Institut sieht Herausforderungen im Ökumene-Dialog

"Nicht von heute auf morgen lösen"

Befindet sich die Ökumene in Deutschland derzeit in einer Hängepartie? Experte Burkhard Neumann sieht unterschiedliche Gründe, weshalb hier zumindest auf kirchlichen Leitungsebenen nicht viel läuft. Dennoch bleibt er zuversichtlich.

Ökumene / © Harald Oppitz (KNA)
Ökumene / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Teilen Sie die Skepsis des evangelischen Altbischofs Martin Hein, der jüngst in einem Interview sagte, dass wir uns im Augenblick in einer Hängepartie befinden, was den ökumenischen Dialog anbelangt?

Dr. Burkhard Neumann, Fachreferent Ökumene des Erzbistums Paderborn
 / © privat
Dr. Burkhard Neumann, Fachreferent Ökumene des Erzbistums Paderborn / © privat

Dr. Burkhard Neumann (Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik, Paderborn): Es kommt darauf an, auf welcher Ebene ich diese Frage festmache. Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass es auf der kirchenleitenden Ebene Schwierigkeiten im Gespräch miteinander gibt, die sich auch an ethischen Fragen festmachen, zum Beispiel an dem überraschenden Ausstieg der Evangelischen Kirche in Deutschland aus der "Woche für das Leben". Ich glaube, dass man sich da die Chance genommen hat, gemeinsam christliche Werte, gemeinsame Überzeugungen über den Wert des menschlichen Lebens in die Gesellschaft hinein zu vertreten.

Ich nehme aber auch wahr, dass es auf anderen Ebenen, auch auf der Ebene der Gemeinden vor Ort, weiterhin an vielen Stellen eine lebendige Ökumene gibt. So steht man hier beispielsweise auch vor neuen Herausforderungen, etwa in Fragen des Umgangs mit Immobilien, mit der gemeinsamen Nutzung von Kirchen und Gemeindezentren.

Da gibt es Überlegungen, inwieweit man dort zusammenarbeiten kann und man sich dabei auch erhofft, dass es nicht nur um die Lösung praktischer Fragen geht, sondern dass sich die Konfessionen, die Kirchen näherkommen, sich besser kennenlernen und dadurch auch mehr zusammenwachsen und vertrauter miteinander werden.

DOMRADIO.DE: Sind die beiden großen Kirchen in Deutschland im Augenblick jeweils zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt?

Dr. Burkhard Neumann

"Ein Grund ist sicherlich, dass man sehr stark mit eigenen Fragen beschäftigt ist."

Neumann: Es ist sehr schwierig, hier die Gründe herauszufinden. Ein Grund ist sicherlich, dass man sehr stark mit eigenen Fragen beschäftigt ist. Da ist der Schwund der Mitglieder, da ist im katholischen Bereich – im Moment sicherlich noch stärker als im evangelischen Bereich – die Diskussion um den Umgang mit Missbrauch, die Wahrnehmung auch der Frage des geistlichen Missbrauchs, was etwa die Neuen Geistlichen Gemeinschaften angeht, die ja das kirchliche Leben teilweise sehr stark geprägt haben.

Dann gab es auch im katholischen Bereich in den vergangenen Jahren den Synodalen Weg, der nach meiner Wahrnehmung sehr viel an Kräften gebunden hat. Analoge Entwicklungen gibt es sicherlich auch auf Seiten der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das trägt mit dazu bei, dass es auf dieser Ebene im ökumenischen Umgang miteinander schwieriger geworden ist.

Was den ökumenischen Dialog angeht, sind wir auch mit den entsprechenden Fragen an Kernpunkten angelangt. Die Fragen der Eucharistie und des Abendmahlsverständnisses, die des Amtsverständnisses, des Kirchenverständnisses lassen sich nicht von heute auf morgen lösen.

Dort ist auch die je eigene Identität durch bestimmte Vorstellungen und bestimmte Praktiken geprägt, sodass es sehr schwierig ist, daran zu arbeiten, bis das, was in den ökumenischen Gesprächen auf allen Ebenen erreicht worden ist, dann auch tatsächlich in den Kirchen rezipiert und umgesetzt wird.

DOMRADIO.DE: Es gibt das Arbeitspapier "Gemeinsam am Tisch des Herrn". Das liege irgendwo in Rom in der Schublade, sagt Altbischof Hein. Ist die katholische Kirche bei diesen Fragen die Bremserin?

