ich sehe, dass viele, auch ältere Bürger gelegentlich an einer Stelle Platz nehmen und die Bänke ebenfalls nutzen. Das ist etwas, was im Gemeinsinn fast eine Art Bürgerbeteiligung am Abschiednehmen ist.
Das Interview führte Katharina Geiger.