DOMRADIO.DE: Im September vollenden Sie Ihr 75. Lebensjahr. Die Zeit im Metropolitankapitel des Kölner Doms wird dann voraussichtlich enden. Sie werden aber schon Ende August Ihr Amt als Leiter der Künstlerseelsorge im Erzbistum Köln niederlegen. 19 Jahre haben Sie die Künstlerseelsorger im Erzbistum Köln geleitet. Wie blicken Sie auf diese lange Zeit zurück?
Prälat Josef Sauerborn (Domkapitular und Leiter der Künstlerseelsorge im Erzbistum Köln): Voller Dankbarkeit. Sicher auch mit großer Freude darüber, welche Begegnungen ich haben durfte. Ich würde natürlich die Aufgabe, die ich hatte, nicht unter Leitung verstehen. Das haut bei der Künstlerseelsorge nicht hin. Aber natürlich kommen solche Momente vor.
Also in erster Linie Dankbarkeit und auch Freude darüber, so vielen Frauen und Männern begegnet zu sein, die in der Kunst stehen. Das ist wirklich beeindruckend.
DOMRADIO.DE: Welche Höhepunkte aus diesen 19 Jahren fallen Ihnen ein?
Sauerborn: Das ist schwer zu sagen, weil ich es mit dem Begriff Höhepunkte nicht so habe. Es ist verständlich, dass man danach fragt. Ich habe es mit den unendlich vielen zu tun, die im Bereich des Künstlerischen tätig sind. Und die Ausstellungen, die ich begleiten durfte, fand ich persönlich für mich immer als wichtige Höhepunkte.
Das soll nicht infrage stellen, dass es natürlich medial stärker wahrgenommene Höhepunkte gegeben hat. Wer denkt nicht ans Richterfenster? Das tue ich auch, obwohl ich es eben nicht in dem Sinne meine, dass es in den 19 Jahren der Höhepunkt gewesen sei. Sicher war es ein herausfordernder Punkt aus verschiedenen, mitunter ja auch bekannten Gründen.
DOMRADIO.DE: Mussten Sie bei diesem Richterfenster zwischen Künstler und Klerus vermitteln?
Sauerborn: Ja, zwischen dem Künstler Richter nicht. Er hat ein Alleinstellungsmerkmal sondergleichen. Aber die Vermittlung mit dem Kapitel und auch – wenn das natürlich nur sehr begrenzt möglich war – mit Kardinal Meisner. Aber ich bin mit ihm eigentlich immer sehr gut klargekommen.
DOMRADIO.DE: Was haben Sie ihm gesagt? Er war ja ein großer Kritiker dieses Fensters.
Sauerborn: Sie wissen ja, dass Richter seine Kritik sehr ernst genommen hat und sogar positiv quittiert hat. Das hat verschiedene Sub-Themen, wo sich vielleicht auch zwei begegnen, die ein Interesse füreinander haben, was nicht unbedingt in Harmonie münden muss.
Ich persönlich habe dem Kardinal vermitteln dürfen müssen, dass ich die Predigt zur Einweihung des Fensters halte. Und da habe ich natürlich nie vergessen, wie er sagte: "Ach, man kann über alles predigen." Das war es dann aber auch und er hat das dann im letzten aus der Ferne akzeptiert.
Und wir wissen ja, dass dieses Fenster seinen Weg gegangen ist und geht und heute eigentlich, wenn man ehrlich ist, gar nicht mehr wegzudenken ist aus dem Wahrnehmungsumfeld des Domes. Auch für die Leute, die den Dom besuchen, die ganz integrativ dieses Fenster wahrnehmen, gar nicht als etwas, das herausfällt, sondern das, was Gerhard Richter eigentlich wollte, dass man in diesem Fenster auch eine Bündelung der farblichen Intensität aller Fenster wahrnehmen kann.
DOMRADIO.DE: Sie waren aber nicht nur Künstlerseelsorger im Erzbistum Köln, sondern auch zeitweise Spiritual im Priesterseminar. Sie haben junge Männer auf dem Weg begleitet, Priester zu werden. Es hat sich in den letzten Jahren hier sehr viel getan, im Priesterbild, in der Krise der Kirche, in der Krise des Priesterberufs. Nicht wenige junge Männer denken vielleicht gar nicht mehr so darüber nach, Priester zu werden, weil dieser Beruf im Augenblick wenig attraktiv ist. Schmerzt Sie das?
Sauerborn: Das schmerzt mich, und ich kann es nachvollziehen, dass man das als jüngerer Mensch so wahrnehmen muss; vor allem, wenn man nicht aus der Nähe positive Beispiele hat, die einem ein bisschen aus dieser Engführung herausführen können.
Ich war natürlich auch als Spiritual bei den ständigen Diakonen, das sind die verheirateten Männer und ich fand das immer sehr interessant, diese beiden Pole zu haben. Also die Leute, die den zölibatären Weg gehen und die aus ihrer Ehe und Familie heraus das Diakonenamt anstreben. Das ist natürlich eine ganz unterschiedliche geistliche Grundhaltung, die gar nicht in Konkurrenz steht, sondern einfach unterschiedlich ist.