Neumann: Es ist sicherlich eine größere Herausforderung für die katholische Kirche als für die evangelische Kirche, egal ob sie jetzt lutherisch, reformiert oder uniert ist. Da geht es um das konkrete Abendmahlsverständnis, also was verstehe ich unter dem Abendmahl, die Frage der Präsenz Christi im Abendmahl, in den Abendmahlsgaben und dann natürlich auch um die Frage des kirchlichen Amtes.

Dr. Burkhard Neumann

"Ich glaube, es müssen sich beide Seiten bewegen."

Wenn ich dann auf der anderen Seite dieses Votum "Gemeinsam am Tisch des Herrn" nehme, dann stecken darin, wenn man genau hinschaut, einige Herausforderungen auch im Blick auf diese Fragen für die evangelische Seite, die nicht weniger herausfordernd sind.

Ich glaube, es müssen sich beide Seiten bewegen und sehen sich herausgefordert festzustellen, was an gemeinsamer Grundaussage über das Verständnis von Eucharistie und Abendmahl festgehalten werden kann und wo im Sinne eines differenzierten oder differenzierenden Konsenses, dem Grundmodell ökumenischer Konsense, eine Vielfalt möglich ist.

Da steckt natürlich eine größere Herausforderung für die katholische Kirche drin, weil die Frage des Selbstverständnisses der Eucharistie und damit verbunden auch das Verständnis des Amtes sehr stark die katholische Identität prägen.

Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass es auch erst 50 Jahre her ist, dass die evangelischen Landeskirchen mit der "Leuenberger Konkordie" 1973 Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft und damit nach mehr als 400 Jahren gegenseitiger Verwerfung und gegenseitigen Ausschlusses eine wechselseitige Zulassung zum Abendmahl beschlossen haben. Ich glaube, da muss man einfach ein bisschen Geduld mitbringen.

Die Diskussion um diesen Text scheint mir im Augenblick auch ein wenig zu ruhen, weil andere Fragen im Vordergrund stehen. Das finde ich ein wenig bedauerlich, weil ich schon glaube, dass in diesem Votum und in der Diskussion, die unmittelbar anschließend geführt worden ist, wichtige Herausforderungen stecken und beide Kirchen herausgefordert sind, noch einmal neu über Gemeinsamkeiten und Differenzen und deren Rolle und deren Gewichtung nachzudenken.

Ökumene

Der Begriff "Ökumene" stammt aus dem Griechischen und heißt wörtlich übersetzt "die ganze bewohnte Erde". Gemeint sind die Bemühungen um die Einheit aller getrennten Christen. Die Ökumenische Bewegung ging zunächst von evangelischer Seite aus; als Beginn gilt die Weltmissionskonferenz von Edinburgh im Jahr 1910. Sie führte 1948 zur Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen (Weltkirchenrat, ÖRK) mit Sitz in Genf. Ihm gehören heute 349 reformatorische, anglikanische und orthodoxe Kirchen mit 560 Millionen Christen in 110 Ländern an.

Bewegung in der Ökumene / © Paul Sklorz (KNA)
Bewegung in der Ökumene / © Paul Sklorz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Bringt es da eigentlich noch etwas, auf dieser theologischen Ebene zu diskutieren, wenn die Basis der Gläubigen das kaum noch nachvollziehen kann?

Neumann: Ich wäre da ein bisschen vorsichtiger, weil wir an der Basis unterschiedliche Strömungen finden. Man findet sicherlich das, was Sie nennen, wo ich die persönliche Gewissensentscheidung des Einzelnen respektiere.

Aber wenn Sie bedenken, dass sich beide Kirchen beklagen, dass das religiöse oder das theologische Grundwissen über Kernelemente des Glaubens in unseren Kirchen nachlässt, dann muss man bei einem solchen Umgang immer fragen, ob das eine persönliche verantwortete Gewissensentscheidung oder eine Form von Gleichgültigkeit ist, die vielleicht auch nicht mehr um die Basics des christlichen Glaubens weiß, was ich niemandem unterstelle möchte.

Ich nehme beides wahr, dass wir in den Kirchen klagen, dass die Grundelemente unseres Glaubens weniger bewusst werden.

In beiden Kirchen nehme ich auch wahr – und das bestätigen mir auch Kollegen und Kolleginnen aus den evangelischen Landeskirchen –, dass es auch eine Gruppe gibt, die sehr stark um ihre je eigene katholische oder evangelische Identität bemüht ist. Da werden die trennenden Unterschiede oder zumindest die Unterschiede, die sie als trennend empfinden, wieder stärker in den Vordergrund gestellt. Da muss man dann auch argumentieren, diskutieren und begründen, warum bestimmte Dinge inzwischen ökumenisch möglich und zulässig sind.

