Ein neues Gutachten erhärtet nicht den Vorwurf des Kindesmissbrauchs gegenüber dem früheren Präsidenten des Kindermissionswerks "Die Sternsinger", Winfried Pilz (1940-2019).
"Hinweise auf sexualbezogene Grenzverletzungen"
Allerdings gebe es "Hinweise auf sexualbezogene Grenzverletzungen" gegenüber vier erwachsenen männlichen Ex-Mitarbeitern des katholischen Hilfswerks, heißt es einer am Donnerstag in Aachen veröffentlichten Untersuchung. Pilz stand von 2000 bis 2010 dem Kindermissionswerk vor, das immer zum Jahreswechsel die bundesweit bekannte Sternsingeraktion organisiert. Pilz gehörte lange zu den populärsten Kirchenmännern in Deutschland.
Er sorgte dafür, dass die Sternsinger jährlich im Kanzleramt empfangen werden. Auch als Autor beliebter Kirchenlieder wie "Laudato Si" wurde er bekannt.
Externe Untersuchung sieht keine Hinweise auf Missbrauch
Laut der vom Kindermissionswerk in Auftrag gegebenen externen Untersuchung gibt es keine Hinweise auf den Missbrauch von Minderjährigen, Schutzbefohlenen oder einen Missbrauch durch Ausnutzung einer Amtsstellung. Allerdings spricht die Autorin, die Kölner Rechtsanwältin Bettina Janssen, von "sexualbezogenen Grenzverletzungen gegenüber erwachsenen Männern in Macht- und/oder Abhängigkeitsverhältnissen".
Dazu gehörten Angebote zu Saunabesuchen, das Teilen von Schlafräumen oder feste Umarmungen. Solche Verhaltensweise könnten als Teil von möglichen Anbahnungsprozessen, des sogenannten Groomings, verstanden werden. Sie zeigten ein Muster, das mit der #MeToo-Debatte 2017 ins öffentliche Bewusstsein gerückt sei.
Pilz war laut Gutachten aufgrund seiner Macht- oder Autoritätsposition in der Lage, diese Macht zu missbrauchen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Den Mitarbeitern hätten niedrigschwellige Beschwerdemöglichkeiten gefehlt, etwa auch mit Blick auf einen anderen Pfarrer und Missbrauchstäter, mit dem die ehrenamtliche Zusammenarbeit zu spät beendet worden sei.
Sternsinger um Aufklärung bemüht
Janssen attestierte dem Hilfswerk, für den Bereich Kinderschutz bereits viel getan zu haben. Die institutionelle Prävention müsse aber um den Schutz machtabhängiger Erwachsener erweitert werden.
Der aktuelle Präsident des Kindermissionswerks, Pfarrer Dirk Bingener, sagte dies zu und kündigte die Entwicklung eines umfassenden Verhaltenskodexes für Führungskräfte und Mitarbeitende an: "Aufarbeitungsgutachten schließen ja nichts ab." Auch kirchliche Verantwortliche im Ausland würden über die Vorwürfe gegen Pilz informiert, da es auch dort Betroffene geben könnte. Das von dem Geistlichen geschriebene Lied "Laudato si" werde nicht mehr vom Hilfswerk verwendet; bisherige Erlöse aus den Tantiemen gingen an Kinderschutzprojekte.
Aufruf des Erzbistums Köln im Juni 2022
Einen Verdacht des sexuellen Missbrauchs gegen Pilz hatte im Juni 2022 erstmals das Erzbistum Köln öffentlich gemacht, dem Pilz angehörte. Es rief mögliche und bisher unbekannte Betroffene dazu auf, sich zu melden. Bereits 2012 sei Pilz beschuldigt worden, einen "schutzbedürftigen Erwachsenen" in den 1970er Jahren missbraucht zu haben. 2021 hätten sich Hinweise auf mögliche weitere Betroffene ergeben. Das Kindermissionswerk kündigte daraufhin die eigene Untersuchung an, um die zehnjährige Amtszeit von Pilz als Präsident zu durchleuchten.
Wegen der 2012 erhobenen Vorwürfe erteilte der damalige Kölner Erzbischof Joachim Meisner Pilz zwei Jahre später einen Verweis, legte ihm eine Geldstrafe auf und verbot dem damals schon im Ruhestand lebenden Geistlichen den Kontakt zu Minderjährigen. Laut einem Missbrauchsgutachten für das Erzbistum Köln hatte der als Sekretär für Pilz tätige Betroffene zum Zeitpunkt des sexuellen Kontakts das 18. Lebensjahr vollendet. Pilz habe darauf verwiesen, dass der Sex einvernehmlich stattgefunden habe.