Das ist für mich schon beeindruckend, dass jüngere Leute diesen Weg in all diesem Slalom der Meinungsbildung trotzdem gehen. Es ist aber ein schwerer Weg geworden, das muss man schon sagen. Als ich vor fast 50 Jahren Priester wurde, war es doch noch eine gesellschaftliche Position, dass man ein Christ, eine Christin ist, katholisch ist und bei aller Umstrittenheit einzelner Themen, dass man dazugehört. Das sieht heute doch anders aus. Viel stärker Diaspora geprägt, Vereinzelung, das gilt für Gemeinden, aber auch für Familien.
Das ist eine andere Situation, in der man diesen Weg gehen muss – was aber schon zum Weg selbst gehört, dass er nun mal so ist, wie er ist.
DOMRADIO.DE: Muss sich denn an der Priesterausbildung oder auch grundsätzlich am Priesterbild noch etwas ändern, damit dieser Beruf vielleicht einmal wieder attraktiver wird?
Sauerborn: Es hat sich an der Ausbildung schon sehr vieles geändert. Das fing mit unseren Jahrgängen damals an. Da galt in der Ausbildung das kontemplative, mönchische Ideal. Es war eine Art Kloster, da wird man ausgebildet und dann kommt man in die Praxis.
Das ist vorbei und das ist gut so, denn es geht bei der priesterlichen Berufung, von der wir hier sprechen, um Weltpriester. Das ist ein sehr wichtiger Begriff, Priester mitten in der Welt, wo die Menschen leben. Und dann sollte auch von Anfang an eine starke Begegnung mit weltlichen Grundsituationen zur Ausbildung gehören. Es lässt sich sowieso nicht anders verwirklichen, denn diese jungen Leute kommen ja aus ganz normalen familiären Hintergründen, die genauso sind wie die meisten.
DOMRADIO.DE: Kommen wir mal auf Ihre eigene Spiritualität zu sprechen. Wer mit Ihnen im Dom die Messe feiert, ob das nun über DOMRADIO.DE ist oder direkt im Gotteshaus, wird merken, dass Sie das in einer besonders andächtigen Weise tun. Mir fällt auf, zum Beispiel beim Eucharistischen Hochgebet, dass Sie kaum in das Messbuch, vor allem immer auf das Kreuz, schauen. Ist das Absicht?
Sauerborn: Da denke ich nicht drüber nach. Nur ist mir das Hochgebet so vertraut. Ich denke überhaupt nicht darüber nach, ob ich den letzten Satz sagen kann, der kommt, weil es mir – hoffentlich darf man das so sagen – aus dem Herzen kommt.
Und in der Frage, die Sie mir stellen, darf ich auch sagen, dass das mein Fundament war und ist, durch alles auf und ab. Und davon gab es eine Menge.
DOMRADIO.DE: Gibt es da etwas, was Sie als Beispiel nennen möchten?
Sauerborn: Persönliche Dinge, die mit der eigenen beruflichen Situation zu tun haben. Ich habe natürlich auch meine ganz gewaltigen Krisen erlebt, rein menschliche Enttäuschung. Dadurch, dass man meinte, du hängst aber ziemlich alleine rum. Einzelne Dinge, die man sagte, aber die einen ganz gründlich mitnehmen können.
Und da entscheidet sich aus meiner Sicht, wie es mit einem steht. Ich habe das auch immer den Priesteranwärtern gesagt: Was mit Ihnen los ist, zeigt sich, wenn Sie die Haustüre zumachen und nicht, wenn sie in Aktion sind.
DOMRADIO.DE: Das Erzbistum Köln befindet sich gegenwärtig in einer sehr starken Krise. Was geben Sie aus Ihrem Ruhestand oder Unruhestand heraus dem Erzbistum mit, was es tun soll, damit es in 100 Jahren auch noch am Rhein Katholiken geben wird?
Sauerborn: Ich gestehe, dass ich ziemlich überzeugt bin, dass es in 100 Jahren noch Katholiken geben wird und dass wir das, was wir jetzt erleben, als eine natürlich nicht unbedeutende kirchenhistorische Situation wahrnehmen.
Ich habe kein Patentrezept, wie man aus dem allem herausfindet, außer dass man wirklich versucht, zum Kern zu finden. Nicht zurückzufinden, denn der Kern ist ja immer da. Der Kern wird oft überdeckt von allen möglichen. Für mich ist der Kern schon Glaubensverkündigung in Wort und Tat. Und das ist auch der Königsweg, um aus diesen Krisen, die ja nun wirklich nicht gering zu schätzen sind, herauszufinden.
DOMRADIO.DE: Gibt es etwas, dass Sie sich fest vorgenommen haben, was nach Ihrer Emeritierung ansteht?
Sauerborn: Das muss ich noch herausfinden. So genau weiß ich es nicht; aus meinem Lebenszusammenhang war immer sehr wichtig, die Literatur, die Kunst, auch unabhängig von der Künstlerseelsorge. Das war vorher schon so, und das wird auch nachher so sein.
Aber ich hoffe, dass man mehr Freundschaften und Kontakte pflegen kann und vielleicht auch spontaner auf irgendetwas reagieren kann, das ja dann gleich möglich ist und nicht erst einer langen Planung bedarf.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.