Also da ist für mich das Spektrum der Positionen, die einem begegnen, etwas breiter. Da würde ich immer auch noch einmal im konkreten Umgang im Alltag fragen, aus welchen Motiven jemand etwas tut oder nicht tut. Man käme da zu einer etwas differenzierten Wahrnehmung, dass diese Fragen nicht alle schon entschieden sind.

Abgesehen davon glaube ich, dass wir auch in Verantwortung vor unserer je eigenen Glaubenstradition theologisch begründen müssen, warum wir in Fragen, in denen unsere Väter des Glaubens theologische Auseinandersetzung in der Reformation so gut wie nie geführt und stattdessen meinten, Kirchengemeinschaft aufkündigen zu können, jetzt zu einer Verständigung oder Annäherung gekommen sind. Das muss ich nach innen wie nach außen hin auch glaubwürdig begründen. Das ist eine wesentliche Aufgabe gerade ökumenischer Theologie.

DOMRADIO.DE: Wenn man bei bestimmten Fragen nicht zu einer Lösung oder zu einem Konsens kommt, votieren Sie dann eher für eine Ökumene der Profile oder die einer versöhnten Verschiedenheit?

Dr. Burkhard Neumann

"Ich bin immer für eine versöhnte Verschiedenheit, wobei eine versöhnte Verschiedenheit ja bedeutet, dass man die Differenzen aushalten kann, weil sie nicht mehr als kirchentrennend empfunden werden."

Neumann: Ich bin immer für eine versöhnte Verschiedenheit, wobei eine versöhnte Verschiedenheit ja bedeutet, dass man die Differenzen aushalten kann, weil sie nicht mehr als kirchentrennend empfunden werden. Das ist die große Herausforderung: Gelingt es uns, eine gemeinsame Basis in den bisher trennenden Fragen zu finden, die dann die Verschiedenheiten, die in den Kirchen existieren – sowohl lehrmäßig wie auch in der konkreten Praxis –, tragen und aushalten kann?

Ich nehme dann gerne die Rechtfertigungslehre, weil die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" im nächsten Jahr vor 25 Jahren unterzeichnet worden ist. Da hat man über Jahrhunderte geglaubt, in diesem Kern des christlichen Glaubens sei man getrennt.

Dann ist es tatsächlich gelungen, durch theologische Aufarbeitung und mit entsprechender offizieller kirchlicher Absegnung an der Stelle festzuhalten, dass es hier einen Grundkonsens gibt, der die Trennung aushält. Das gibt mir dann Zuversicht, dass uns das durchaus auch in anderen, zum Teil heute noch trennenden Fragen gelingen kann.

Augsburger Erklärung zur Rechtfertigungslehre (KNA)
Augsburger Erklärung zur Rechtfertigungslehre / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die beiden großen Kirchen in Deutschland verlieren immer mehr Mitglieder. Gewinnen dadurch die anderen Konfessionen mehr an Bedeutung, sodass man hier vielleicht den Kreis in Zukunft etwas weiter ziehen müsste, was die ökumenische Zusammenarbeit in Deutschland anbelangt?

Neumann: Zum Zweiten stimme ich Ihnen sofort zu. Wir dürfen Ökumene natürlich nicht auf die beiden hierzulande noch großen Kirchen reduzieren. Wir müssen auch die kleineren Kirchen, den ganzen Bereich der Freikirchen, die Kirchen der Orthodoxie mit einbeziehen. Inwieweit die anderen Kirchen von diesem Mitgliederschwund profitieren, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube nicht, dass die Wechselzahlen da sehr groß sind.

Ich kann mir allerdings vorstellen, dass die hierzulande größeren Kirchen von den kleineren Kirchen auch profitieren können, wie man damit umgeht, wenn man eben nicht mehr die gleiche, gesellschaftsprägende Kraft entwickeln oder zeigen kann, wie das in früheren Zeiten der Fall ist, sondern sich stärker in einer Minderheitenposition empfindet.

Da ist es durchaus möglich, von den Erfahrungen der kleineren Kirchen zu lernen und gerade die Bedeutung des persönlichen Bekenntnisses, Glaubens und der engagierten Mitgliedschaft auch in unseren Kirchen wieder stärker hervortreten zu lassen.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Quelle:
DR